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Manuskript zur Theoretischen Physik Ia - Institut für Theoretische ...

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EinführungAufgabe der <strong>Physik</strong> ist es, grundlegende Naturphänomene zu beschreiben. Dies erfolgt mit zweiZielsetzungen:Erkenntnisgewinn, wie z.B. Struktur des UniversumsAnwendungen in der Technik, Medizin, Wirtschaftswissenschaften . . .Die <strong>Physik</strong> lebt von dem Zusammenspiel von Experiment (bzw. Beobachtung in der Astronomie)und Theorie, die komplementäre Rollen spielen.ExperimentTheorieBeobachtung von möglichstFormulierung von möglichst❍❨elementaren Phänomenen ❍❍elementaren Grundgesetzen❍❍❍❍❍❍ MathematischeMessung❍❍❍Verifikation Vorhersage❍ ❍ Struktur❄ ✟ ✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✯ ❍❍❍ ❄✛✲Quantitative DatenAuswertung von FormelnVergleichDas Ziel der theoretischen <strong>Physik</strong> ist es, elementare Grundgesetze (z.B. die Newton’schen Axiome)zu formulieren und mit Hilfe eines mathematischen Formalismus hieraus konkrete Aussagenüber Naturphänomene (z.B. Planetenbahnen) zu machen. Dies erlaubt Vorhersagen vonPhänomenen (z.B. die Existenz des Neptuns durch J.C. Adams und U.J.J. Le Verrier, der dann1846 in der Nähe der vorhergesagten Position gefunden wurde). Gleichzeitig dient der Vergleichmit den beobachteten Daten der Verifikation oder auch Falsifizierung (z.B. Periheldrehung desMerkurs) von elementaren Grundgesetzen.Hier beschäftigen wir uns mit der nichtrelativistischen klassischen Mechanik, die die Bewegungvon makroskopischen Körpern mit Geschwindigkeiten, die deutlich kleiner als die Lichtgeschwindigkeitsind, beschreibt. Unser Ziel ist dabei:• die Beschreibung von Planeten, Fußbällen, Schaukeln oder Kreiseln• die mathematischen Formulierung physikalischer Sachverhalte an anschaulichen Beispielenzu erlerneniv


LiteraturverzeichnisH. Goldstein, C. P. Poole, and J. L. Safko, Classical Mechanics (Addison Wesley, 2001), derKlassiker, auch in Deutsch erhältlich.J. Honerkamp and H. Römer, Klassische <strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> (Springer, Berlin, 1993).F. Scheck, <strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> 1, Mechanik (Springer, Berlin, 1999), etwas mathematischer.W. Nolting, Grundkurs <strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>, Bände 1+2, Klassische Mechanik/Analytische Mechanik(Springer, Berlin, 2001).A. Sommerfeld, Vorlesungen über <strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>, Mechanik (Harri Deutsch, Frankfurt,1994), eine ältere Darstellung, die auch auf die Entwicklungsgeschichte eingeht.F. Kuypers, Klassische Mechanik (Wiley/VCH, Weinheim, 1997).A. Budo, <strong>Theoretische</strong> Mechanik (Wiley/VCH, Weinheim, 1990).L. D. Landau and E. M. Lifschitz, Lehrbuch der <strong><strong>Theoretische</strong>n</strong> <strong>Physik</strong>, Band 1, Mechanik (HarriDeutsch, Frankfurt, 1997), geniale aber eigenwillige Lehrbuchreihe <strong>zur</strong> <strong><strong>Theoretische</strong>n</strong> <strong>Physik</strong>;zum Einstieg eher weniger geeignet.T. Fließbach, Lehrbuch <strong>zur</strong> <strong><strong>Theoretische</strong>n</strong> <strong>Physik</strong> 1. Mechanik (Spektrum Akad. Verlag, Heidelberg,1999).R. Jelitto, <strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>, Bände 1+2 (Aula, Wiesbaden, 1991).W. Greiner, <strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>, Bände 1+2 (Harri Deutsch, Frankfurt, 1989).v


Kapitel 1Mechanik freier Teilchen1.1 Formulierung des Mechanik1.1.1 BahnkurvenWir untersuchen ein System aus N Teilchen. Diese sollen nicht in ihrer Bewegung eingeschränktsein, weswegen wir von freien Teilchen sprechen. Die Teilchen nehmen wir als punktförmig an,und ordnen jedem Teilchen i (mit i = 1, . . . N) einen Punkt P i im affinen dreidimensionalenPunktraum zu.Ein affiner Raum ist ein Punktraum mit Elementen P, Q, R und zugeordnetem reellen dreidimensionalemVektorraum V mit Skalarprodukt wobei1. Für alle (P, Q) gibt es ein r = −→ P Q ∈ V2. Für alle (P, r) gibt es ein Q mit −→ P Q = r = −→ P Q3. Für alle (P, Q, R) gilt: −→ P Q + −→ QR = −→ P RZeichnet man einen Punkt O als Ursprung aus, so wird dann jedem Teilchen i am Ort P i derVektor r i = −−→ OP i zugeordnet. Bezüglich einer Basis e x , e y , e z des Vektorraumes gilt dannr i = x i e x + y i e y + z i e zund dem Teilchen i werden die Koordinaten (x i , y i , z i ) zugeordnet.Der reelle Parameter t (die Zeit) beschreibt die Veränderung des Systems, indem er eine Parametrierungder Bahnkurven r i (t) aller Teilchen erlaubt. Ein Spezialfall ist die geradliniggleichförmigeBewegung r i (t) = r i (0) + v i t mit konstantem Geschwindigkeitsvektor v i .1.1.2 Newton’sche AxiomeDie zentrale Frage der Mechanik ist, wie die Bewegungen der Teilchen (Planeten, Fußbälle,. . . )zustande kommen. Die Erfahrung zeigt, dass man die Bewegungen durch die Einführung von1


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 2Kräften F i , die auf die Teilchen wirken, geschickt beschreiben kann. Diese Kräfte sind dabeidefiniert über dieNewton’schen Axiome (1686)1. Ein Teilchen bleibt genau dann in Ruhe oder gleichförmig geradliniger Bewegung, wennkeine Kräfte auf es wirken. Trägheitsprinzip → Definition des kräftefreien Zustandes2. Die Beschleunigung ¨r i (t) eines Teilchens ist proportional <strong>zur</strong> Kraft F i (t), die auf dasTeilchen wirkt. Der Proportionalitäts-Faktor ist die träge Masse m i des Teilchens i. Esgilt alsoF i (t) = m i¨r i (t)→ Definition der Kraft3. Die Kraft F ij , die das Teilchen j auf das Teilchen i ausübt, ist entgegengesetzt gleichder Kraft F ji des Teilchens i auf das Teilchen j(actio gleich reactio)F ij = −F ji4. Die Kräfte F ij auf das Teilchen i addieren sich vektoriell. d.h.F gesamti= ∑ jF ijBemerkungen• Das dritte Newton’sche Axiom legt das Massenverhältnis der einzelnen Körper fest. AlleMassen und Kräfte sind aber nur bis auf einen konstanten Faktor definiert. Dieser istdurch die willkürliche Wahl des Kilogramms 1 gegeben.• Wesentlich <strong>für</strong> das Programm der Mechanik ist, dass die Kräfte einfache Funktionen desOrtes (und manchmal auch der Geschwindigkeit, z.B. die Lorentzkraft) sind. Deswegenwird das GravitationsgesetzF ij = −γm im j|r i − r j | (r 3 i − r j )auch häufig als fünftes Newton’sches Axiom bezeichnet.• Die Newton’schen Axiome sind invariant gegenüber Galilei-Transformationen O → O ′mit −−→ OO ′ = r 0 + u 0 t.1 Das Kilogramm ist seit 1889 durch das Ur-Kilogramm, einen in Paris gelagerten Platin-Iridium-Block definiert,siehe z.B. E. Göbel: <strong>Physik</strong>alische Blätter 57, 35 (2001).


