Diplomarbeit - Institut für Germanistik
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4.2 1960er & 1970er Jahre<br />
Bedingt durch die nationalsozialistische Vereinnahmung war der Heimatbegriff<br />
nach 1945 zwar ein belasteter, an einer Aufarbeitung war jedoch vorerst niemand<br />
interessiert, ganz im Gegenteil herrschte noch lange Zeit ein idyllisches,<br />
verklärendes Österreichbild in Literatur und Film vor. Der Heimatroman wurde<br />
von der literarischen Szene entkanonisiert und in die Schublade der Trivialliteratur<br />
abgeschoben, eine kritische Aufarbeitung der ideologischen Implikationen<br />
fand trotzdem oder gerade deswegen über einen längeren Zeitraum nicht statt.<br />
Die ersten Ansätze zu einer kritischen Auseinandersetzung traten erst circa<br />
zwanzig Jahre nach Kriegsende zutage. Nachdem die Gattung der Heimatliteratur<br />
in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten in progressiven literarischen<br />
Kreisen nahezu keine Rolle gespielt hatte, konnte man nun langsam unter einer<br />
neuen Generation von Nachkriegsschriftstellern Tendenzen zur kreativen und<br />
kritischen Auseinandersetzung mit den Themen und Motiven der traditionellen<br />
Heimatliteratur bemerken. 72 Bis zum Aufkommen dieser Welle waren kritische<br />
Reflexionen über die Provinz und/oder die nationalsozialistische Vergangenheit<br />
äußerst dünn gesät. Als erster Anti-Heimatroman gilt Hans Leberts „Die Wolfshaut“<br />
aus dem Jahr 1960. In diesem Roman verdrehen sich zum ersten Mal die<br />
typischen Elemente des Heimatromans ins Negative, werden „die Kulissen gewendet“<br />
73 , der Blick auf das österreichische Heimatbild als „potemkinsche[n]<br />
Veranstaltung“ 74 frei. Das Dorf – im Heimatroman noch ein Hort der Geborgenheit<br />
– wird zu einem Ort des Unbehagens und des Verbrechens. An die Stelle<br />
der idyllischen Gegenwart treten die Schatten der Vergangenheit. Die Natur erweist<br />
sich als feindselig den Menschen gegenüber. Neben Lebert sind noch<br />
Thomas Bernhards „Frost“ (1963), Gerhard Fritschs „Fasching“ (1967) und<br />
Gerd Jonkes „Geometrischer Heimatroman“ (1969) als Anti-Heimatromane der<br />
sechziger Jahre zu nennen.<br />
72<br />
A. a. O., S. 4.<br />
73<br />
Zeyringer 2001, S. 167.<br />
74<br />
Sebald, W. G.: Damals vor Graz – Randbemerkungen zum Thema Literatur & Heimat. In:<br />
Görner, Rüdiger (Hg.): Heimat im Wort. Die Problematik eines Begriffes im 19. und 20. Jahrhundert.<br />
München: Iudicium 1992, S. 131 – 139, S. 132.<br />
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