Wirtschaftswoche Ausgabe vom 18.08.2014 (Vorschau)
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
KOMMENTAR | Nie wieder wollte<br />
ich über Frankfurts China-Aktien<br />
schreiben. Börsen-Zombies,<br />
sinnlos, erledigt. Von Hauke Reimer<br />
Aus dem Tollhaus<br />
Doch was hier abgeht,<br />
ist einfach zu unterhaltsam.<br />
Also noch<br />
eine Geschichte:<br />
Youbisheng Green Paper, Hersteller<br />
von Ökopappe, 2011<br />
an die Börse gegangen, Börsenwert<br />
zu Spitzenzeiten 66 Millionen<br />
Euro, meldet noch Ende Mai<br />
„stabile Geschäftsentwicklung“.<br />
BankM, die Youbisheng aufs<br />
Frankfurter Parkett gebracht<br />
hat, sieht im Mai einen fairen<br />
Wert von 12,97 Euro je Aktie –<br />
bei einem Börsenkurs von damals<br />
3,40 Euro – und sagt „kaufen“.<br />
Danach fällt der Kurs wie<br />
ein Stein, „ohne neue Informationen“,<br />
wie sich die Banker Mitte<br />
Juni wundern. Sie beschließen<br />
nach China zu reisen. Zehn<br />
Tage später kehren sie wieder<br />
zurück, frustriert und unverrichteter<br />
Dinge: Youbisheng-Chef<br />
Huang sei verschwunden, sein<br />
Vertreter stand „nicht für ein<br />
Gespräch zur Verfügung“.<br />
Es kommt noch besser: Am<br />
4. Juli meldet Youbisheng, die<br />
Chinesen hätten Finanzvorstand<br />
David Tsui nicht ins Werk gelassen,<br />
der die Bücher „begutachten“<br />
wollte. Stellt sich die Frage:<br />
Was hat dieser Finanzchef vorher<br />
die ganze Zeit gemacht?<br />
Weil Aufsichtsrat und Finanzvorstand<br />
„trotz intensiver Nachforschungen“<br />
keine Ahnung<br />
haben, wo Herr Huang steckt –<br />
und nebenbei auch keinen<br />
Schimmer von den Finanzen der<br />
Firma –, tritt Tsui zurück. Führungslos<br />
schlingert Youbisheng<br />
über das Börsenparkett. Aber<br />
der Aufsichtsrat verspricht seine<br />
Nachforschungen zu „intensivieren“.<br />
Einen Monat (!) später<br />
feuert er dann todesmutig den<br />
verschwundenen Chef, Herrn<br />
Haiming Huang, und präsentiert,<br />
welch genialer Schachzug,<br />
einen neuen: Herrn Haibo Huang,<br />
den Bruder des Entschwundenen.<br />
Der soll zackig „belastbare<br />
Informationen“ über die<br />
Kassenlage liefern. Anleger<br />
wittern Morgenluft, treiben den<br />
Kurs von 0,90 auf 1,60 Euro.<br />
Eine Woche später wird klar,<br />
dass Herr Huang II auch keinen<br />
Schimmer hat, er tritt zurück.<br />
Der Aufsichtsrat bekommt kalte<br />
Füße, zum „Schutz der Gläubiger<br />
und Aktionäre“ beantragt er<br />
Insolvenz. Die Aktie knallt von<br />
1,60 Euro auf 32 Cent. Am 14.<br />
August geht Youbisheng in die<br />
Insolvenz. Vorhang und Schluss.<br />
WO SIND DIE MILLIONEN?<br />
In Frankfurt notierte China-<br />
Unternehmen sind dreistufig<br />
aufgebaut: Anleger kaufen an<br />
der Börse die AG mit deutschem<br />
Aufsichtsrat, darunter hängt<br />
eine Holding in Singapur oder<br />
Hongkong, darunter die Firma,<br />
die Zugriff auf Fabrik und Kasse<br />
hat. Bei Youbisheng waren in der<br />
noch 38 Millionen Euro – bevor<br />
der Chef abhanden kam.<br />
Dass die deutschen Aufsichtsräte<br />
da nichts kontrollieren können,<br />
ist vollkommen klar. Deshalb<br />
findet sich kaum jemand,<br />
