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The Red Bulletin September 2014 - DE

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READ BULL<br />

Alptraum<br />

Von Heinrich Steinfest<br />

Heinrich Steinfest<br />

Geboren 1961 in Albury in Südostaustralien, aufgewachsen<br />

in Wien, seit siebzehn Jahren in Stuttgart zu Hause. Der<br />

österreichische Autor und bildende Künstler Steinfest<br />

überzeugt speziell als Autor philosophischer Kriminalromane,<br />

war zuletzt mit „Das himmlische Kind“ und „Der<br />

Allesforscher“ auch ohne Krimi zugange. Der Autor einer<br />

„Gebrauchsanweisung für<br />

Österreich“ und Verfasser<br />

von Essays über Gott und<br />

alles Übrige befand sich<br />

auf einer Reise durch<br />

Frankreich, um die französische<br />

Fassung seines<br />

Romans „Ein dickes Fell“<br />

vorzustellen, als er in<br />

Le Havre viel zu früh erwachte,<br />

zur Feder griff, die<br />

ein Computer ist, und für<br />

das <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong> seinen<br />

„Alptraum“ niederschrieb.<br />

Eine halbe Minute die Luft anhalten und danach<br />

sofort zwei Becher lauwarmes Wasser trinken.“<br />

„Das ist nicht dein Ernst“, meinte der Mann, der<br />

Konrad Badoit hieß und angesichts solchen Unsinns<br />

seinen Freund auslachte.<br />

Der Freund blieb jedoch ernst und bestärkte, es sei absolut notwendig,<br />

sich der Atmung zu entsagen, sobald man erwacht war,<br />

dreißig Sekunden, ein bißchen mehr könne es auch sein, aber<br />

keinesfalls weniger, und man dürfe in dieser Zeit nicht aufstehen,<br />

auch nicht, um sich die zwei Becher lauwarmen Wassers zuzubereiten.<br />

Die müsse man sich schon vorher ans Bett gestellt und<br />

sie in irgendeiner Weise am Erkalten gehindert haben. Nur so<br />

könne es funktionieren.<br />

Und wozu? Nun, wie der Freund erzählte, war dies angeblich<br />

die geeignete Methode, um einen Traum, aus dem man gerade erst<br />

erwacht war, weiterzuträumen, diesmal im vollständigen Bewußtsein,<br />

ein Träumender zu sein, zudem alles in der klarsten Weise<br />

erlebend. Und sich hinterher bestens daran zu erinnern. Man<br />

müsse sich einzig an das Prinzip halten, sofort beim Erwachen<br />

aus einem Traum – selten mit mehr als dem vagen Gefühl, gerade<br />

etwas Gutes oder Schreckliches durchgemacht zu haben – die<br />

Luft anzuhalten, besagte dreißig Sekunden durchzustehen, in<br />

der Folge zügig die Becher zu leeren und erneut einzuschlafen.<br />

Sodann erneut zu träumen.<br />

Eine derartige Empfehlung war natürlich nicht ernst zu<br />

nehmen, kam aber erstaunlicherweise von einem Mann, der als<br />

Versicherungsmathematiker bisher eher nüchtern und völlig<br />

unesoterisch erschienen war und selbst Fußballspiele weniger<br />

als Resultat von Leidenschaft und Willenskraft ansah denn<br />

als logisch-absehbare Folge glücklicher und unglücklicher Entscheidungen.<br />

Anders gesagt: Es war statistisch durchaus zu<br />

errechnen, wie oft Menschen unter bestimmten Bedingungen<br />

auf Bananenschalen ausrutschten und damit bewirkten, daß<br />

die bekannte Darstellung auf Witzbildern die reale Bedeutung<br />

versicherungsrelevanter gebrochener Beine erhielt.<br />

Und ausgerechnet dieser Versicherungsmensch redete also<br />

von der traumfördernden und traumerhaltenden Wirkung von<br />

lauwarmem Leitungswasser. Er schloß seine Ausführungen mit<br />

einem „Probier es einfach mal“.<br />

„Einen Teufel werd ich tun“, sagte Badoit und fragte seinen<br />

Freund: „Bist du etwa religiös geworden auf deine alten Tage?“<br />

Der antwortete nur: „Von Weihwasser war nicht die <strong>Red</strong>e,<br />

oder?“, bezahlte die gemeinsame Weinrechnung und ließ Konrad<br />

in der Bar zurück wie in einem vergoldeten Schlammloch.<br />

Konrad gehörte zu den ganz wenigen Männern, die sagen<br />

konnten, allen Ernstes der Frau ihres Lebens begegnet zu sein,<br />

und nicht etwa einer Person, die man mit Ach und Krach in die<br />

„Frau meines Lebens“ umdichten konnte, wenn jemand überhaupt<br />

so weit ging, angesichts der eigenen Gattin ein „Gedicht“<br />

zu verfassen beziehungsweise sich der Mühe einer Umdichtung<br />

zu unterziehen.<br />

Konrad Badoit aber konnte auch ohne Gedicht eine solche<br />

Behauptung aufstellen. Selbst nach zehn Jahren war er ob seines<br />

diesbezüglichen Glücks immer wieder fassungslos. Mathildes<br />

Schönheit war seinen Gefühlen ein Faß ohne Boden. Er empfand<br />

sich bei ihrer Betrachtung immer ein wenig siebzehnjährig, von<br />

der Pubertät in Hitze und Aufregung versetzt. Natürlich gab es<br />

auch Momente profanerer Art, etwa im Bett, wo die Leidenschaft,<br />

bei aller Liebe, doch sehr hinter die Betrachtung zurückfiel. Einen<br />

wirklich schönen Menschen anzusehen ist so viel erfüllender,<br />

als ihn zu berühren. Sich den Reichtum zu wünschen so viel<br />

anregender, als ihn zu besitzen. (Genau diese Wahrheit ist<br />

übrigens der Grund dafür, daß wir Gott nicht sehen, auch wenn<br />

er da ist. Ein sichtbarer Gott würde alles zunichte machen. Wir<br />

BURKHARD RIEGELS<br />

96 THE RED BULLETIN

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