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 31.1.3 Determinismus der klassischen MechanikBei bekannten Funktionen der Kräfte F i (r 1 , . . . r N , t) wird die Bewegung der Teilchen durch einSystem von 3N expliziten Differentialgleichungen 2. Ordnung in den Teilchenkoordinaten¨r i (t) = 1 m iF i (r 1 (t), . . . r N (t), t)in den Teilchenkoordinaten (x i , y i , z i ) bestimmt. Die Mathematik zeigt, dass es eine eindeutigeLösung gibt, wenn 6N unabhängige Randbedingungen vorgegeben sind und F i (r 1 , . . . r N , t) einegutmütige Funktion (Lipschitz-Bedingung) ist (Satz von Cauchy, Picard und Lindelöf). Damitist bei vorgegebenen Anfangsbedingungen r i (0), ṙ i (0) <strong>für</strong> alle i = 1, . . . N das Verhalten desSystems <strong>für</strong> alle Zeiten vorbestimmt. Demnach ist die klassische Mechanik eine deterministischeTheorie. Aufgrund ihres Erfolges im 18. und 19. Jahrhundert hat sie ein Bild der <strong>Physik</strong> alsinhärent deterministischer Theorie in unser Bewusstsein eingeprägt, das man durchaus in Fragestellen kann.Den entsprechenden Satz kann man sich wie folgt klar machen: Führen wir die Geschwindigkeitenv i (t) = ṙ i als neue Variable ein, so erhält man 6N Differentialgleichungen 1. Ordnung˙v i (t) = 1 m iF i (r 1 (t), . . . r N (t), t)ṙ i (t) = v i (t)Diskretisiert man die Zeitachse in Zeitschritte t n = n∆t so kann man überv i (t n+1 ) = v i (t n ) + ∆t 1 m iF i (t, r 1 (t n ), . . . r N (t n ))r i (t n+1 ) = r i (t n ) + ∆tv i (t n )<strong>für</strong> n = 1, 2, . . . aus der Kenntnis von r i (0), v i (0) die Bahnkurve rekursiv <strong>für</strong> alle Zeiten bestimmen.Für ∆t → 0 wird das Verfahren, das als Euler-Verfahren bezeichnet wird, exakt underlaubt eine numerische Berechnung der Bahnkurven. (Es gibt aber deutlich bessere Verfahren,die mit Verkleinerung des Zeitschrittes schneller gegen die richtige Lösung konvergieren.)1.2 Mechanische Größen1.2.1 KräfteDie Gesamtkraft F i auf eine Teilchen i kann man aufteilen in:Äußere Kräfte F (a)iF (a)i(r i , t), die nur vom Ort r i des betrachteten Teilchens abhängen. (Z.B.(r i , t) = −m i ge z im homogenen Schwerefeld)Innere Kräfte F (in)i (r 1 , . . . r N , t), die auch vom Ort der anderen Teilchen abhängen. Hierbeihandelt es sich in der Regel um Zwei-Körper-Kräfte(Z.B. die Gravitationskraft).F (in)i (r 1 , . . . r N , t) = ∑ j≠iF ij (r i , r j , t)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 41.2.2 PotentialWir definieren:V (r 1 , . . . r N , t) ist das Potential des N-Teilchen Systems, wenn <strong>für</strong> alle Teilchen i gilt:F i (t) = − ∂∂r iV (r 1 , . . . r N , t)Mit den Kräften sind natürlich auch die Potentiale verschiedener Wechselwirkungen additiv.Beispiele:Für äußere Kräfte existiert V (a)i (r i , t) mitgenau dann, wenn rot F (a)i (r, t) = 0 gilt.F (a)i (r i , t)(t) = − ∂ V (a)i (r i , t)∂r iFür innere Zwei-Körper-Kräfte der Form F ij = f ij (r i − r j , t), die nur von der Differenz derOrte abhängen, gilt: Ist rot f ij (r, t) = 0, so existiert V ij (r, t) mit f ij (r, t) = −∇V ij (r, t) und dasPotential lautetV (in) (r 1 , . . . r N , t) = ∑ V ij (r i − r j , t) (1.1)i


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 81.4.1 Reduktion auf ein Einteilchen-ProblemDer Impulssatz und die gleichmäßige Schwerpunktbewegung liefernwobei aus der AnfangsbedingungR(t) = R(0) + VtR(0) = m 1r 1 (0) + m 2 r 2 (0)m 1 + m 2und V = m 1ṙ 1 (0) + m 2 ṙ 2 (0)m 1 + m 2bestimmt ist. Nun kann man als zweite Variable die Relativkoordinate r = r 1 − r 2 einführen.Es giltr 1 = R + m 2M r r 2 = R − m 1M rDaraus folgt:und somit¨r = 1 m 1(− ∂V∂r 1)− 1 m 2(− ∂V∂r 2)∂V (r)µ¨r = −∂r=} {{ }= ∂V∂r 1( 1m 1+ 1 m 2) (−)∂V (r)∂rmit der reduzierten Masse µ = m 1m 2m 1 + m 2Damit wurde das Problem auf das eines Teilchens mit reduzierter Masse in einem äußerenPotential V (r) reduziert. Die Anwendung von 6 Integralen der Bewegung erlaubte es, 3 Differentialgleichungenzweiter Ordnung zu eliminieren.1.4.2 Lösung des Einteilchen-ProblemsIn Schwerpunkt- und Relativ-Koordinaten gilt (nachrechnen!)L ges = MR × Ṙ + µr × ṙ } {{ }L relund E ges = M 2 Ṙ2 + µ 2 ṙ2 + V (r)} {{ }E relDa R(t) = R(0) + Vt, sind MR × Ṙ und M/2 Ṙ2 jeweils zeitlich konstant und somit sind auchL rel und E rel Erhaltungsgrößen.Aus L rel (t) = L rel (0) = L folgt sofort, dass r(t) auf die Ebene senkrecht zu L beschränkt ist.Wir haben also nur noch ein zweidimensionales Problem und führen Polarkoordinaten ρ, ϕ ein.Dann giltL = µρ 2 ˙ϕ (1.7)Der Energiesatz liefertE rel = µ 2(˙ρ 2 + ρ 2 ˙ϕ 2) + V (ρ) = µ 2 ˙ρ2 + L2+ V (ρ) (1.8)2µρ2


