Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
READ BULL<br />
Alptraum<br />
Von Heinrich Steinfest<br />
Heinrich Steinfest<br />
Geboren 1961 in Albury in Südostaustralien, aufgewachsen<br />
in Wien, seit siebzehn Jahren in Stuttgart zu Hause. Der<br />
österreichische Autor und bildende Künstler Steinfest<br />
überzeugt speziell als Autor philosophischer Kriminalromane,<br />
war zuletzt mit „Das himmlische Kind“ und „Der<br />
Allesforscher“ auch ohne Krimi zugange. Der Autor einer<br />
„Gebrauchsanweisung für<br />
Österreich“ und Verfasser<br />
von Essays über Gott und<br />
alles Übrige befand sich<br />
auf einer Reise durch<br />
Frankreich, um die französische<br />
Fassung seines<br />
Romans „Ein dickes Fell“<br />
vorzustellen, als er in<br />
Le Havre viel zu früh erwachte,<br />
zur Feder griff, die<br />
ein Computer ist, und für<br />
das <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong> seinen<br />
„Alptraum“ niederschrieb.<br />
Eine halbe Minute die Luft anhalten und danach<br />
sofort zwei Becher lauwarmes Wasser trinken.“<br />
„Das ist nicht dein Ernst“, meinte der Mann, der<br />
Konrad Badoit hieß und angesichts solchen Unsinns<br />
seinen Freund auslachte.<br />
Der Freund blieb jedoch ernst und bestärkte, es sei absolut notwendig,<br />
sich der Atmung zu entsagen, sobald man erwacht war,<br />
dreißig Sekunden, ein bißchen mehr könne es auch sein, aber<br />
keinesfalls weniger, und man dürfe in dieser Zeit nicht aufstehen,<br />
auch nicht, um sich die zwei Becher lauwarmen Wassers zuzubereiten.<br />
Die müsse man sich schon vorher ans Bett gestellt und<br />
sie in irgendeiner Weise am Erkalten gehindert haben. Nur so<br />
könne es funktionieren.<br />
Und wozu? Nun, wie der Freund erzählte, war dies angeblich<br />
die geeignete Methode, um einen Traum, aus dem man gerade erst<br />
erwacht war, weiterzuträumen, diesmal im vollständigen Bewußtsein,<br />
ein Träumender zu sein, zudem alles in der klarsten Weise<br />
erlebend. Und sich hinterher bestens daran zu erinnern. Man<br />
müsse sich einzig an das Prinzip halten, sofort beim Erwachen<br />
aus einem Traum – selten mit mehr als dem vagen Gefühl, gerade<br />
etwas Gutes oder Schreckliches durchgemacht zu haben – die<br />
Luft anzuhalten, besagte dreißig Sekunden durchzustehen, in<br />
der Folge zügig die Becher zu leeren und erneut einzuschlafen.<br />
Sodann erneut zu träumen.<br />
Eine derartige Empfehlung war natürlich nicht ernst zu<br />
nehmen, kam aber erstaunlicherweise von einem Mann, der als<br />
Versicherungsmathematiker bisher eher nüchtern und völlig<br />
unesoterisch erschienen war und selbst Fußballspiele weniger<br />
als Resultat von Leidenschaft und Willenskraft ansah denn<br />
als logisch-absehbare Folge glücklicher und unglücklicher Entscheidungen.<br />
Anders gesagt: Es war statistisch durchaus zu<br />
errechnen, wie oft Menschen unter bestimmten Bedingungen<br />
auf Bananenschalen ausrutschten und damit bewirkten, daß<br />
die bekannte Darstellung auf Witzbildern die reale Bedeutung<br />
versicherungsrelevanter gebrochener Beine erhielt.<br />
Und ausgerechnet dieser Versicherungsmensch redete also<br />
von der traumfördernden und traumerhaltenden Wirkung von<br />
lauwarmem Leitungswasser. Er schloß seine Ausführungen mit<br />
einem „Probier es einfach mal“.<br />
„Einen Teufel werd ich tun“, sagte Badoit und fragte seinen<br />
Freund: „Bist du etwa religiös geworden auf deine alten Tage?“<br />
Der antwortete nur: „Von Weihwasser war nicht die <strong>Red</strong>e,<br />
oder?“, bezahlte die gemeinsame Weinrechnung und ließ Konrad<br />
in der Bar zurück wie in einem vergoldeten Schlammloch.<br />
Konrad gehörte zu den ganz wenigen Männern, die sagen<br />
konnten, allen Ernstes der Frau ihres Lebens begegnet zu sein,<br />
und nicht etwa einer Person, die man mit Ach und Krach in die<br />
„Frau meines Lebens“ umdichten konnte, wenn jemand überhaupt<br />
so weit ging, angesichts der eigenen Gattin ein „Gedicht“<br />
zu verfassen beziehungsweise sich der Mühe einer Umdichtung<br />
zu unterziehen.<br />
Konrad Badoit aber konnte auch ohne Gedicht eine solche<br />
Behauptung aufstellen. Selbst nach zehn Jahren war er ob seines<br />
diesbezüglichen Glücks immer wieder fassungslos. Mathildes<br />
Schönheit war seinen Gefühlen ein Faß ohne Boden. Er empfand<br />
sich bei ihrer Betrachtung immer ein wenig siebzehnjährig, von<br />
der Pubertät in Hitze und Aufregung versetzt. Natürlich gab es<br />
auch Momente profanerer Art, etwa im Bett, wo die Leidenschaft,<br />
bei aller Liebe, doch sehr hinter die Betrachtung zurückfiel. Einen<br />
wirklich schönen Menschen anzusehen ist so viel erfüllender,<br />
als ihn zu berühren. Sich den Reichtum zu wünschen so viel<br />
anregender, als ihn zu besitzen. (Genau diese Wahrheit ist<br />
übrigens der Grund dafür, daß wir Gott nicht sehen, auch wenn<br />
er da ist. Ein sichtbarer Gott würde alles zunichte machen. Wir<br />
BURKHARD RIEGELS<br />
96 THE RED BULLETIN