der den Job machen will. Bei<br />
zwei 2014er-Neulingen führte<br />
dann eben der Banker, der die<br />
Unternehmen an die Börse gedrückt<br />
hatte, den Aufsichtsrat.<br />
Anlegern bleibt nur eine<br />
Faustregel: Finger weg von Unternehmen,<br />
die nur im Ausland<br />
an der Börse sind, nicht aber in<br />
ihrem Heimatland. Denn wenn<br />
keine einheimischen Anleger<br />
geschädigt wurden, interessiert<br />
das Behörden in China oder anderswo<br />
null – mag der Betrug<br />
auch noch so dreist sein.<br />
Hätte man eigentlich drauf<br />
kommen können.<br />
TREND DER WOCHE<br />
Druck über den Euro<br />
Die 9000-Punkte-Marke im Dax hat gehalten, große<br />
Sprünge sind vorerst aber nicht zu erwarten.<br />
Krise im Blick<br />
Henkel-Chef Rorsted sieht das<br />
Gewinnwachstum schrumpfen<br />
Jetzt ist es amtlich: Die deutsche<br />
Wirtschaft schrumpfte im<br />
zweiten Quartal – um 0,2 Prozent<br />
(siehe auch Seite 16). Damit<br />
bestätigt sich, was sich im<br />
Rückgang des Dax andeutete.<br />
Der Wirtschaftskrieg mit Russland<br />
hatte noch kaum Einfluss<br />
auf die jüngsten Wirtschaftsdaten.<br />
Dieser wird erst im zweiten<br />
Halbjahr durchschlagen.<br />
Das befürchtet auch Kasper<br />
Rorsted. Der Chef des Düsseldorfer<br />
Konsumgüterkonzerns<br />
warnte vor schwächerem Gewinnwachstum.<br />
Nachdem der erste Schock<br />
verdaut war, erinnerten sich<br />
Anleger aber an die Börsenweisheit,<br />
dass politische Börsen<br />
kurze Beine haben, also die<br />
Kursrichtung von geopolitischen<br />
Risiken nur kurzzeitig bestimmt<br />
wird. Der Dax stabilisierte<br />
sich oberhalb von 9000<br />
Punkten. Wichtigster Faktor für<br />
die Börse aber bleibt der Euro-<br />
Kurs. Ein schwacher Euro erzeugt<br />
Verkaufsdruck bei ausländischen<br />
Investoren. Weil diese<br />
in Deutschland und der Euro-<br />
Zone das Zepter an den Finanzmärkten<br />
übernommen haben,<br />
drückte ihr Abschied die Kurse<br />
von Aktien und Anleihen. EZB-<br />
Präsident Mario Draghi weiß<br />
das, will aber trotzdem einen<br />
schwachen Euro. Warum? Gewiss<br />
nicht nur, um die internationale<br />
Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Unternehmen zu stärken.<br />
Denkbar: Über einen schwachen<br />
Euro kann Draghi Druck<br />
machen auf die Regierungen in<br />
Paris und Rom, endlich Strukturreformen<br />
anzupacken.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 14.8.2014 / 18.00 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 9225,10 +2,1 +9,3<br />
MDax 15746,68 +2,6 +6,0<br />
Euro Stoxx 50 3058,16 +1,5 +7,2<br />
S&P 500 1952,51 +2,2 +15,8<br />
Euro in Dollar 1,3373 ±0 +1,0<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,01 –0,05 2 –0,80 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,40 –0,03 2 –0,31 2<br />
Rohöl (Brent) 3 102,67 –2,7 –7,4<br />
Gold 4 1313,50 +0,6 –1,0<br />
Kupfer 5 6886,50 –1,3 –5,3<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 980,08 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, REUTERS/SIMON NEWMAN, MAURITIUS IMAGES/SCIENCE SOURCE<br />
84 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
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