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 9und wir haben mit Hilfe der 10 Integrale der Bewegung das Problem auf zwei Differentialgleichungen(1.7,1.8) erster Ordnung <strong>für</strong> ρ und ϕ reduziert. Gl. (1.8) liefert√ ()2˙ρ = ± E rel −L2µ 2µρ − V (ρ) =: f(ρ)2Dies ist eine separable Differentialgleichung, die sich nach Division durch f(ρ) mit Hilfe einerIntegration über t ′ lösen lässt. Wir erhalten:t =∫ t0dt ′ dρ(t′ )dt ′ 1f(ρ(t ′ )) = ∫ ρ(t)ρ(0)dρ 1f(ρ)Dies ist ein impliziter Ausdruck <strong>für</strong> ρ(t). Qualitativ erhält man eine periodische Schwingungzwischen den beiden Umkehrpunkten ρ min und ρ max , bei denen E rel = L2 +V (ρ) gilt. Einsetzen2µρ 2in Gl. (1.7) liefert dann∫ tϕ(t) = ϕ(0) + dt ′ L0 µρ 2 (t ′ )Da in der Regel die Periodendauer von ρ(t) nicht mit der 2π-Periodizität von ϕ(t) zusammenfällt,schließt sich die Bahnkurve nicht. Die Bahnkurve läuft auf einer zweidimensionalenMannigfaltigkeit.(1.9)1.4.3 Kepler-ProblemEine Besonderheit liegt vor, wenn F · r = V (r) gilt, d.h. <strong>für</strong> Potentiale V (r) ∝ −1/r, wiedas Gravitationspotential V (r) = −γMµ/r. Dann gibt es mit dem Lenz-Runge-Vektor A =ṙ × L + V (r)r ein weiteres Integral der Bewegung, das die Bewegung auf eine eindimensionaleMannigfaltigkeit reduziert (nachrechnen!). Wir erhalten somit geschlossene Bahnkurven, fallsdas Teilchen nicht in das Unendliche entflieht. A liegt in der Bahnebene und wir definierenϕ = ∠(A, r). Dann erhalten wir mit der Rechenregel a · (b × c) = c · (a × b) <strong>für</strong> SpatprodukteAρ cos ϕ = r · A = L · (r × ṙ) − γMµρ = L 2 /µ − γMµρ ⇒ ρ(ϕ) = L2µFerner ist1γMµ + A cos ϕA 2 = (ṙ × L) · (ṙ × L) + 2V (r)r · (ṙ × L) + V 2 (r)r 2 = . . . = 2L 2 E rel /µ + γ 2 M 2 µ 2Für A < γMµ (d.h. E rel < 0) erhalten wir eine Ellipse, wobei A zum Perihel (Minimum vonρ) zeigt. Für die Umlaufzeit liefert Gl. (1.9)T = 2∫ ρmaxρ mindρ√ µ2ρ√Erel ρ 2 + γMµρ − L 2 /2µ 2 = 2πγM ( µ−2E rel) 3/2(1.10)Mit der großen Halbachse a = (ρ(π) + ρ(0))/2 = γMµ/(−2E rel ) der Ellipse erhält man dasdritte Kepler’sche Gesetz T 2 /a 3 =const.Kleine Abweichungen vom 1/r Potential führen dazu, dass sich die Ellipse nicht exakt schließt.Man spricht von einer Periheldrehung. Die bereits im 19. Jhd. beobachtete Periheldrehung desMerkurs, die sich nur zum Teil durch die Gravitationswechselwirkung mit den anderen Planetenerklären ließ, war somit ein Hinweis auf Abweichungen vom Newton’schen Gravitationsgesetz,die im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie erklärt werden konnte.


Kapitel 2Mechanik mit Zwangsbedingungen2.1 Einführendes BeispielWir betrachten eine Kugel der Masse m, die mit einem Faden der Länge l im Ursprung aufgehängtist. Sie soll dabei in der x, z-Ebene schwingen können (ebenes Pendel). Damit schränktder Faden die freie Bewegung der Kugel auf eine Kreisbahnl 2 = x 2 (t) + z 2 (t)ein. Dies bezeichnet man als Zwangsbedingung. Auf die Kugel wirken zwei Kräfte:1. die Gewichtskraft K = −mge z2. die Fadenkraft Z, die zunächst nicht bekannt ist. Sie bewirkt, dass die Kugel auf einerKreisbahn um den Ursprung bleibt und wird deswegen als Zwangskraft bezeichnet. Dabeiwirkt die Zwangskraft längs des Fadens, d.h. Z(t) ‖ r.Aus dem zweiten Newton’schen Axiom folgt die Bewegungsgleichungm¨r = F(t) = K + Z(t)<strong>für</strong> die in diesem Kapitel Lösungsverfahren entwickelt werden sollen.2.1.1 Lösung mit ZwangskräftenDa Z(t) ‖ r machen wir den Ansatzund erhalten die drei GleichungenZ(t) = λ(t)r(t)mẍ = λ(t)x(t)m¨z = λ(t)z(t) − mgl 2 = x 2 + z 2 (2.1)10


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 11<strong>für</strong> die drei Unbekannten x(t), z(t), λ(t), die prinzipiell lösbar sind 1 . Dieses Verfahren wird alsLagrange’sche Methode 1. Art bezeichnet.2.1.2 Lösung mit PolarkoordinatenWir führen Polarkoordinaten z = −r cos ϕ, x = −r sin ϕ ein. Mite r =∂r(r, ϕ)∂rerhalten wir die Bewegungsgleichung= − cos ϕe z − sin ϕe x e ϕ = 1 r∂r(r, ϕ)∂ϕ= sin ϕe z − cos ϕe xm(¨re r + 2ṙ ˙ϕe ϕ + ¨ϕre ϕ − ˙ϕ 2 re r ) = −mg(− cos ϕe r + sin ϕe ϕ ) + Z(t)Nun besagt die Zwangsbedingung, dass r(t) = l und Z(t) ‖ e r gilt. Multiplikation der Bewegungsgleichungmit e ϕ liefert also:m ¨ϕl = −mg sin ϕ (2.2)Damit haben wir eine einfache Differentialgleichung <strong>für</strong> ϕ(t) erhalten. Da hierdurch die Bewegungder Kugel eindeutig beschrieben wird, bezeichnet man ϕ(t) als generalisierte Koordinatedes Problems.Dies zeigt, dass eine geschickte Wahl der Koordinaten die Arbeit erheblich erleichtert. DieAufgabe der Theorie ist es, Verfahren anzugeben, wie man die Differentialgleichung <strong>für</strong> diegeneralisierten Koordinaten allgemein herleiten kann (→ Lagrange’sche Gleichungen 2. Art).2.2 Formulierung des Problems2.2.1 ZwangsbedingungenWir betrachten ein System von N Teilchen im dreidimensionalen Raum. Zusammen bilden sieden 3N-dimensionalen Konfigurationsraum der Vektor-Tupel (r 1 , r 2 , . . . r N ). Zwangsbedingungenschränken die freie Bewegung der Teilchen ein. Diese werden wie folgt klassifiziert:• Die Zwangsbedingung nennt man holonom (gr. ganzgesetzlich), wenn sie sich in der FormB(r 1 , . . . r N , t) = 0 schreiben lässt.