Wirtschaftswoche Ausgabe vom 18.08.2014 (Vorschau)
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Geld&Börse<br />
»<br />
winne zu Anfang gemacht, nicht erst<br />
kurz vor der Jahrtausendwende, als die Investmentbranche<br />
den Trend in Fonds und<br />
Zertifikate gegossen und ihre Promotion-<br />
Maschinen angeworfen hatte.<br />
DER GROSSE TESTFALL<br />
Gibt es ein Überleben in der Internet-Welt<br />
für ein Geschäft, das auf dem Verkauf geistigen<br />
Eigentums beruht? An dieser Frage<br />
scheiden sich im Moment die Geister. US-<br />
Starökonom Jeremy Rifkin sieht eine „neue<br />
Kultur des Teilens“ im Netz, die tradierte<br />
Geschäftsmodelle der Musik-, Film-, Buchund<br />
Zeitungsindustrie „ausradieren“ werde.<br />
Dagegen glaubt Bird von McKinsey:<br />
„Mehr Menschen als je zuvor konsumieren<br />
dank Internet Musik, Film und Texte; das<br />
sind goldene Zeiten für Inhalteanbieter –<br />
wenn sie die richtigen Formate finden.“<br />
Die Musikindustrie jedenfalls gilt als<br />
„der große Testfall, auf den die Manager<br />
der anderen Branchen mit einer Mischung<br />
aus Angst und Faszination schauen“, sagt<br />
Christoph Zeh, Analyst für Medien beim<br />
Marktforschungsinstitut GfK in Nürnberg.<br />
Sie wurde gut zehn Jahre früher als andere<br />
Medien von der Gratiskultur im Netz erfasst:<br />
„Musikdateien sind – verglichen etwa<br />
mit Film – relativ klein; man konnte sie<br />
schon Ende der Neunziger leicht illegal aus<br />
dem Netz ziehen, als Bandweite und<br />
Geschwindigkeit noch echte Hindernisse<br />
waren“, sagt James McQuivey, Analyst<br />
beim IT-Trendforscher Forrester und Autor<br />
des US-Bestsellers „Digital Disruption“.<br />
Die Folge: Weltweit fielen die Umsätze<br />
mit aufgezeichneter Musik (ohne Konzertgeschäft)<br />
von 26 Milliarden 1999 auf 15<br />
Milliarden Dollar 2013; die Zahl der weltweit<br />
agierenden, alle Genres abdeckenden<br />
Musikverlage (Major Labels) halbierte sich<br />
von sechs auf drei. Nun ruhen die Hoffnungen<br />
auf den digitalen Streaming-Abos, deren<br />
Umsatz und Nutzerzahlen gerade rapide<br />
wachsen. 2013 stieg der Streaming-Umsatz<br />
weltweit um 51 Prozent, auf zuletzt<br />
1,11 Milliarden Dollar, sagt Christina Boettner,<br />
leitende Marktforscherin des globalen<br />
Dachverbandes der Phonoindustrie IFPI.<br />
Die Zahl der zahlenden Kunden wuchs um<br />
40 Prozent auf 28 Millionen.<br />
Nutznießer sind nicht zuletzt die Labels<br />
selbst, denn die Streaming-Dienste geben<br />
55 bis 70 Prozent ihres Umsatzes an die<br />
Plattenfirmen weiter. Allein Marktführer<br />
Spotify hat seit 2008 mehr als eine Milliarde<br />
Dollar Lizenzgebühren ausgeschüttet. Bei<br />
Sony stieg der Streaming-Umsatz 2013 um<br />
130 Prozent. Warner Music meldete vergangene<br />
Woche 26 Prozent plus beim Digital-<br />
Umsatz auf 324 Millionen Dollar im letzten<br />
Quartal. 41 Prozent des Umsatzes sind bei<br />
Warner inzwischen rein digital (auch eine<br />
CD ist streng genommen digital, gemeint<br />
sind nicht-physische Formen wie Streaming<br />
und MP3-Downloads). „In einigen<br />
