[Hegemann_Helene]_Axolotl_Roadkill(BookZZ.org)
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selbst die Weite einer großen Menschenmenge erfassen:<br />
»Mifti, ich habe meine Unterarme leidenschaftslos<br />
mit einem Brotmesser traktiert und würde am liebsten<br />
fliehen. Ich würde am liebsten fliehen. Ich kann das<br />
nicht mehr.«<br />
Während ich mich auf diese enttäuschende Art ansehe,<br />
minutenlang, glaube ich den Beginn eines Lächelns<br />
zu bemerken. Meine Haare kleben an der Stirn,<br />
der Teint ist aus einem mir unerfindlichen Grund seidenmatter<br />
denn je, ich zähle meine Wimpern, die Wirkung<br />
des Spiegelbildes tritt unmittelbar ein und trifft<br />
mich mit der Plötzlichkeit eines Pfeils, der mich in der<br />
entferntesten meiner Erinnerungen zu durchbohren<br />
beginnt: ein Schmerz, der kein anderer ist als mein eigener.<br />
Nur noch die grenzenlose Schwäche ist sichtbar und<br />
diese daraus entstandene Unschuld. Ohne den Blick<br />
von mir selbst abzuwenden, versuche ich mir in Erinnerung<br />
zu rufen, dass die Haut oberhalb meiner Kniekehle,<br />
das Narbengewebe zwischen den Schultern und<br />
das Sommersprossenfeld auf meinem Oberschenkel zu<br />
mir gehören.<br />
Ich zwänge mich durch ein kleines Fenster in den<br />
dunklen Hinterhof, aus dem eine Leopardenherde vom<br />
aus der Dönerbude schallenden Rammstein-Album<br />
vertrieben wird. Meine Geschwister werden nicht auf<br />
die Idee kommen, sich nach meinem Verbleib zu erkundigen,<br />
weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, Wirkungen<br />
und Nebenwirkungen voneinander zu unterscheiden.<br />
Alles, was ich weiß, ist, dass ich mich liebe<br />
und dass ich jeden meiner Schritte liebe und überhaupt.<br />
Ich zittere so sehr, ich habe keine Ahnung war-<br />
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