• Die Zwangsbedingung nennt man skleronom (gr. starrgesetzlich), wenn sie nicht explizitvon der Zeit abhängt. Ansonsten nennt man sie rheonom (gr. fließgesetzlich).Hat man s unabhängige Zwangsbedingung α = 1, 2 . . . s, so hat das System f = 3N − sFreiheitsgrade. Sind alle Zwangsbedingungen holonom, d.h. der Form B α (r 1 , . . . r N , t) = 0, soist die Bewegung auf eine f-dimensionale Mannigfaltigkeit im Konfigurationsraum beschränkt.1 Ein Lösungsverfahren besteht darin, die dritte Gleichung zweimal nach der Zeit abzuleiten und die zweitenAbleitungen durch die Bewegungsgleichungen zu ersetzen. Wir erhalten damit λ(t) = (gz − ẋ 2 − ż 2 )m/l unddas Problem ist auf zwei gekoppelte Differentialgleichungen reduziert.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 12Beispiel 1: Drei Teilchen sind durch drei Stangen wechselseitig miteinander verbunden. Diessind 3 unabhängige holonome, skleronome Zwangsbedingung. Das System hat f = 3 ∗ 3 − 3 = 6Freiheitsgrade. Dies ist die Bewegung des Schwerpunktes (3 Freiheitsgrade) sowie die Rotationenum alle drei Raumachsen.Beispiel 2: Man betrachte ein Pendel, bei dem die Fadenlänge l(t) mit der Zeit verkürzt wird.Die holonome, rheonome Zwangsbedingung lautet B(r, t) = |r| − l(t) = 0.Beispiel 3: Die Position eines Fahrrades wird durch die beiden Aufsatzpunkte der Reifen r 1 , r 2bestimmt. Wir haben folgende Nebenbedingungen:1. Das Fahrrad fährt in der Ebene z 1 = z 2 = 0 (zwei holonome, skleronome Zwangsbedingungen)2. Der Achsenabstand |r 1 − r 2 | = l ist konstant (eine holonome, skleronome Zwangsbedingung)3. Das Hinterrad bewegt sich in Richtung auf das Vorderrad, d.h. ṙ 2 × (r 1 − r 2 ) = 0 (eineweitere nichtholonome, skleronome Zwangsbedingung)Das Fahrrad hat also lokal zwei Freiheitsgrade der Bewegung: Die Geradeausfahrt und dasLenken. Dennoch kann man durch Rangieren das Fahrrad an alle Orte in der Ebene bringen, solange |r 1 − r 2 | = l gilt. Damit findet die Bewegung auf einer 3-dimensionalen Mannigfaltigkeitstatt.Im Folgenden beschränken wir uns auf holonome Zwangsbedingungen, die sich in der FormB α (r 1 , . . . r N , t) = 0 schreiben lassen.2.2.2 Das d’Alembert’sche PrinzipIn der Newtonschen Bewegungsgleichung spaltet man die Gesamtkraft F i = K i + Z i in diedynamische Kraft K i , die auch ohne Zwangsbedingungen wirkt, und die Zwangskraft Z i , die dieErhaltung der Zwangsbedingung sichert, auf.Wir fordern nun, dass die Zwangskräfte das Prinzip der virtuellen Arbeit ∑ i Z i·δr i = 0 erfüllen,wobei δr i ein beliebiger Satz virtueller (d.h. instantaner) Verrückungen darstellt, die mit allenZwangsbedingungen verträglich sind 2 .Dies machen wir uns mit einer Plausibilitäts-Begründung klar:1. Für das Fadenpendel ist Z ‖ r. Ist die Gesamtlänge konstant, so erfolgen alle Bewegungen(sowohl real dr als auch virtuell δr) tangential zum Kreis |r| = l. Somit ist Z·δr = Z·dr =0.2. Für das Fadenpendel mit veränderlicher Länge l(t) zeigt zu jedem Zeitpunkt t die virtuelleVerrückung δr tangential zum momentan zulässigen Kreis |r| = l(t). Dagegen hat dr eineKomponente ˙l(t)e r dt. Somit gilt Z · δr = 0 und Z · dr ≠ 0.2 Es gibt auch Arten von (nichtholonomen) Zwangsbedingungen, die das Prinzip der virtuellen Arbeit nichterfüllen. Von diesen wollen wir hier absehen. Ein allgemeineres Prinzip ist z.B. das Gauß’sche Prinzip deskleinsten Zwanges, das auch geschwindigkeits-abhängige Zwangsbedingungen beschreibt (siehe z.B. Sommerfeld)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 133. Zwei Teilchen sind durch eine Stange verbunden → B(r 1 , r 2 ) = |r 1 − r 2 | − l = 0. DieZwangskraft wirkt längs der Stange, also Z 1 = λ(t)(r 1 − r 2 ) = −Z 2 wegen Actio gleichReactio. Damit haben wir die Arbeitleistung der Zwangskräfte:[ ] [ ]1 1δA = Z 1 · δr 1 + Z 2 · δr 2 = λ(t)(r 1 − r 2 )(δr 1 − δr 2 ) = λ(t)δ2 (r 1 − r 2 ) 2 = λ(t)δ2 l2 = 0Setzt man das Prinzip der virtuellen Arbeit in die Newton’sche Bewegungsgleichung ein, sofolgt dasd’Alembertsche PrinzipN∑(K i − m i¨r i ) · δr i = 0i=1<strong>für</strong> alle zulässigen virtuellen Verrückungen δr i2.2.3 Lagrange’sche Methode 1. ArtAus dem Prinzip der virtuellen Verrückung folgt <strong>für</strong> holonome Zwangsbedingungen 3 , dass sichdie Zwangskräfte in der Forms∑Z i = λ α (t) ∂ B α (r 1 , . . . r N , t) (2.3)∂r iα=1mit den skalaren Funktionen λ α (t) darstellen lassen.Dies folgt aus folgender Überlegung: Zum Zeitpunkt t sei das System am Ort (r 1 , . . . r N ) desKonfigurationsraums, der mit allen Zwangsbedingungen B α (r 1 , . . . r