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Letter - DAAD-magazin

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Ihre ersten Monate in den USA verbrachte<br />

Jutta Allmendinger als Fußballtrainerin.<br />

Weil sie den Studienplatz an der University of<br />

Wisconsin in Madison nicht aufgeben wollte,<br />

die Zusage für das Stipendium aus Bonn jedoch<br />

auf sich warten ließ, hatte die couragierte<br />

26-jährige Diplom-Soziologin den Aufbruch<br />

ins ferne Studienland ganz ohne finanzielle<br />

Absicherung gewagt. Der Job, mit dem sie sich<br />

damals, im Jahr 1983, über Wasser hielt, bis<br />

das <strong>DAAD</strong>-Stipendium dann doch noch kam,<br />

lag ihr durchaus: „Ich spielte Frauenfußball<br />

und wollte ursprünglich Sportreporterin werden“,<br />

erinnert sie sich lachend.<br />

Die Episode ist typisch für die heutige Präsidentin<br />

des Wissenschaftszentrums Berlin für<br />

Sozialforschung und Professorin für Bildungssoziologie<br />

und Arbeitsmarktforschung an der<br />

Berliner Humboldt-Universität. Sie sagt von<br />

sich selbst, dass sie sich gern immer wieder<br />

auf Neues einlässt. So war das Graduiertenstudium<br />

in Madison auch nur der Beginn ihrer<br />

amerikanischen Karriere: 1984 wechselte sie<br />

nach Harvard, wo sie als Research Assistant<br />

arbeitete und 1989 promovierte.<br />

Die amerikanischen Jahre seien prägend gewesen,<br />

meint Allmendinger und erzählt von<br />

Erfahrungen, die sie in Deutschland nicht hätte<br />

machen können: Wie ihr Betreuer, Professor<br />

an der University of Madison, bei ihrer Ankunft<br />

an der Bushaltestelle stand, um sie abzuholen.<br />

Wie sie am nächsten Tag an der Universität<br />

dessen Frau begegnete und verwundert<br />

erfuhr, dass diese dort auch Professorin war<br />

– ein Beispiel für das in Deutschland bis heute<br />

selten praktizierte Dual-career-couple-Modell.<br />

Wie sie über Studierende staunte, die mit ihren<br />

Kindern in die Uni kamen.<br />

Dass sie nach Deutschland zurückkehrte,<br />

hatte nicht zuletzt mit ihrer Doktormutter in<br />

Harvard zu tun: Die ermunterte sie dazu, als<br />

<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 2/08<br />

Gestern Stipendiatin – und heute...<br />

Jutta allmendinger<br />

Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung<br />

„Entwicklungshelferin“ die Zahl der Professorinnen<br />

in Deutschland anzuheben. Nach<br />

Stationen in Frankfurt, Mannheim und Berlin<br />

habilitierte sie an der Freien Universität Berlin<br />

und wurde 1992 als Professorin für Soziologie<br />

an die Universität München berufen, wo sie<br />

1999 einen Lehrstuhl erhielt.<br />

Als 1994 ihr Sohn Philipp zur Welt kam,<br />

passte die Professorin mit Kind am Münchner<br />

Institut nicht recht ins Bild. Schnell war ihr<br />

klar, dass sie für ihr Mitarbeiterteam ein „Vorbild“<br />

sein konnte. Kurzerhand brachte sie das<br />

Kind mit in die Uni – und sorgte für ein Mutter-Kind-Zimmer.<br />

Denn Chancengerechtigkeit<br />

für Frauen ist für Allmendinger keineswegs<br />

nur Forschungsgegenstand, sondern auch<br />

praktisches Projekt.<br />

Als sie 2003 Direktorin am Institut für Arbeitsmarkt-<br />

und Berufsforschung (IAB) in<br />

Nürnberg wurde, fand sie dort keine einzige<br />

daad<br />

Frau auf leitendem Posten. Bei ihrem Abschied<br />

Ende 2006 war der Prozentsatz von<br />

Frauen in Führungspositionen von null auf 39<br />

gestiegen. „Die Rekrutierung von Frauen in<br />

solchen ‚Männertrutzburgen’ ist schwierig“,<br />

sagt Allmendinger, „aber jede einzelne Frau<br />

war ein extremer Gewinn, und niemand am<br />

IAB stellt das in Frage.“<br />

Chancengerechtigkeit – das Thema ist für sie<br />

ein Dauerbrenner. Die Forscherin, zu deren<br />

Themen Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik,<br />

Wettbewerb, Soziale Ungleichheit und Lebensverläufe<br />

gehören, prangert vor allem die<br />

schlechten Bildungschancen für Kinder aus<br />

sozial schwachen Familien an und betont den<br />

Zusammenhang zwischen „Bildungsarmut“<br />

und „Einkommensarmut“. Sozialpolitik ist für<br />

sie auch Bildungspolitik. Deshalb hat sie am<br />

IAB, das der Nürnberger Bundesanstalt für<br />

Arbeit zuarbeitet, ein Projekt zur präventiven<br />

Bildungspolitik entwickelt. Grundlage war die<br />

wissenschaftliche Berechnung, dass es für die<br />

Gesellschaft billiger ist, in frühkindliche Erziehung<br />

zu investieren, als später Arbeitslosengeld<br />

zahlen zu müssen.<br />

Die politische Umsetzung des Projekts ist<br />

ihr wichtig, doch selbst in die Politik zu gehen,<br />

reizt sie nicht. „Der Politik fehlt der lange<br />

Atem“, sagt sie. Als Wissenschaftlerin dagegen<br />

kann sie fundierte Vorschläge erarbeiten und<br />

gut begründete Kritik üben. Das interessiert<br />

sie auch an ihrer neuen Aufgabe als Präsidentin<br />

des Wissenschaftszentrums Berlin, des<br />

größten Sozialforschungsinstituts Europas.<br />

An der renommierten gemeinnützigen Einrichtung<br />

betreiben 140 Ökonomen, Soziologen,<br />

Politologen, Juristen und Historiker „problemorientierte<br />

Grundlagenforschung“. Die<br />

leitenden Wissenschaftler lehren gleichzeitig<br />

an Berliner Universitäten. Allmendinger,<br />

die bekannt ist für ihren kommunikativen<br />

Führungsstil, arbeitet seit ihrem<br />

Amtsantritt 2007 an neuen Konzepten<br />

der Zusammenarbeit, baut „Brücken<br />

zwischen den Abteilungen“. In dem<br />

imposanten Bau am Berliner Reichpietschufer<br />

gibt es neuerdings einen<br />

Raum, der neben einem Computerarbeitsplatz<br />

auch einen Wickeltisch und<br />

Spielzeug bietet.<br />

Leonie Loreck<br />

Foto: Reiner Zensen<br />

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