Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG
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selber der Kontrolle unterliegt, durch den<br />
Maler Titorelli (Daniel Breitfelder), der<br />
sich anscheinend arrangiert hat oder wen<br />
auch immer. Alle sind subaltern. Josef K.<br />
muß sich, ohne inhaftiert zu werden, einer<br />
ominösen Gewalt unterwerfen, einem<br />
rätselhaften Gerichtsverfahren stellen, das<br />
nichts anderes als seine Schuld festzustellen<br />
hat. Denn dass er eine Schuld trägt,<br />
die Schuld, scheint völlig außer Frage zu<br />
stehen.<br />
Gültige Bühnenbearbeitung von<br />
Kafkas Roman<br />
Franz Kafkas genialischer, die Schlünde<br />
aller Abgründe der Angst vor willkürlicher<br />
staatlicher Autorität aufreißender<br />
Roman hat schon vor, besonders aber<br />
seit der prominent besetzten Verfi lmung<br />
durch Orson Welles aus dem Jahr 1962<br />
diverse Film-, Opern- und Bühnenbearbeitungen<br />
erlebt, schreit jedoch<br />
immer noch nach einer über die <strong>Zeit</strong><br />
gültigen Fassung für die Bühne, denn<br />
die Eindringlichkeit des beängstigenden<br />
Sujets ist geradezu wie für das Theater<br />
gemacht. Oder verlangt jede neue <strong>Zeit</strong><br />
nach einer neuen Interpretation? Herbert<br />
Neubecker hat mit seiner Bearbeitung<br />
einen Weg in das Unheimliche der<br />
von Ängsten, Pressionen und heimlichen<br />
Mächten beherrschten Welt des<br />
Josef K. gefunden, der in Auslegung,<br />
Personifi zierung und direktem Bezug<br />
auf die Romanvorlage gültig und zeitlos<br />
erscheint, zugleich jeden Zuschauer<br />
mit dem eigenen Zwiespalt zwischen<br />
Aufbegehren und Unterwerfung, Lust<br />
und Schuld, Glauben und Atheismus<br />
konfrontiert.<br />
Eine (fast) schwarz-weiße Welt<br />
Am 9. April hatte Sybille Fabians<br />
Inszenierung für die Wuppertaler<br />
Bühnen in Zusammenarbeit mit dem<br />
Teo Otto Theater in Remscheid dort<br />
ihre wenn auch nicht ausverkaufte,<br />
jedoch sehr gut besuchte und mit allem<br />
Recht gefeierte Premiere. Man kann<br />
von einem grandiosen Gesamterfolg<br />
sprechen, denn sowohl Neubeckers<br />
Fassung als auch die von ihm gestaltete<br />
schwarz-weiße schräge Bühne, Fabians<br />
überwiegend schwarz-weiße Kostüme,<br />
die dramatischen Klang-Einspielungen,<br />
die Choreographie und jede Einzelleistung<br />
der außer Gregor Henze mehrfach<br />
besetzten Mitwirkenden muß als Perle<br />
bezeichnet werden. Farbe kommt durch<br />
die brillanten Akteure ins Spiel und<br />
blitzt gezielt nur gelegentlich in Form<br />
eines (zerquetschten) Apfels und der<br />
kommentierten Ausgabe von Schönfelders<br />
„Deutsche Gesetze“ auf. Wo<br />
alles gepanzert, verborgen, verschlossen<br />
ist, überraschen als Andeutung des<br />
harmlos Schönen und Begehrenswerten<br />
in dieser häßlichen Welt die kaum<br />
verhüllten göttlichen Brüste von Josef<br />
K.s Zimmernachbarin Frl. Bürstner<br />
(Juliane Pempelfort), der er über seine<br />
Verhaftung berichtet. Dialog: „Wie war<br />
es denn?“ – „Schrecklich!“ – „Das ist zu<br />
allgemein.“<br />
Expressionismus und Silly Walks<br />
Zug um Zug läßt sich K. bei abnehmendem<br />
Aufbegehren in den Sog des<br />
mysteriösen Verfahrens ziehen, das immer<br />
deutlicher sein Leben bedroht. Der<br />
Alptraum der Wehrlosigkeit lähmt ihn,<br />
lähmt selbst den Zuschauer, der immer<br />
wieder von der Bühne aus als Teilnehmer<br />
an dem grausigen Tribunal, dann<br />
wieder als Mitangeklagter identifi ziert<br />
wird. Unbehaglich. Neubecker und Fabian<br />
haben den literarischen Expressionismus<br />
und bekannte expressionistische<br />
Filmbilder aus z.B. „Metropolis“, „Das<br />
Cabinet des Dr. Caligari“ hervorragend<br />
umgesetzt, dabei aber auch nicht mit<br />
listigen Anleihen bei Monty Python<br />
gespart. Maschinengeräusche und<br />
Choreographien erinnern an Fritz Lang,<br />
<strong>Zeit</strong>lupen des Schreitens an „The Ministry<br />
of Silly Walks“. Das Danton´sche<br />
Tribunal unter dem brüllenden Untersuchungsrichter<br />
(Andreas Möckel)<br />
drückt auch den Zuschauer tiefer in den<br />
Sitz. Man ahnt: hier gibt es kaum ein<br />
Entkommen. Ein Geniestreich.<br />
Erbarmungslos<br />
Josef K. erlebt entsetzt die Erbarmungslosigkeit<br />
des geheimnisvollen Systems<br />
an der gnadelosen Exekution seiner<br />
Wächter, an der Gewalt gegen die Frau<br />
des Gerichtsdieners (Anne-Catherine<br />
Studer). Sein Fragen nach dem Ende<br />
der Qual wird ihm vom Auskunftgeber<br />
(Lutz Wessel) zynisch beantwortet:<br />
„Nur was nicht aufhört weh zu tun,<br />
bleibt im Gedächtnis“. Nicht einmal<br />
der Geistliche (Thomas Braus), der<br />
durch den Glockenschlag der Kathedrale<br />
auf den Plan gerufen wird, ist bereit,<br />
ihm eine hoffnungsvolle Perspektive<br />
zu eröffnen, macht ihm im Gegenteil<br />
vor dem Hintergrund einer riesigen<br />
Thora-Rolle mit der Türhüter-Parabel<br />
das Unvermeidliche klar. Josef K. ringt<br />
bis zum letzten dramatischen Moment,<br />
auch mit der verzweifelten Suche nach<br />
der eigenen Identität („Wer bin ich<br />
denn? Wissen Sie, wer ich bin?“) –Das<br />
Schlussbild zeigt als Symbol der alles<br />
verschlingenden Macht eine riesige<br />
Tresortür.<br />
„<strong>Die</strong> Lüge wird zur Weltordnung gemacht“.<br />
Schmerzhafte Lehre - aber allzu<br />
wahr. Kafkas deprimierende Einsicht ist<br />
bis auf den Tag gültig. Eine hervorragende,<br />
unbedingt sehenswerte Inszenierung.<br />
Am 16. April feierte das Stück<br />
in Wuppertal seine zweite Premiere.<br />
Im Juni und Juli gibt es noch Aufführungstermine<br />
im Opernhaus. Nicht<br />
versäumen!<br />
Frank Becker<br />
Fotos: Joachim Dette<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.wuppertaler-buehnen.de<br />
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