N , t) = 0 verträglich ist. Diezulässigen virtuellen Verrückungen erfüllen0 = δB α (r 1 , . . . r N , t) = ∑ ∂∂r iB α (r 1 , . . . r N , t) · δr i<strong>für</strong> alle α = 1, 2, . . . sDamit steht jede beliebige zulässige virtuelle Verrückung (δr 1 , δr 2 , . . . δr N ) im Konfigurationsraumsenkrecht zu allen Vektoren ( ∂ ∂∂r 1B α ,∂r 2B α , . . . ∂ B ∂r N α), die somit das orthogonale Komplementzu den virtuellen Verrückungen aufspannen. Da die Zwangskräfte gemäß des Prinzips dervirtuellen Arbeit ebenfalls senkrecht zu allen zulässigen virtuelle Verrückung stehen, gehörensie zu deren orthogonalen Komplement und sind somit in dem von ( ∂ ∂∂r 1B α ,∂r 2B α , . . . ∂ B ∂r N α)aufgespannten Unterraum. Damit ergibt sich sofort die Darstellung (2.3).Damit erhalten wir die 3N Bewegungsgleichungens∑m i¨r i = K i + λ α (t) ∂ B α (r 1 , . . . r N , t)∂r iα=1die zusammen mit den s ZwangsbedingungenB α (r 1 , . . . r N , t)<strong>für</strong> α = 1, 2, . . . s3N + s Gleichungen <strong>für</strong> die 3N + s Variablen r i (t), λ α (t) bilden.<strong>für</strong> i = 1, 2, . . . N3 Die Bedeutung der Lagrange’sche Methode 1. Art liegt darin, dass man sie ebenso <strong>für</strong> nichtholonomeZwangsbedingungen formulieren kann, siehe z.B. Sommerfeld.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 142.2.4 Energiebilanz bei Bewegungen mit ZwangsbedingungenWir nehmen an, dass die dynamischen Kräfte durch ein nicht explizit zeitabhängiges PotentialV (r 1 , r 2 , . . . r N ) beschrieben werden. Also giltK i (t) = − ∂V (r 1, r 2 , . . . r N )∂r iMit Hilfe der Lagrange’schen Methode erster Art folgt:m i¨r i = K i + Z i = − ∂V∂r i+Multiplikation mit ṙ i und ∑ i liefert:s∑α=1λ α (t) ∂∂r iB α (r 1 , . . . r N , t)∑m i ṙ i · ¨r i + ∑ ṙ i · ∂V s∑= λ α (t) ∑ ∂ṙ i · B α (r 1 , . . . r N , t)∂riii∂rα=1 ii} {{ } } {{ }} {{ }= dT= dVdtdt= dBαdt − ∂Bα∂tNun besagt die Nebenbedingung, dass dB α /dt = 0 gilt und wir erhaltenAlso gilt:ds∑dt (T + V ) = − λ α (t) ∂ ∂t B α(r 1 , . . . r N , t)α=1Für skleronome, holonome Zwangsbedingungen ist die Gesamtenergie T + V eine Erhaltungsgröße,wenn das Potential nicht explizit zeitabhängig ist. Dagegen findet bei rheonomenZwangsbedingungen Energiezufuhr/abfuhr mit der Umgebung statt.Dies liegt daran, dass die Zwangskräfte bei rheonomen Zwangsbedingungen nur bei virtuellenVerrückungen keine Arbeit leisten, wohl aber bei realen (zeitabhängigen) Bewegungen desSystems.Beispiel: Ebenes Pendel mit veränderlicher LängeDie holonome, rheonome Zwangsbedingung lautet B(x, z, t) = l(t) 2 − x 2 − z 2 . Damit lautet dieZwangskraftZ = −λ(t)2(xe x + ze z )Dabei ist typischerweise λ(t) > 0, wenn die Zwangskraft zum Aufhängepunkt zeigt (z.B. <strong>für</strong>kleine Auslenkungen |ϕ| < π/2). Damit istWir haben also bei ˙l < 0 eine Energiezufuhr.ddt (T + V ) = −λ(t)2l(t)˙l(t) .


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 15nyn1 2baα10α2xAbbildung 2.1: Skizze <strong>zur</strong> Herleitung des Brechungsgesetzes mit dem Fermat’schen Prinzip2.3 Das Hamilton’sche Prinzip der stationären Wirkung2.3.1 Exkurs: Das Fermat’sche Prinzip in der Optik ∗Ein zentrales Problem der geometrischen Optik ist die Brechung von Licht in Medien mit einemräumlich veränderlichen Brechungsindex n(r). Die Lösung <strong>für</strong> isotrope Medien liefert dasFermat’sche Prinzip: Ein Lichtstrahl folgt dem Weg r(u) von Punkt a = r(0) zum Punkt b =r(1) auf dem der optische Weg (dem Produkt aus dem geometrischen Weg und der Brechzahl)∫ 1W opt = dudr(u)∣ du ∣ n(r(u))extremal (meist minimal) ist 4 . u ∈ [0, 1] ist dabei der Bahnparameter.Für Gebiete mit n =const erhält man somit eine gerade Linie.0Für die Brechung an einer Grenzfläche (in der Ebene x = 0, siehe Fig. 2.1) läuft das Lichtin beiden Halbräumen auf einer geraden Linie, wobei aber der Durchstoßpunkt y durch diex = 0-Ebene variable ist. Wir erhalten√W opt = n 1 a 2 x + (a y − y) 2 + n 2√b 2 x + (b y − y) 2Damit lautet die Bedingung <strong>für</strong> den Extremwert:0 = dW optdy= 2(y − a y )√a2x + (a y − y) 2} {{ }sin α 1n 1 − 2und wir erhalten das Snellius’sche Brechungsgesetz2.3.2 Funktionalesin α 1sin α 2= n 2n 1(b y − y)√ n 2b2x + (b y − y)} {{ 2}sin α 2Ein Funktional ist eine Abbildung, deren Definitionsbereich eine Menge von Funktionen ist.Beispiele:4 Der Hintergrund liegt in der Phase ∫ k(r) · dr = ∫ ds n(r)ω/c der elektromagnetischen Welle.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 16• Menge aller Funktionen f(x) auf dem Intervall [0, 1]. Dann istI{f(x)} =ein Funktional von f(x). Z.B. ist I{x 2 } = 1/3.