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Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG

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34<br />

Eingeladen<br />

aus Hanna Lemke „Gesichertes“<br />

Antje Kunstmann Verlag<br />

Als Holm versuchte, mir zu erklären,<br />

wovor er Angst hatte, erzählte er eine<br />

Filmszene nach. »Da ist also dieser<br />

Mann«, sagte er. »Er kommt nach Hause,<br />

als Zuschauer weiß man schon, er lebt<br />

allein. Der Mann zieht seine Jacke aus,<br />

geht in die Küche, öffnet die Balkontür.<br />

Es sieht ganz normal aus, als würde er das<br />

immer so machen, wenn er heimkommt.<br />

Und er setzt Wasser auf, steht vor dem<br />

Wasserkocher, wartet. Dann geht er zum<br />

Balkon. Und geht auf den Balkon und<br />

springt. Er springt runter«, sagte Holm,<br />

»er springt über die Balkonbrüstung,<br />

als wäre das eine leichte Hürde, einfach<br />

so. Einfach so.« Wir saßen im Dunkeln<br />

vor Holms Laden, und ich lauschte auf<br />

Holms heisere Stimme; wie alles, was er<br />

sagte, immer kleiner wurde, bevor es in<br />

der Nacht verschwand. Er hatte ganz von<br />

alleine angefangen zu erzählen, in einem<br />

ruhigen, schweren Tonfall. Ich hatte ihn<br />

noch nie so lange reden gehört.<br />

Im Winter hatte Holm einen Zettel<br />

in sein Ladenfenster gehängt: Aushilfe<br />

gesucht. Es war mir im Vorübergehen<br />

aufgefallen, der Zettel blieb noch tagelang<br />

hängen. Von meinem Küchenfenster<br />

aus konnte ich Holms Laden sehen, der<br />

eingerichtet war wie ein Wohnzimmer,<br />

mit zwei dunkelgrünen Sofas, Sesseln und<br />

einer altmodischen Schrankwand. Ich<br />

hatte Holm schon oft dort gesehen, wenn<br />

er abends auf einem der Sofas lag und es<br />

dunkel wurde. Im Laden war meist noch<br />

Fernseherlicht, spät erlosch auch das.<br />

Aber Holm verließ den Laden nicht.<br />

»Wofür brauchst du eine Aushilfe?«, fragte<br />

ich, als ich den Laden betrat, zum ersten<br />

Mal überhaupt. Ich hatte Holm wieder<br />

auf dem Sofa liegen gesehen, jetzt stand<br />

er auf. Er deutete um sich, in den Raum<br />

hinein.<br />

»Für den Laden«, sagte er.<br />

»Das ist ein Laden?«, fragte ich.<br />

»Es soll sogar ein Café sein«, sagte er.<br />

»Aber hier ist doch nie jemand«, sagte ich.<br />

»Doch, manchmal ist hier jemand«, sagte er.<br />

»Wer denn, du?«, fragte ich.<br />

»Ja, ich«, sagte Holm.<br />

Er schaute mich an, als wolle er, ohne zu<br />

fragen, etwas über mich herausfi nden,<br />

und ich entschloss mich, nichts mehr zu<br />

sagen, bis er was auch immer über mich<br />

entschieden hätte. Er hatte etwas an sich,<br />

das mir gefi el. Er wirkte übermüdet und<br />

überlegen, und ich wusste nicht, was es<br />

war. »Ich will, dass immer jemand hier<br />

ist«, sagte er schließlich.<br />

Er ging nach hinten, neben der Schrankwand<br />

war eine Tür, die er öffnete.<br />

»Komm«, sagte er, »ich zeige dir den<br />

Rest. Das ist nämlich meine Wohnung«,<br />

sagte er, als wir auf dem Flur hinter dem<br />

Ladenraum standen. Er klang selbst<br />

nicht ganz überzeugt davon in diesem<br />

Moment, aber dann öffnete er die Tür<br />

zu einem weiteren Raum, in dem ich ein<br />

Bett stehen sah. Holm zeigte mir auch das<br />

winzige Bad und die Küche. »Komm«,<br />

sagte er wieder, auf dem Küchentisch<br />

stand ein Monster von italienischer<br />

Kaffeemaschine, die Holm mit ruhigen<br />

Handgriffen bediente, so langsam, als<br />

solle es eine Vorführung für mich sein.<br />

»Zucker?«, fragte er und gab mir, obwohl<br />

ich den Kopf schüttelte, drei Löffel in den<br />

Kaffee.<br />

»Bist du interessiert an dem Job?«, fragte<br />

er, er dehnte das Wort, Jooob, als wolle<br />

er sich damit über irgendetwas lustig<br />

machen, und ich war mir nicht sicher,<br />

vielleicht über mich. »Wie sieht es denn<br />

aus mit dem Geld?«, fragte ich. »Wie viel<br />

brauchst du?«, fragte er. »Zehn Euro die<br />

Stunde?«, fragte ich. Ich dachte nicht,<br />

dass er Ja sagen würde. »Wann kannst du<br />

anfangen?«, fragte er noch, und schwieg,<br />

als ich sagte: »Ich weiß immer noch nicht<br />

so recht, wofür du eigentlich eine Aushilfe<br />

brauchst. Sofort«, sagte ich dann.<br />

Holm hatte kleine blaue, immer müde<br />

Augen, er sah immer leicht beunruhigt<br />

aus und angegriffen und so, als ginge er<br />

etwas nachlässig um mit sich selbst. Er<br />

war heiser oder verschnupft, fi ebrig oder<br />

hustete, er trug meistens einen Schal und<br />

saß auf dem Sofa wie einer, der sich gerade<br />

wirklich ausruhen muss. <strong>Die</strong> grauen<br />

zwischen seinen aschblonden Haaren,<br />

die Falten auf seiner Stirn waren nicht zu<br />

übersehen.<br />

Drei Abende die Woche war ich in Holms<br />

Laden; am Anfang blieb er oft für eine

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