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pdf-Drucker, Job 74 - Universität Bamberg

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keinen Widerspruch zur Stabilität von Konstruktionen dar (sobald sie Teil der Wirklichkeitskonstruktion<br />

sind, werden auch die Veränderungen stabil); gezielte Einwirkungsprozesse<br />

können jedoch nur von einer höheren Ordnung aus erfolgen. Jeder Mensch ist damit<br />

für seine Wahrnehmung, „für seine bewußte Welt und seine wirklichkeiterschaffenden<br />

selbsterfüllenden Prophezeiungen“ 199 selbst verantwortlich. Zudem ist es – ausgehend von<br />

der Überlegung, daß alles konstruiert ist – auch möglich, für Auswirkungen (2. Ordnung)<br />

unbewußter Konstruktionen (1. Ordnung) Verantwortung zu übernehmen, ohne daß die<br />

Beobachtung der einzelnen Konstruktion dafür eine zwingende Voraussetzung wäre. Konstruktion<br />

geschieht weder beliebig noch voraussetzungslos, zudem spielt die Bezugsgruppe<br />

eine entscheidende Rolle in diesem Prozeß. Viertens wird daher aus radikalkonstruktivistischer<br />

Perspektive die Verflechtung der KonstrukteurInnen in bestehende Diskurse und Interessen,<br />

die die Wahrnehmung und Konstruktion von Wirklichkeit prägen, thematisierbar<br />

und veränderbar. 200 Erfahrungen werden immer schon im Rahmen bestehender kyriarchaler<br />

Strukturen reflektiert. Äußerungen beruhen auf einem bestimmten Vorwissen von ‚der<br />

Wirklichkeit‘ und konstruieren ihrerseits wieder Wirklichkeit für die am Diskurs Beteiligten.<br />

Dies gilt nicht nur für Medien- und Politikdiskurse, sondern auch für Alltagsdiskurse. 201<br />

Mit dieser Sicht wird es möglich, gesellschaftlich akzeptierte Unterscheidungen und trennende<br />

Kategorien nicht als Abbilder der Wirklichkeit zu verstehen, sondern sie als kontextgebunden<br />

zu relativieren und gegebenenfalls zu verändern. Der Radikale Konstruktivismus<br />

enthält somit „struktursprengende[s] Potential“ 202 und ist deshalb auch auf dieser<br />

Ebene ethisch relevant.<br />

Die aus konstruktivistischer Sicht kritisch insbesondere in den Blick zu nehmenden<br />

sozialen Kategorien verlaufen schräg zueinander, d.h., Menschen gehören zwar innerhalb<br />

einer Kategorie in der Regel nur einer einzigen Gruppe an, jedoch gleichzeitig mehreren<br />

Kategorien. Sie sind beispielsweise eine ‚alte nichtbehinderte türkische Akademikerin‘, eine<br />

‚junge behinderte deutsche Arbeiterin‘, oder ein ‚alter nichtbehinderter deutscher Arbeiter‘.<br />

Diese Beispiele mögen genügen, um die vielfältigen denkbaren Positionierungen innerhalb<br />

der Kategorien einer kyriarchalen Gesellschaft zu skizzieren. Es ist schlechterdings unmöglich,<br />

alle relevanten Kategorien in jeder Analyse zu berücksichtigen. Jede Beobachtung von<br />

Konstruktionen produziert neue Ausblendungen, die ihrerseits erst wieder in einem erneuten<br />

Schritt beobachtet werden können.<br />

In dieser Arbeit liegt der Fokus auf der Konstruktion der Kategorie ‚Kultur‘. Mit der<br />

weiteren Fokussierung auf deren Auswirkungen auf die Gruppe der ‚alten türkischen Immigrantinnen‘<br />

in Deutschland werden zusätzliche Kategorien relevant, deren Konstruiertheit<br />

nicht im einzelnen aufgezeigt wird: Die Auswirkungen der Kategorie ‚Kultur‘ werden im<br />

Hinblick auf eine bestimmte ‚Altersgruppe‘, ein bestimmtes ‚Geschlecht‘ und ein bestimmtes<br />

‚Herkunftsland‘ untersucht. Gleichzeitig treten damit andere Kategorien wie ‚Lebensform‘,<br />

‚sexuelle Orientierung‘, oder ‚Behinderung‘ in den Hintergrund.<br />

Eine Analyse der Situation kann nicht vollständig auf die Kategorien verzichten, die<br />

diese Situation prägen, worin eine gewisses unlösbares Dilemma begründet ist: Um die<br />

199<br />

200<br />

201<br />

202<br />

Watzlawick, Paul: ebd., 312.<br />

Bernhard Filli stellt die gesellschaftlichen ‚Wirklichkeiten‘ unter Androzentrismusverdacht. Siehe<br />

Bernhard Filli, Heidi: Die soziale Konstruktion von Wirklichkeit. Das kritische Potential des radikalen<br />

Konstruktivismus, in: dies.; Andrea Günter; Maren Jochimsen u.a.: Weiberwirtschaft, 87-102.<br />

Siehe Jäger, Margret: Fatale Effekte, 37.<br />

Krüll, Marianne: Das Rekursive Denken, 98.

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