∫ 10dx f(x)• Menge aller Bahnkurven r(t) in t a < t < t e . Beispiele <strong>für</strong> Funktionale sindMittelwert des Ortes 〈r〉 = 1t e − t a∫ teMittelwert des kinetischen Energie 〈T 〉 = 1t e − t a∫ tet at adt r(t)dt m 2 (ṙ(t))2Ist das Funktional F {f(x)} <strong>für</strong> eine bestimmte Funktion f 0 (x) gegeben, so istδF {f 0 (x)} = F {f 0 (x) + δf(x)} − F {f 0 (x)}die Variation des Funktionals. Dabei ist δf(x) eine beliebige (infinitesimal kleine) Funktion desDefinitionsbereiches. Insbesondere gilt <strong>für</strong>• F 1 {f(x)} = ∫ badx g[f(x)]δF 1 {f 0 (x)} =∫ b• F 2 {f(x)} = ∫ bdx g[f ′ (x)]aund allgemeinδF 2 {f 0 (x)} =∫ baadx g[f 0 (x) + δf(x)] − g[f 0 (x)] =dx g[f ′ 0(x) + δf ′ (x)] − g[f ′ 0(x)] ==g ′ [f ′ 0(x)]δf(x)| b a −∫ ba∫ b∫ bdx δf(x) ddx g′ [f ′ 0(x)]aadx g ′ [f 0 (x)]δf(x)dx g ′ [f ′ 0(x)] ddx δf(x)Für ein Funktional der Form F g {f(x)} = ∫ ba dx g[f(x), f ′ (x)] lautet die Variation an der Stellef 0 (x):∫ b[ ∂g[f0 (x), fδF g {f 0 (x)} = dx0(x)]′ − da∂f dx+ ∂g[f 0(x), f 0(x)]′ bδf(x)∂f ′∣a( )]∂g[f0 (x), f 0(x)]′ δf(x)∂f ′Beispiel: Für das Funktional des Mittelwertes der kinetischen Energie gilt:δ〈T 〉 = 1 [ ∫ te− dt dmṙ(t) · δr(t) + mṙ(t) · δr(t) ∣ ]tet e − t a t adtt a= 1 [ ∫ te− dt m¨r(t) · δr(t) + mṙ(t) · δr(t) ∣ ]tet e − tt a at a(2.4)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 17Damit können wir das Fermat’sche Prinzip über die Variation eines Funktionals ausdrücken:Der Lichtstrahl wählt den Weg r 0 (u) vom Punkt a = r(0) zum Punkt b = r(1) auf dem dasFunktional∫ 1W opt {r(u)} = dudr(u)∣ du ∣ n(r(u))0extremal wird, d.h. die Variation δW opt {r 0 (u)} = 0 verschwindet auf dem Weg des Lichtstrahls.Dabei muss δr(0) = δr(1) = 0 gelten, da Anfangs- und Endpunkt fest sind.Addendum:Die Funktional-Ableitung am Ort x 0 ist die Variation des Funktionals F {f(x)}, wenn die Änderungder Funktion δf(x) nur um x 0 lokalisiert ist. D.h. δf(x) ≈ ɛδ(x − x 0 ) (Mathematischkorrekt muss man eine Regularisierung der δ-Funktion mit endlicher Breite verwenden). Wirschreiben sie in der FormδF {f 0 (x)}δf(x 0 )Z.B. gilt <strong>für</strong> das Funktional aus Gl. (2.4)δF g {f 0 (x)}δf(x 0 )wenn x 0 ∈ (a, b) liegt.= limɛ→0F {f 0 (x) + ɛδ(x − x 0 )} − F {f 0 (x)}ɛ= 1 ∫ bdx ∂g[f 0(x), f 0(x)]′ ɛδ(x − x 0 ) − d ( )∂g[f0 (x), f 0(x)]′ ɛδ(x − xɛ a ∂fdx ∂f ′ 0 )+ ∂g[f 0(x), f 0(x)]′ ɛδ(x − x∂f ′0 ) ∣ b a= ∂g[f 0(x), f ′ 0(x)]∂f∣ − dx=x0dx∂g[f 0 (x), f ′ 0(x)]∂f ′∣∣∣∣x=x02.3.3 Lagrange-Funktion und WirkungsintegralBetrachte ein mechanisches N-Teilchen-System mit den Bahnkurven r i (t) im Zeitintervall [t a , t e ].Das d’Alembert’sche Prinzip liefert uns die Bedingung∫ tet adtN∑(K i (t) − m i¨r i (t)) · δr i (t) = 0 (2.5)i=1<strong>für</strong> alle zulässigen virtuellen Verrückungen δr i (t) entlang der Bahnkurven. Dies ist in Abb. 2.2dargestellt.Nun liegt es nahe, die δr i (t) als Variationen der Bahnkurven zu deuten und analog zum Fermat’schenPrinzip ein Funktional S{r j (t)} zu suchen, dessen Variation δS gerade die Gl. (2.5)ergibt. Dann wird das Funktional S auf der Bahnkurve extremal.Dies ist möglich, wenn die dynamischen Kräfte Potentialkräfte sind, alsoK i (t) = − ∂∂r iV (r 1 , . . . r N , t)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 18ytatar (t)tr (t)12exteAbbildung 2.2: Bahnkurven <strong>für</strong> zwei Teilchen und ihre virtuellen Verrückungen. Dabei wurdendie Bahnkurven am Anfangs- und End-Zeitpunkt festgehalten, d.h. δr i (t a ) = δr i (t e ) = 0.gilt, und wir das FunktionalS{r j (t)} =∫ tet a⎡dt⎢⎣∑im i2 ṙ2 i} {{ }kinetische Energie Tverwenden. Tatsächlich gilt mit (2.4)∫ [te ∑δS{r j (t)} = dt − ∂ V (r 1 , . . . r N , t) · δr i − ∑t a∂ri ii∫ [ ]te ∑= dt (K i (t) − m i¨r i (t)) · δr i + ∑t a ii⎤−V (r 1 , . . . r N , t)⎥⎦dm i ṙ idt· δr i]m i ṙ i · δr i∣ ∣t et a+ ∑ im i ṙ i · δr i∣ ∣t et aWenn wir nun fordern, dass die Variation δr i (t) zum Anfangs- und End-Zeitpunkt verschwindensoll, fällt der letzte Term fort und wir erhalten Gl. (2.5).Hamilton’sches Prinzip:Für ein N-Teilchen-Problem, dessen dynamischen Kräfte K i (t) = −∂V/∂r i durch das PotentialV (r 1 , . . . r N , t) bestimmt sind, definieren wir die Lagrange-Funktion:L(r 1 , . . . r N , ṙ 1 , . . . ṙ N , t) = T (ṙ 1 , . . . ṙ N ) − V (r 1 , . . . r N , t) (2.6)als Differenz von kinetischer und potentieller Energie. Dann sind die möglichen Bahnkurvenr i (t) im Zeitintervall [t a , t e ] mit vorgegebenen Anfangs- und Endpunkten r i (t a ), r i (t e ) dadurchbestimmt, dass die WirkungS{r j (t)} =∫ tet adt L(r 1 , . . . r N , ṙ 1 , . . . ṙ N , t) (2.7)<strong>für</strong> alle virtuellen Verrückungen δr i (t) der Bahnkurven extremal wird. Dabei ist δr i (t a ) =δr i (t e ) = 0 und es dürfen nur solche Bahnkurven und Verrückungen betrachtet werden, diemit den Zwangsbedingungen verträglich sind.Der große Vorteil des Hamilton’schen Prinzips liegt darin, dass es eine koordinaten-unabhängigeFormulierung der Mechanik bietet. Dies wird im