C. Krüger-Winter, Homöopathie100 Jahren erkannte. Wir können einechronische Krankheit nur heilen durchArzneien, die auf die konstitutionelleKrankheitsbereitschaft einwirken. Essind nicht nur Umweltfaktoren, son<strong>der</strong>noffensichtlich auch Faktoren, diein <strong>der</strong> Person begründet sind, in ihrerkonstitutionellen Anlage und Entwicklung,die das chronische Geschehenbestimmen.Chronische Krankheit bedeutet für unsaber auch, daß auf dem konstitutionellen„Sumpf" nicht nur eine einzigeKrankheitserscheinung auftreten kann— wie hier die Neuro<strong>der</strong>mitis —, son<strong>der</strong>nje nach „Sumpf" sind auch an<strong>der</strong>eAusdrucksmöglichkeiten für Erkrankungen,z. B. im Schleimhautbereich,gegeben. Aus demselben Sumpf könnenalso nosologisch unterschiedlicheKrankheiten auftreten: Neuro<strong>der</strong>mitis,rezidivierende Bronchitis, Tonsillitis etc.Es ist eine weitere, sehr wichtige Erkenntnis,daß die <strong>der</strong>zeit sichtbareKrankheitserscheinung — hier dieNeuro<strong>der</strong>mitis — keine in sich abgeschlosseneKrankheit ist, son<strong>der</strong>n daßwir es immer mit einem abgeson<strong>der</strong>tenTeil einer tieferliegenden Störung zutun haben — einer chronischen Erkrankung,die sich immer wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong>einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Form äußert.Wenn wir also nur das sichtbare StückKrankheit behandeln, allopathisch,homöopathisch o<strong>der</strong> mit Naturheilverfahren,dann werden wir nicht in <strong>der</strong>Lage sein, den Patienten dauerhaft zuheilen. Er wird entwe<strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong>Hauterscheinungen bekommen(das wäre für ihn <strong>der</strong> günstigere Fall),wobei die auslösenden Anlässe wechselno<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hautausschlag verschwindet,weil er so „gut" behandeltwurde. Der Patient kann aber auch an<strong>der</strong>sreagieren und bekommt einAsthma bronchiale, eine Colitis ulcerosao<strong>der</strong> gelegentlich auch Nieren-Blasen-Störungen.VikariationD. h., es kommt zu einer Verschiebung<strong>der</strong> Störung von einem Keimblatt aufdas an<strong>der</strong>e (Ekto<strong>der</strong>m-Meso<strong>der</strong>m). Eskann auch einmal zu psychischen Störungeno<strong>der</strong> Beschwerden im ZNSkommen, d. h., die Verschiebung geschiehtim selben Keimblatt, es kommtzur Vikariation.Diese Erkenntnis, daß die jeweilssichtbare Krankheit nur ein möglicherAusdruck <strong>der</strong> zugrundeliegendenKonstitution ist, ist sicher ganz entscheidendfür die Therapie. Wenn wirdiesen Mechanismus nicht kenneno<strong>der</strong> nicht erkennen, können wir unskeine Hoffnung machen, die Grundkrankheitmit einer Arznei, die die Gesamtheit<strong>der</strong> Symptome deckt, möglichstauszulöschen.Wie erfahre ich die Fakten <strong>der</strong> Konstitutionund <strong>der</strong> anlagebedingten Krankheitsbereitschaft,um behandeln zukönnen? Wir haben nur eine Möglichkeit:nur durch die Anamnese, allerdingsin sehr ausgedehnter Form: Nichtnur die gegenwärtigen Beschwerden,<strong>der</strong> gegenwärtige Befund (selbstverständlichinklusive Labor etc.), das gegenwärtigeBefinden sind zu erfragen,son<strong>der</strong>n auch die Anamnese desKrankwerdens, die gesamte Biographiedes Menschen, einschließlich seiner sozialenund <strong>der</strong> Familienanamnese.Ich möchte dazu über eine Anamneseberichten. Die sechseinhalbjährige S.wird mir vorgestellt, weil sie pausenloserkältet ist. Sie kam mit empfindlicher,trockener Haut zur Welt, berichtet dieMutter. Mit 3 Monaten stellte sich einAusschlag im Gesicht ein. An denWangen traten Ekzemflecken auf, diedann näßten. Sie wurde mit Kortisonbehandelt. Die Hauterscheinungenverschwanden nur kurz, kamen wie<strong>der</strong>,begannen auch an den Fingern.Mit eineinhalb Jahren wurde sie kurzfristigvon einem homöopathischenKollegen mit Sulfur behandelt, daraufBesserung des Ausschlages. DieMilchernährung wurde auf Sojamilchumgestellt. Nach einiger Zeit bekamsie eine Angina tonsillaris. Die