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Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG

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36<br />

Tonfall, dem man das Vorherüberlegte<br />

anhörte, und so fordernd, dass es wie ein<br />

Befehl klang: »Gibt es auch noch etwas<br />

anderes als Kaffee und Bier!« »Ich schau<br />

mal«, sagte ich.<br />

Auf dem Weg zur Küche sah ich Holm in<br />

dem hinteren Zimmer auf dem Bett liegen,<br />

den Arm über das Gesicht gelegt. Im<br />

Kühlschrank fand ich kleine Flaschen mit<br />

roter Limonade, die ich den Mädchen<br />

mit Strohhalm servierte. Sie saßen ruhig<br />

auf ihren Stühlen. Es war, als würden sie<br />

so tun, als seien sie erwachsen; als würden<br />

sie es spielen, ohne es zu merken. Sie<br />

kicherten, als ich Holms Sonnenbrille<br />

aufsetzte, die viel zu groß war für mein<br />

Gesicht, und nachdem sie beide mit ihren<br />

Strohhalmen eine Weile auf den Böden<br />

der Limonadefl aschen herumgeschlürft<br />

hatten, sagte das kleinere Mädchen sehr<br />

laut: »Zahlen bitte!« »Ihr seid eingeladen«,<br />

sagte ich, und, weil ich mir nicht sicher<br />

war, ob sie wussten, was das hieß: »Ihr<br />

müsst nichts bezahlen.« Bevor sie gingen,<br />

fragte das kleinere Mädchen mich,<br />

ob sie die Flaschen behalten dürften. Ich<br />

nickte und sah ihnen hinterher, als sie,<br />

immer noch wie im Spiel, davongingen.<br />

Holm wachte seufzend auf. Er drehte sich<br />

weg von mir, zur Seite, ich legte mich<br />

neben ihn und presste mich an seinen<br />

Rücken. Es war kaum Platz und fast so,<br />

als müsse ich mich an Holm festhalten,<br />

um nicht herunterzufallen vom Bett. Ich<br />

atmete den süßlichen, dumpfen Geruch<br />

von Holms Schläfrigkeit ein, der sich vom<br />

Ansatz seiner Haare in die Kissen gelegt<br />

hatte, ich atmete tief, dann stand ich<br />

wieder auf und blieb stehen, vor seinem<br />

Bett, während Holm sich umdrehte, mich<br />

anschaute; er blieb liegen, er wusste überhaupt<br />

nicht, was er jetzt tun sollte oder<br />

sagen, das sah ich ihm an.<br />

Wir saßen weit voneinander entfernt an<br />

diesem Abend, und es war fast schon<br />

Nacht, wir saßen auf den Stühlen an den<br />

Tischen vor dem Laden. »Er springt über<br />

die Balkonbrüstung, als wäre das eine<br />

leichte Hürde«, sagte Holm. Im Laden<br />

brannte noch ein kleines Licht, ich trank<br />

rote Limonade. »Einfach so. Einfach<br />

so.« Holms Stimme war leise geworden.<br />

»Und das Schlimme daran war«, fuhr er<br />

fort, »oder vielleicht nicht das Schlimme,<br />

sondern einfach: der Punkt, dass man<br />

nicht verstanden hat, wann der Mann<br />

diese Entscheidung gefällt hat. Es war, als<br />

gäbe es diesen Moment gar nicht. Es war<br />

vielmehr so, als wäre ihm plötzlich etwas<br />

klar geworden. Wie eine Eingebung.« Er<br />

schwieg, dann sagte er noch: »Und das<br />

Schlimme, also das wirklich Schlimme an<br />

dem Film war, es war ein totaler Kitsch,<br />

am Ende schreibt der inzwischen erwachsene<br />

Sohn des Selbstmörders an seinen<br />

Adoptivvater, der übrigens der Bruder<br />

des Selbstmörders ist, eine Post karte, auf<br />

der steht: Du hattest recht, das Leben ist<br />

wirklich schön.«<br />

<strong>Die</strong> rote Limonade war bitter, sie<br />

schmeckte fast wie Campari. Im Nachhinein<br />

war ich erstaunt, dass die Nachbarschaftsmädchen<br />

sie so schnell ausgetrunken<br />

hatten. Ich meinte zu spüren,<br />

wie meine Zunge rauer wurde, bei jedem<br />

Schluck, ich meinte zu spüren, wie es<br />

Holm ging, wie er dort saß, mit seinen<br />

fettigen Haaren, seiner Müdigkeit, Holm,<br />

nie gut erholt, Holm, mit den dunklen<br />

Gedanken, und ich meinte zu wissen, was<br />

ich jetzt sagen sollte, aber er stand auf.<br />

»Du hast dir jetzt auch lang kein Geld<br />

mehr genommen «, sagte er. Er zog sein<br />

Portemonnaie aus der Hosentasche, und<br />

ich sah zu, wie er die Scheine auf den<br />

Tisch blätterte, Fünfziger, Zwanziger.<br />

»Das ist für dich«, sagte er, und als ich<br />

mich nicht bewegte, nahm er das Geld<br />

und reichte es mir. Und als ich mich immer<br />

noch nicht be wegte, kam er zu mir,<br />

packte meine Hand und drückte die<br />

Scheine hinein. »Das bekommst du«,<br />

sagte er. Er ließ meine Hand los, und wir<br />

sahen zu, wie sie ganz schlaff wurde und<br />

wie mein Arm hinuntersank und wie die<br />

Scheine zu Boden fi elen, zwischen unsere<br />

Füße, und wie sie dann, getrieben von<br />

einem leichten Wind, der ich weiß nicht<br />

woher kam, über den Bürgersteig wehten,<br />

bis auf die Höhe der Ladentür, und weiter,<br />

darüber hinaus.<br />

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