folgenden Abschnitt ausgenutzt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 19Die Wirkung S hat die Dimension Js. Dies ist auch die Dimension von , weswegen Planck dieBezeichnung Wirkungsquantum wählte. Tatsächlich gibt es hier einen Zugang <strong>zur</strong> Quantenmechanikin dem man alle möglichen Bahnen r(t) betrachtet und diese mit der Phase e iS/ wichtet(Feynman’sches Wegintegral).2.4 Die Lagrange’sche Methode 2. Art2.4.1 Generalisierte KoordinatenHolonome Zwangsbedingungen schränken die Bewegung des N-Teilchen-Systems auf eine f =3N − s–dimensionale Mannigfaltigkeit ein. Diese kann durch f neue unabhängige generalisierteKoordinaten q 1 , q 2 , . . . q f über die Abhängigkeitparametrisiert werden.Beispieler i = g i (q 1 , q 2 , . . . q f , t) <strong>für</strong> i = 1, 2, . . . N (2.8)Ebenes Pendel: mit Zwangsbedingungen y = 0, x 2 + z 2 = l 2 (t). Verwende q = ϕ, den Polarwinkel(vergleiche Abschnitt 2.1.2), und setze⎛ ⎞x⎛ ⎞−l(t) sin q⎝y⎠ = ⎝z0−l(t) cos q⎠ = g(q, t)wobei zugelassen wurde, dass die Pendellänge von außen verändert werden kann.Gezogenes Pendel: Wir betrachten zwei Teilchen. Diese seien mit einer Schnur der Länge l,die durch eine Öse im Ursprung läuft, verbunden (siehe Abb. 2.3). Ferner sei die Bewegungdes Teilchen 1 auf die x, z-Ebene, und die des Teilchens 2 auf die z − Achse beschränkt.Dies ergibt die 4 holonomen Zwangsbedingungeny 1 = 0, x 2 = 0, y 2 = 0, x 2 1 + z 2 1 = (l − z 2 ) 2Damit werden f = 3 ∗ 2 − 4 = 2 generalisierte Koordinaten benötigt. Wir wählen q 1 =r = √ x 2 1 + z 2 1 und q 2 = ϕ und erhalten:⎛ ⎞ ⎛ ⎞x 1 −r sin ϕ⎝y 1⎠ = ⎝ 0 ⎠ = g 1 (r, ϕ)z 1 −r cos ϕ⎛ ⎞ ⎛ ⎞x 2 0⎝y 2⎠ = ⎝ 0 ⎠ = g 2 (r, ϕ)z 2 r − l2.4.2 Lagrange’sche GleichungenNun sollen die Bewegungsgleichungen auf die generalisierten Koordinaten transformiert werden.Dies gelingt entweder analog zu Abschnitt 2.1.2, indem man im d’Alembert’schen Prinzip die


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 20m1rzϕm2xAbbildung 2.3: Skizze des gezogenen Pendelsneuen Variablen einsetzt (vergleiche Lehrbücher, mühsam), oder direkt über das Hamilton’schePrinzip.Der Kernpunkt ist dabei, dass alle zulässigen Variationen δr i durchδr i = δg i (q 1 , q 2 , . . . q f , t) =f∑j=1∂g i∂q jδq jausgedrückt werden können. Dabei ist die Variation der generalisierten Koordinaten an keineEinschränkungen gebunden. (Die Zeit wird nicht variiert, da die virtuellen Verrückungeninstantan sind.) Damit vereinfacht sich das Hamilton’schen Prinzip ungemein, wenn man esin generalisierten Koordinaten formuliert. Hierzu ersetzen wir in der Lagrange-Funktion die r iund ṙ i über Gl. (2.8) durch die generalisierten Koordinaten q j , q˙j und erhalten so die LagrangefunktionL(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t).Analog zu Gl. (2.4) ist nun die Variation des Wirkungsintegrals durchdt δL(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t) =∫ te∫ teδS{q j (t)} =dtt a t af∑∫ te= dtt aj=1[ ∂L− d ( )] ∂Lδq j (t) +∂q j dt ∂ ˙q jj=1f∑j=1[ ∂Lδq j (t) + ∂L ]δ ˙q j (t)∂q j ∂ ˙q jf∑∂Lδq j (t)∂ ˙q j∣gegeben. Das Hamilton’schen Prinzip besagt nun, dass die Bahn des Systems durch die ForderungδS <strong>für</strong> beliebige Verrückungen δq j (t) bestimmt ist. Damit erhalten wir dieLagrange’schen GleichungenddtBemerkungen( )∂L(q1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t)= ∂L(q 1, . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t)<strong>für</strong> j = 1, 2, . . . f (2.9)∂ ˙q j ∂q j• Die Lagrange’schen Gleichungen liefern ein System von f Differentialgleichungen 2. Ordnungin q i . Zusammen mit den 2f Anfangsbedingungen q i (t 0 ) und ˙q i (t 0 ) sind dadurch dieBahnkurven des Systems bestimmt.• Ohne Zwangsbedingungen kann man die normalen Koordinaten x i , y i , z i <strong>für</strong> i = 1, 2, . . . Nals generalisierte Koordinaten verwenden. Wir erhalten mit L = ∑ i m i/2(ẋ 2 i + ẏ 2 i + ż 2 i ) −t et a


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 21V (x 1 , . . . z N ) z.B.( )d ∂L(x1 , . . . z N , ẋ 1 , . . . ż N , t)= d dt∂ẋ i dt (m iẋ i ) = m i ẍ iund∂L(x 1 , . . . z N , ẋ 1 , . . . ż N , t)= − ∂V (x 1, . . . z N )= F x i∂x i ∂x iSomit werden die Lagrange’schen Gleichungen dann zu den Newton’schen Bewegungsgleichungen.2.4.3 Skizze des allgemeinen VorgehensWir untersuchen ein mechanisches System aus N-Teilchen mit s holonomen Zwangsbedingungen,bei dem die dynamischen Kräfte durch das Potential Ṽ (r 1, r 2 , . . . r N , t) bestimmt sind.1. Identifiziere f = 3N − s generalisierte Koordinaten q j , die über die Beziehungenr i = g i (q 1 , q 2 , . . . q f , t)<strong>für</strong> i = 1, 2, . . . Nden mit den Zwangsbedingungen verträglichen Teil des Konfigurationsraumes aufspannen.2. Bestimme die kinetische EnergieT (q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t) =f∑i=1m i2( ddt g i(q 1 , . . . q f , t)) 2und das PotentialV (q 1 , . . . q f , t) = Ṽ (g 1(q 1 , . . . q f , t), . . . g N (q 1 , . . . q f , t), t)als Funktion der generalisierten Koordinaten3. Bestimme die Lagrangefunktion L(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t) = T − V4. Bestimme die Bewegungsgleichungen der generalisierten Koordinaten aus den Lagrange’schenGleichungen( )d ∂L(q1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t)= ∂L(q 1, . