pdf-Drucker, Job 74 - Universität Bamberg
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Immigrantinnen‘ ist ein Konstrukt und beruht in dieser Zusammenstellung von Kategorien<br />
auf vorgängigen Unterscheidungen. 207<br />
Jede Kritik an sozialen Kategorien – und damit auch diese Dissertation – ist Teil der<br />
Konstruktion von Wirklichkeit und produziert dabei weitere Kategorisierungen. Nicht Konstruktionsprozesse<br />
als solche stehen daher zur Disposition, sondern die aus ihnen resultierenden<br />
Folgen für Menschen sollen kritisch reflektiert werden. Entsprechend dem Radikalen<br />
Konstruktivismus sind alle verwendeten Begriffe Konstruktionen und müßten nach der<br />
eingangs beschriebenen typographischen Konvention in einfache Anführungszeichen gesetzt<br />
werden. Ich beschränke mich aus Gründen der Lesbarkeit in der Regel jedoch darauf,<br />
die soziale Kategorie ‚Kultur‘ und die Gruppe der ‚alten türkischen Immigrantinnen‘ als<br />
Konstrukte kenntlich zu machen. Weitere Begriffe werden nur dann in Anführungszeichen<br />
gesetzt, wenn auf deren Kategorisierung im Zusammenhang des Textes ausdrücklich hingewiesen<br />
werden soll, etwa wenn ‚Einheimische‘ den ‚ImmigrantInnen‘ gegenüber gestellt<br />
werden.<br />
Nichtsdestotrotz bleibt die vorliegende Arbeit eine Gratwanderung. Ich schreibe als<br />
Angehörige der Dominanzbevölkerung über Folgen dieser Dominanzsituation für Migrantinnen.<br />
Meine eigenen Erfahrungen mit ‚Kultur‘ sind für mich nicht bedrohlich, geschweige<br />
denn existenzgefährdend – anders als die Erfahrungen derer, die mittels ‚Kultur‘ in<br />
Deutschland ausgegrenzt werden. Ich habe selbst teil an der Konstruktion der Diskurse, ich<br />
gebe Bilder von ‚alten türkischen Immigrantinnen‘ weiter, meine eigenen Interessen und<br />
weitere Faktoren fließen in mein wissenschaftliches Arbeiten mit ein. Entsprechend der<br />
radikalkonstruktivistischen Denkansätze ist ein objektives Vorgehen nicht denkbar, da dieses<br />
BeobachterIn und Beobachtetes als getrennt annimmt. Ernst von Glasersfeld weist darauf<br />
hin, daß wir häufig dann von Objektivität reden, wenn „unser eigenes Erleben von anderen<br />
bestätigt wird.“ 208 Da ich selber in die von mir analysierte Dominanzsituation eingebunden<br />
bin, kann ich zwar bei meinen eigenen Erfahrungen von Bevorzugung ansetzen.<br />
Gleichzeitig fehlt mir jedoch die Außenperspektive, und es ist denkbar, daß ich Privilegien<br />
oder Auswirkungen derselben übersehe. Begleitend zu dieser Arbeit habe ich mich deshalb<br />
mit meinen eigenen Konstruktionen, insbesondere den verinnerlichten Selbstverständlichkeiten<br />
und Vorurteilen auseinanderzusetzen bzw. diese durch andere beobachten und spiegeln<br />
zu lassen. Um dies so weit als möglich zu gewährleisten, diskutiere ich die Ergebnisse<br />
meiner Arbeit mit WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Bereichen – insbesondere einer<br />
Weißen feministisch-theologischen Ethikerin, einer Weißen Konstruktivistin und einem in<br />
der Türkei ausgebildeten muslimischen Theologen, dessen Eltern in Deutschland zur ersten<br />
MigrantInnengeneration gehören.<br />
Aus der Perspektive einer kontextuellen feministischen christlich-theologischen<br />
Ethik sind Konstruktionen letztlich daran zu messen, welche Folgen sie für Menschen haben,<br />
d.h. ob sie lebensförderlich und an Befreiung orientiert sind oder das Gegenteil zementieren.<br />
Unter dieser Prämisse ist im weiteren Verlauf der Arbeit die soziale Kategorie<br />
207<br />
208<br />
Als Synonym für ‚alte türkische Immigrantinnen‘ verwende ich ‚alte türkische Frauen‘, womit im<br />
Kontext der Arbeit die in Deutschland lebenden ‚alten türkischen Frauen‘ gemeint sind. Siehe dazu<br />
auch die Begriffsklärungen in der Einführung.<br />
Vgl. zu diesem Sprachgebrauch die Kritik von Lesch, Walter: Unterwegs zur interkulturellen Demokratie.<br />
Sozialethische Überlegungen zur Migrationspolitik, in: StdZ 211 (1993) 255-269,<br />
hier 265.<br />
Glasersfeld, Ernst von: Konstruktion der Wirklichkeit, 33.