Letter - DAAD-magazin
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Fortsetzung von Seite 11<br />
weiter steigend. Auf der größten internationalen<br />
Nahrungsmittelmesse, der Anuga in<br />
Köln, und der weltgrößten Verbraucherschau<br />
für Ernährung, der Grünen Woche in Berlin,<br />
gibt es nichts, was es nicht gibt: Essknete,<br />
Schnitzel zum Toasten, Softdrinks aus Brennnesseln,<br />
Nudeln in Form von Comic-Helden,<br />
Sojasprühsahne. Vor allem die Grüne Woche<br />
ist ein gigantischer Testmarkt: Was dort die<br />
425 000 Besucher gutheißen, bleibt auch woanders<br />
nicht im Regal liegen.<br />
Erst Spenden machen satt<br />
Bei so viel Übergewicht und der schier unendlichen<br />
Auswahl an Lebensmitteln fällt<br />
es schwer zu glauben, dass es im reichen<br />
Deutschland Menschen gibt, die nicht genug<br />
zu essen haben. Der sichtbare Beweis dafür<br />
sind die „Tafeln“. Sie funktionieren nach einem<br />
einfachen Prinzip: Unternehmen spenden Lebensmittel,<br />
die nicht mehr verkauft werden<br />
können, weil ihr Haltbarkeitsdatum abläuft<br />
oder sie am nächsten Tag nicht mehr frisch<br />
sind. Sie werden von den ehrenamtlichen Helfern<br />
der Tafeln an Bedürftige verteilt.<br />
Waren es zu Beginn meist Obdachlose, so<br />
sind es heute auch Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende<br />
und Rentner. Vor 15 Jahren<br />
eröffnete die erste Tafel in Berlin, heute unterstützen<br />
785 Tafeln in ganz Deutschland täglich<br />
800 000 Menschen mit gespendeten Lebensmitteln.<br />
Der Verein „Deutsche Tafel“ rechnet<br />
mit einem weiteren Anstieg der Nachfrage,<br />
denn die Kluft zwischen Arm und Reich geht<br />
in Deutschland weiter auseinander. Dies hat<br />
der Armutsbericht der Bundesregierung im<br />
Mai 2008 erneut bestätigt.<br />
Während bei den einen angesichts der stark<br />
steigenden Lebensmittelpreise häufig das Geld<br />
nicht reicht, um satt zu werden, geht es den anderen<br />
vor allem darum, Zeit zu sparen. Kaum<br />
noch jemand investiert mehrere Stunden am<br />
Tag, um aufwändig zu kochen. Kein Wunder<br />
also, dass hierzulande zwei Drittel aller Kunden<br />
regelmäßig zu Fertigprodukten oder halbfertigen,<br />
vorbereiteten Mahlzeiten greifen:<br />
Reis, der in wenigen Minuten in der Mikrowelle<br />
gart, oder fertig verpackter, frisch geschnittener<br />
Salat. So genanntes „Convenience Food“<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 2/08<br />
findet sich immer öfter und in immer neuen<br />
Variationen in den Supermärkten.<br />
Auch die Mahlzeiten in der Familie passen<br />
sich den veränderten Lebensgewohnheiten<br />
an. Wenn überhaupt, dann finden Familien<br />
abends Zeit, gemeinsam zu essen: Die traditionelle<br />
deutsche Hauptmahlzeit hat sich vom<br />
Mittag auf den Abend verschoben. Und das<br />
klassische deutsche Frühstück mit einer Auswahl<br />
an Brot und Brötchen, mit Wurst, Käse<br />
und Marmelade wird während der Woche<br />
durch ein Frühstück amerikanischer Art abgelöst,<br />
also Müsli oder Cornflakes mit Milch.<br />
Tatsächlich essen Familienmitglieder<br />
immer öfter zeitversetzt. Das<br />
leiste der Fehlernährung ebenfalls<br />
Vorschub, meint Gunther Hirschfelder,<br />
Privatdozent für Volkskunde<br />
an der Universität Bonn. „Der chronologische<br />
Mahlzeitenablauf und<br />
die soziale Kontrolle fallen weg.<br />
Menschen nehmen pro Tag nicht<br />
drei oder vier Mahlzeiten zu sich,<br />
sondern acht oder zehn Snacks<br />
im Vorbeigehen. Sie haben keinen<br />
Überblick über die Menge, die sie<br />
verzehren“, sagt der Wissenschaftler<br />
(siehe Interview Seite 12).<br />
Und mehr als das: Das Gemeinschaftsgefühl,<br />
die sozialisierende<br />
Kraft des gemeinsamen Essens und<br />
Trinkens geht verloren. Denn längst<br />
steht fest, dass Essen über die reine<br />
Nahrungsaufnahme hinaus andere<br />
Funktionen erfüllt. Essen ruft das<br />
Gefühl der Zugehörigkeit hervor.<br />
Die Sehnsucht nach vertrauten<br />
Gerichten kennt jeder, der längere<br />
Zeit im Ausland war. „Essen gehört<br />
zu dem, was Menschen Trost<br />
spenden, Geborgenheit und Sicherheit<br />
vermitteln kann wie kaum ein<br />
Wort“, erklärt die Ernährungswissenschaftlerin<br />
Barbara Methfessel<br />
von der Pädagogischen Hochschule<br />
Heidelberg. Ob Bio oder konventionell<br />
– das spielt in diesem Zusammenhang<br />
keine große Rolle.<br />
Katja Spross<br />
Foto: Reiner Zensen<br />
TITEl<br />
Kaffee und Snack schnell zwischendurch –<br />
keine Zeit mehr für Genuss<br />
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