Mutterging nun nicht zum Homöopathen,son<strong>der</strong>n zum Hausarzt. S. bekam einAntibiotikum. Die Haut war danachein halbes Jahr viel schlechter. Dannkam eine Otitis media purulenta. Siebekam wie<strong>der</strong> ein Antibiotikum. DieOtitiden rezidivierten mehrfach, bis ihrmit 4 Jahren die Adenoide entferntwurden. Die Hauterscheinungen bliebenan den Wangen und an den Fingernin wechseln<strong>der</strong> Stärke. Nach <strong>der</strong>Adenotomie trat keine Otitis mehr auf,nun war sie aber oft erkältet mit ziemlicherBeeinträchtigung des Allgemeinbefindens,weshalb wie<strong>der</strong>um Antibiotikaverabreicht wurden. Zweimal bekamsie ein Antibiotikum wegenStreptokokken-Angina. Seit einemJahr hat sie nun Probleme mit dem„Schnaufen", wie die Mutter sagt. Eswurde eine spastische Bronchitis diagnostiziert.Die Erkältungen kommennun alle 2 Wochen, die Nase ist chronischentzündet. Das Ekzem sitzt jetztin den Axillen, an den Handgelenkenund in den Ellenbeugen. Die Wangensind nur mäßig betroffen.Bei S. haben wir es also mit einer Schwächeo<strong>der</strong> Min<strong>der</strong>wertigkeit im BereichHaut, Schleimhaut, lymphatisches Gewebezu tun. Wir rechnen diese Konstellation,diesen „konstitutionellen Sumpf",dem sogenannten psorischen Formenkreischronischer Krankheiten zu.Solche Anamnesen sind eher die Regelals die Ausnahme bei Kin<strong>der</strong>n, die inmeine Praxis kommen. Hier sehen Sieauch ganz deutlich, daß eine Erkrankung„erfolgreich" behandelt ist unddie nächste schon auf <strong>der</strong> Schwellesteht. Jede Erkrankung für sich ist allopathischkorrekt behandelt. Sie könnendas auch homöopathisch genauso „erfolgreich"behandeln, wenn Sie nur dievor<strong>der</strong>gründigen Beschwerden sehen.Dann kommt das Kind genauso oft wie<strong>der</strong>wie bei allopathischer Behandlung.Damit haben Sie die Grundstörungnicht erfaßt und nicht beseitigt. Sieschieben das Problem nur hin und her.Chronische konstitutionelleStörungenErst wenn wir uns um die chronischekonstitutionelle Störung kümmern undArztezeitschnft für Naturheilverfahren 35, 2 (1994) 117
C. Kruger-Winter, Homöopathieversuchen, sie in den Griff zu bekommen,wird <strong>der</strong> Patient gesun<strong>der</strong> und,wenn wir Gluck haben, eines Tages gesund.Die einzelne Krankheit ist nur eineEtappe in einem kontinuierlichen Prozeß.Wenn Heilung erfolgen soll, muß<strong>der</strong> ganze Prozeß des Krankwerdens bisin die Vergangenheit aufgespurt werden.Die Gesamtheit <strong>der</strong> Symptome, die wirzur Krankheitserkenntnis benotigen,umfaßt also auch die Biographie. Damitwird die scheinbar so wohlgeordnetenosologische Einheit einer diagnostischabgrenzbaren Krankheit überschritten.Die Erkrankungen von S. sind exakteBeschreibungen ortlicher pathologischerAbweichungen. Die Therapie warungenügend, weil sie sich nur auf dieeinzelnen Manifestationen einesGrundleidens bezog. Die biographischeBetrachtung zeigt hier deutlich, daß dieeinzelnen Krankheitsetappen nur dieherausragenden Spitzen des Eisbergssind, <strong>der</strong> unter <strong>der</strong> Oberflache eineEinheit bildet.Das genau ist die Erkenntnis, die unsHahnemann vermittelt hat in seinen„Chronischen Krankheiten": Man mußdie Grundstorungen in ihrem ganzenUmfang kennen, die als einheitlicheDisposition den verschiedenen Phaseneiner chronischen Krankheit zugrundeliegen. Damit sind die einzelnen Krankheitsetappennicht zufällige, ungeordnetePhänomene, son<strong>der</strong>n sie haben ihrenGrund in <strong>der</strong> Person des Kranken.Wenn wir das begreifen, verstehen wirHahnemanns Anweisung zur homöopathischenMittelwahl, nämlich: „Behandlenicht die einzelnen Krankheiten,son<strong>der</strong>n den Kranken."Das ist <strong>der</strong> Anspruch <strong>der</strong> Homöopathie,personale, konstitutionelle Therapiezu sein. Ich kann einen Menschennicht als Ganzes erfassen, wenn ich dieEntwicklung seines bisherigen Lebensnicht mit einbeziehe.Die biographische Anamnese, das jetzigeBefinden, <strong>der</strong> gegenwartige Befundund die konstitutionellen Zeichenergeben gemeinsam das