Ländern mit hoher Smartphone-Durchdringung,<br />
wie etwa in Schweden, macht<br />
Streaming schon 60 bis 70 Prozent der Umsätze<br />
aus“, sagt Marktforscherin Boettner.<br />
ZWEIFRONTENKRIEG<br />
Will die Medienindustrie im Kampf gegen<br />
die Gratiskultur im Netz obsiegen, muss<br />
sie zwei entscheidende Nutzergruppen<br />
für ihre Bezahlangebote gewinnen, sagt<br />
McQuivey von Forrester: „ Die junge Konsumentenschicht,<br />
die mit kostenlosen Inhalten<br />
im Netz aufgewachsen ist, und die<br />
Bevölkerung der Schwellenländer, die mit<br />
der westlichen Idee des Urheberrechts<br />
nicht viel anfangen kann.“<br />
»Zu den Leuten, die die Branche<br />
noch überzeugen muss, gehört<br />
Tim Borchers*, 17, aus Köln. Er surft im<br />
Netz, seit er acht ist, und zieht alles<br />
heraus, was er haben will: Songs, ganze<br />
Alben, Filme. Seine Sammlung umfasst<br />
mehrere Terabyte. Bezahlt davon hat<br />
er nichts, er kenne es nicht anders,<br />
sagt Tim. Ob das legal ist, sei für ihn<br />
kein Kriterium. „Ich hätte sowieso<br />
kein Geld, das zu kaufen, also entgeht<br />
denen auch kein Umsatz“, gibt er sich<br />
* Name von der Redaktion geändert<br />
So groß will er werden Spotify-Chef<br />
Daniel Ek expandiert weltweit<br />
geschäftsmännisch. Tim „shared“<br />
auch, was er aus dem Netz zieht: „Wenn<br />
ich was cool finde, sollen das auch meine<br />
Freunde sehen oder hören“, sagt er,<br />
„ich gebe denen ’nen Stick mit MP3s<br />
oder schicke den Link zum Download<br />
per Mail.“ Und er kennt schon einen<br />
Kniff, der Streaming unterminiert: Sein<br />
Vater habe ein Premium-Abo, sagt er.<br />
Die so zugänglichen Lieder schneidet<br />
Tim mittels einer Software mit, die ganz<br />
legal erhältlich ist: Die kopiert alles,<br />
was über die Soundkarte seines PCs<br />
läuft: Spotify, YouTube, Internet-Radio.<br />
Will Page ist von Haus aus Ökonom; er arbeitete<br />
für Banken, verfasste vor 20 Jahren<br />
Studien über die Integration der DDR in<br />
den Kapitalismus. Jetzt ist er Chefökonom<br />
und Leiter Research bei Spotify und beschäftigt<br />
sich mit Leuten wie Borchers, „allerdings<br />
nicht, wie in unserer Branche 20<br />
Jahre lang üblich, mit Kopierschutztechnik<br />
und Anwälten“, sagt der Schotte. Page erforscht,<br />
ob und wie sich an eine jahrelange<br />
Gratiskultur gewöhnte Konsumenten mit<br />
„positiven Anreizen“ für legale (und natürlich<br />
kostenpflichtige) Angebote zurückgewinnen<br />
lassen; seine Forschungen lassen<br />
aufhorchen, nicht nur in der Musikbranche.<br />
In den USA spricht er jetzt oft vor TVund<br />
Filmmanagern, etwa bei Time Warner,<br />
beim Kabelriesen Viacom oder bei Disney.<br />
Page macht seine Fallstudien dort, wo es<br />
besonders weh tut: in Holland, Russland<br />
oder Italien – Länder, in denen wegen eines<br />
laxen Urheberrechts das Musikgeschäft bis<br />
vor Kurzem so gut wie tot war. Ein neuer<br />
FOTOS: BLOOMBERG NEWS/LOUIS LANZANO, SZ PHOTO/SNAPSHOT-PHOTOGRAPHY<br />
74 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
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