[Hegemann_Helene]_Axolotl_Roadkill(BookZZ.org)
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»Sozialhilfeempfängerin, versoffen, Chanel-<br />
Kostüm.«<br />
Um 3 Uhr 55 wache ich auf Ophelias Schlafzimmerboden<br />
auf und beschließe, ihre Wohnung auf direktem<br />
Wege zu verlassen. Ophelia liegt schwer atmend in ihrem<br />
vollgekotzten Doppelbett. Ich kratze hektisch aus<br />
den überall im Raum verteilten, mit Fünf-Cent-Münzen<br />
gefüllten Porzellanbehältern Geld für Zigaretten und<br />
eine Kurzstrecke zusammen. Nachdem ich die Schlafzimmertür<br />
so leise wie möglich zugezogen habe, sprinte<br />
ich mit beiden Händen voll Kleingeld durch den kilometerlangen<br />
Wohnungsflur dem Ausgang entgegen.<br />
Von einer Sekunde auf die andere fange ich an, unter<br />
einer psychischen Störung zu leiden, die mit einem<br />
zeitweiligen Verlust des Realitätsbezuges einhergeht:<br />
Ich höre Stimmen. Ich werde hysterisch. Auffällige<br />
Symptome für eine Psychose sind Halluzinationen. Ich<br />
betrachte nicht mich selbst, sondern mein Umfeld als<br />
verändert und erlange keine Krankheitseinsicht, das<br />
fällt mir jetzt spontan dazu ein. Die Stimmen kommen<br />
aus der noch vor wenigen Stunden mit Heroinschwaden<br />
vollgeräucherten Küche und unterhalten sich über<br />
eine Kunstform, die ihren Ausdruck in der Produktion<br />
bewegter Bilder findet:<br />
»Ja also, ich finde, du gehst da dann so rüber und<br />
dann musst du spielen, dass du in der Wut von Marie<br />
deine eigene Verzweiflung wiedererkennst.«<br />
Als ich die Küche betrete, stehen da fünfzehn Personen<br />
herum, die sich entweder über die Widersprüchlichkeit<br />
ihrer Rollen unterhalten oder im Hintergrund<br />
geleuchtete Lichteffekte korrigieren.<br />
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