Funktionaler Analphabetismus im Kontext von Familie und ...

Generationenübergreifendes Lernen in der Alphabetisierung 115
schreiben etc., Erfahrungen im Schriftgebrauch sammeln. So wird klar, wie Schrift in
ihren verschiedenen Funktionen benutzt werden kann.
Sprache
Ein weiteres sehr wichtiges Element der Frühförderung von Literalität ist die mündliche
Sprache. Durch Kinderreime und Kinderlieder lernen die Kinder, die Aufmerksamkeit
von der Bedeutung des Wortes auf seine Form zu lenken, und trainieren
so die phonologische Bewusstheit. Später, wenn die Kinder in der Lage sind, die
Wörter zu segmentieren, also in Einzellaute zu zerlegen, werden sie auch fähig sein,
alphabetisch schreiben zu lernen. Darüber hinaus kommen Kinder beim Geschichtenerzählen
mit dekontextualisierter Sprache in Berührung, die über die situationsabhängige
Alltagssprache hinausgeht und auf diese Weise das Vorstellungsvermögen und
das abstrakte Denken des Kindes fördert. So kommt das Kind zunächst in mündlicher
Form in Kontakt mit Charakteristika der Schrift sprache wie bestimmten narrativen
Strukturen und dramaturgischen Prozessen in Geschichten. Die Strukturen der
Sprache und vor allem der Schriftsprache werden im Gespräch über die Sprache (im
Sinne von Meta-Sprache) vermittelt, bspw. die Vermittlung von Wortstrukturen oder
die inhaltliche Klärung sprachlicher und schriftsprachlicher Begriffe wie Satz, Wort
etc.
Jede gemeinsame Aktivität sollte den Kindern also möglichst Anregung geben,
eine Form der Bestätigung bieten, in einen Dialog eingebunden und letztlich
ein Modell sein (vgl. Nickel 2008, 15). 10 Das sind die vier Lernbedingungen,
die die Entwicklung der Stränge der Literalität positiv beeinflussen. Das Projekt
„AlphaFamilie“ konzentriert sich auf Familien mit geringen literalen Erfahrungen.
Das bedeutet, dass man davon ausgehen kann, dass es nicht nur um ein Bewusstmachen
der fördernden Lernbedingungen geht, sondern dass auch die vier Stränge
der Literalität erst gelernt bzw. erweitert werden müssen. Damit haben die Eltern
eine doppelte Progression, wenn sie auch Bildungsbedürfnissen in Bezug auf ihre
eigenen schriftsprachlichen Kompetenzen nachgehen. Es ist festzustellen, dass
man die fördernden Lernbedingungen auch erfüllen kann, wenn man die technische
Seite des Lesens und Schreibens nicht so gut beherrscht. Daraus ergeben sich
Strategien der Förderung des Schriftspracherwerbs von Kindern, die auch mit geringen
literalen Kompetenzen durchführbar sind. Die vier Stränge können im Sinne
der Anregung, der Bestätigung und des Dialogs auch ohne oder mit sehr geringen
Buchstabenkenntnissen gefördert werden. Durch einfache literale Aktivitäten
können die Eltern aber auch Modell für die Kinder sein. So könnten sich außerdem,
motiviert durch das Interesse an der Bildung der Kinder, durchaus eigene
Bildungsinteressen bei den Eltern entwickeln.
10 Diese unterstützenden Bedingungen, die die Entwicklung der Literalität fördern, sind ebenfalls
an das Modell von Peter Hannon angelehnt. Die Bezeichnung ORIM ergibt sich aus
den Wörtern für die beschriebenen Grundvoraussetzungen: Opportunities, Recognition, Interaction
und Model.