[Hegemann_Helene]_Axolotl_Roadkill(BookZZ.org)
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und waren alle ziemlich verwirrt. »Krass, Entschuldigung,<br />
wir dachten, Sie wären Nazi.«<br />
»Nein, Mann! Ihr könnt doch nicht durch die Choriner<br />
Straße laufen und Leute plattmachen.«<br />
»Naja, wir machen das immer so, also Erhan kickt<br />
dann immer, und dann liegen die Leute auf dem Boden,<br />
und dann gehen die anderen noch mal drauf.« Erhan<br />
so: »Ja, sorry, der Kick, zum Glück habe ich nicht<br />
getroffen.« »Haben Sie eine Zigarette für uns?«<br />
Mein Kopf blutet. Ich bin ausgeglichener denn je.<br />
Ich liege als klar zu erkennendes Opfer mit blutendem<br />
Hinterkopf auf dem Bauch und genieße den Zustand<br />
der totalen Verantwortungslosigkeit. Der totalen Unschuld,<br />
weil es sich bei der ganzen Scheiße um eine besonders<br />
schwere Verletzung des Kindeswohls handelt.<br />
Offenbar steht mir ein Kindeswohl zu, offenbar wird<br />
mir mein Kindeswohl vor Augen geführt, indem es verletzt<br />
wird. Offenbar bin ich unabhängig genug von Annika,<br />
um in ihrem strafrechtlich zu ver folgenden Handeln<br />
nur meine mit selbigem einhergehenden Vorteile<br />
zu erkennen. Ich bin unabhängig genug von meiner<br />
Schwester, um ihr hyperventilierend in die Fresse zu<br />
feuern, dass es ein auf Gewaltopfer wie mich spezialisiertes<br />
Kommissariat gibt und mir quälende Mehrfachaussagen<br />
erspart bleiben werden.<br />
Plötzlich realisiert Annika, dass sie soeben in eine<br />
Situation geraten ist, die ihr Gesicht verändert hat. Sie<br />
sitzt zitternd an die Heizung gelehnt auf dem überstrapazierten<br />
Flurboden und ist auf eine ekelhaft sentimentale<br />
Weise bemitleidenswert, die mich gleichermaßen<br />
aggressiv und überlegen macht.<br />
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