Material, daszur Arzneifindung bei chronischenKrankheiten erfor<strong>der</strong>lich ist. So hat esKohler formuliert.Die Konstitution ist bisher sehr vernachlässigtworden. Je<strong>der</strong> Infekt imKindesalter wird mit Antibiotika behandelt.Aber warum treten immerneue Infekte auf? Es kann doch nichtnur an den Erregern, an <strong>der</strong> Umweltetc. liegen, die „Ursache" muß tieferliegen, in <strong>der</strong> Konstitution dieses Menschen.Auf Sumpf gedeihen Sumpfpflanzen,nichts an<strong>der</strong>es, das Terrain istausschlaggebend.Wir dürfen auch homöopathisch nichtbei organotroper Behandlung stehenbleiben,wenn wir chronische Krankheitentherapieren wollen. Die Organlasionist das letzte Glied in <strong>der</strong> Kettedes Krankheitsprozesses.Bei S. sind die Neuro<strong>der</strong>mitis, dieBronchitis, die Tonsillitis die sichtbarenGlie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Kette des Krankwerdensbei einer offensichtlichen Schwache imBereich <strong>der</strong> Haut, Schleimhaut unddes lymphatischen Gewebes.Nun brauchen wir zur Behandlung vonS. Symptome, die individuelle Zugedes Kindes verdeutlichen, die diesesKind mit seinen Erkrankungen vonan<strong>der</strong>en mit <strong>der</strong>selben Diagnose unterscheiden.Homöopathie als individuelleTherapieDie Homöopathie ist eine individuelleTherapie. Die homöopathische Krankenbefragunghat die Aufgabe, jeneSymptome zu finden, die den Prozeßin seiner Individualitat repräsentieren.Was ist nun individuell an einem Menschen,was unterscheidet ihn am ehestenvon an<strong>der</strong>en?Aus <strong>der</strong> homöopathischen, subtoxischenArzneimittelprufung am Gesundenerhalten wir Symptome, die <strong>der</strong>Hierarchie <strong>der</strong> Person entsprechen:nämlich Geistes- und Gemutssymptome,die das Arzneimittelbild in dieWirksphare auch psychopathologischerZustande hineintragen. Wir findenAllgemeinsymptome, d. h. Symptome,die den ganzen Menschen betreffen,wie kalorische Modalitaten,und Symptome, wie Warme- und Kalteeinflussebzw. -empfindlichkeiten.Bewegungsmodalitaten, Tages- undJahreszeitenrhythmik, Periodizitat, auchdie große vegetative Symptomatik wieAppetit, Hunger, Durst, Abneigungund Verlangen bestimmter Nahrungsmittel,Unverträglichkeiten von Lebensmitteln,Stuhl, Schweiß, Schlaf,hormonelle Symptomatik und Sexualverhalten:Das alles sind Symptome,die von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlichund individuell sind.Der Habitus, die somatische Konstitution,<strong>der</strong> Allgemeinstatus <strong>der</strong> herkömmlichenKrankheitsanamnese und<strong>der</strong> Lokalbefund stehen im Rang hinterden individuellen Geistes-, Gemüts-und Allgemeinsymptomen.Alle diese Symptome können nunnach § 153 Organon so auffallend,son<strong>der</strong>lich und eigenheitlich, d. h. soindividuell sein, daß sie an die ersteStelle unserer Ordnung für die Mittelwahlkommen. D. h., ein auffallendes,charakteristisches, individuelles Symptomkann ein Geistes- o<strong>der</strong> Gemutssymptomo<strong>der</strong> ein Allgemeinsymptomo<strong>der</strong> ein lokales Symptom sein.Vergessen sollte hier auch nicht dasauslosende o<strong>der</strong> ätiologische Symptomsein. Man denke z. B. an einen überJahre nagenden Kummer, <strong>der</strong> schließlichzu einem Ekzem, zu einem Magengeschwüretc. fuhrt.Nun haben wir die Anamnese nachden genannten Kriterien erhoben undstehen vor <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Wichtigkeit<strong>der</strong> Symptome.Kommen wir zu S. zurück. Wir habenalso diese Schwache <strong>der</strong> Haut, <strong>der</strong>Schleimhaute, des lymphatischen Gewebes.In <strong>der</strong> Familienanamnese findensich Heuschnupfen bei Vater undMutter, Asthma beim Bru<strong>der</strong> des Vaters.S. ist ein aktives, neugieriges Kind, dassich gut beschäftigen kann. Sie ist nichtangstlich, kann sich durchsetzen.Der Appetit ist nicht beson<strong>der</strong>s, sieißt im großen und ganzen von allem,118 Arztezertschnft für Naturhellverfahren 35 2 (1994)
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