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t)<strong>für</strong> j = 1, 2, . . . fdt∂ ˙q j ∂q j5. Löse die Bewegungsgleichungen q j (t) zu den gegebenen Anfangsbedingungen und bestimmedie Bahnkurven r i (t) = g i (q 1 (t), q 2 (t), . . . q f (t), t) aller Teilchen.Dies soll nun an den zwei Beispielen, die bereits in Abschnitt 2.4.1 angesprochen wurden,illustriert werden:


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 22Ebenes Pendel1. Verwende die generalisierte Koordinate q = ϕ, den Polarwinkel, mit⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛⎞x −l(t) sin ϕx −˙l(t) sin ϕ − l(t) ˙ϕ cos ϕ⎝y⎠ = ⎝ 0 ⎠d⎝y⎠ = ⎝ 0 ⎠dtz −l(t) cos ϕz −˙l(t) cos ϕ + l(t) ˙ϕ sin ϕ2.T (ϕ, ˙ϕ, t) = m [ ( 2 () ] 2−˙l(t) sin ϕ − l(t) ˙ϕ cos ϕ)+ −˙l(t) cos ϕ + l(t) ˙ϕ sin ϕ2= m [l 2 (t) ˙ϕ 2 +2˙l]2 (t)V (ϕ, t) =mgz = −mgl(t) cos ϕ3. L(ϕ, ˙ϕ, t) = T − V = m 2 [l2 (t) ˙ϕ 2 + ˙l 2 (t)] + mgl(t) cos ϕ4.ddt( )∂L(ϕ, ˙ϕ, t)= d (ml 2 (t) ˙ϕ ) = ml 2 (t) ¨ϕ + 2ml(t)˙l ˙ϕ ,∂ ˙ϕ dtDaraus folgt:Für l(t) = l = const ist dies das alte Resultat (2.2)∂L(ϕ, ˙ϕ, t)∂ϕ= −mgl(t) sin ϕl(t) ¨ϕ + 2˙l ˙ϕ = −g sin ϕ (2.10)5. Die Differentialgleichung geht <strong>für</strong> kleine Auslenkungen ϕ und l(t) ≈ l 0 mit ω0 2 = g/l 0 indie Schwingungsgleichung¨ϕ + ω0ϕ 2 = −2 ˙l ˙ϕ = h(t)l 0über. Gemäß der Diskussion in der Einführung II ist die dem System zugeführte Leistung∝ h(t) ˙ϕ = −2˙l ˙ϕ 2 /l 0 . Es wird also Energie zugeführt, wenn ˙l < 0. Damit kann man dieSchwingung verstärken, wenn man den Faden verkürzt, während ˙ϕ maximal ist (Pendelunten) und wieder verlängert, wenn ˙ϕ = 0 gilt (maximaler Ausschlag). Dies ist dasPrinzip der Schiffschaukel oder des Weihrauchfasses von Santiago de Compostela 5 . DieMöglichkeit dem System Energie zuzuführen liegt an der rheonomen Zwangsbedingung,siehe Abschnitt 2.2.4.Gezogenes Pendel1. Verwende die generalisierten Koordinate q 1 = r und q 2 = ϕ.⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛⎞x 1 −r sin ϕx⎝y 1⎠ = ⎝ 0 ⎠d 1 −ṙ sin ϕ − r ˙ϕ cos ϕ⎝y 1⎠ = ⎝ 0 ⎠dtz 1 −r cos ϕz 1 −ṙ cos ϕ + r ˙ϕ sin ϕ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞x 2 0x⎝y 2⎠ = ⎝ 0 ⎠d 2 0⎝y 2⎠ = ⎝0⎠dtz 2 r − lz 2 ṙ5 nach Honerkamp/Römer


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 232.T (r, ϕ, ṙ, ˙ϕ) = m 12[(−ṙ sin ϕ − r ˙ϕ cos ϕ) 2 + (−ṙ cos ϕ + r ˙ϕ sin ϕ) 2] + m 22 ṙ2= m 12 r2 ˙ϕ 2 + m 1 + m 2ṙ 22V (r, ϕ) =m 1 gz 1 + m 2 gz 2 = −m 1 gr cos ϕ + m 2 g(r − l)3. L(r, ϕ, ṙ, ˙ϕ) = m 12 r2 ˙ϕ 2 + m 1+m 22ṙ 2 + m 1 gr cos ϕ − m 2 g(r − l)4.ddt( ) ∂L∂ṙ= ∂L → (m 1 + m 2 )¨r = (m 1 cos ϕ − m 2 )g + m 1 r ˙ϕ 2∂r( ) ∂L= ∂L → m 1 r 2 ¨ϕ + 2m 1 rṙ ˙ϕ = −m 1 gr sin ϕ∂ ˙ϕ ∂ϕddt5. Zur numerischen Lösung führen wir die zusätzlichen Variablen v r = ṙ und v ϕ = ˙ϕ ein underhalten die vier Differentialgleichungenṙ = v r ˙v r =1m 1 + m 2(m 1 g cos ϕ − m 2 g + m 1 rv 2 ϕ)˙ϕ = v ϕ ˙v ϕ = 1 r (−2v rv ϕ − g sin ϕ)erster Ordnung. Diese lassen sich durch Diskretisierung in der Zeit z.B. mit dem EulerVerfahren lösen. Abbildung 2.4 zeigt das verwendete Programm und Abbildung 2.5 dieErgebnisse.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 24!**************************************************************************! Fortran90 Programm <strong>zur</strong> Berechnung der Bahnkurve eines gezogenen Pendels |!**************************************************************************PROGRAM Pendel! ** Definitionen der Variablen **IMPLICIT NONEINTEGER :: NINTEGER, PARAMETER :: NMAX=50000REAL(KIND(0.0E0)) :: dt,Ekin,EV,g,l,m1,m2,t,x1,x2,z1,z2REAL(KIND(0.0E0)), DIMENSION(0:Nmax) :: phi,r,vphi,vr ! Felder! ** Vorbereitung der Ausgabefiles **OPEN(3,File=’energie.dat’)WRITE(3,*) ’# t[s], Eges[J], Ekin, EV’OPEN(4,File=’pendel.dat’)WRITE(4,*) ’# t[s], b[m], phi, x1[m], z1[m], x2[m], z2[m]’! ** Vorgabe der Parameter **l=1.0 ! Laenge des Fadens in mm1=0.05 ! in kgm2=0.2 ! in Kgg=9.81 ! in m/s^2dt=0.0001 ! Zeitschritt <strong>für</strong> die Numerik in s! ** Anfangsbedingungen **phi(0)=−3.14/2.vphi(0)=0.r(0)=0.5vr(0)=0.t=0.! ** Iteration **DO 120 N=1,Nmax! * Bestimmung der neuen Werte *phi(N) =phi(N−1) +dt*vphi(N−1)r(N) =r(N−1) +dt*vr(N−1)vphi(N)=vphi(N−1)+dt*(−2.*vphi(N−1)*vr(N−1)−g*SIN(phi(N−1)))/r(N−1)vr(N) =vr(N−1) +dt*(m1*g*COS(phi(N−1))−m2*g+m1*r(N−1)*vphi(N−1)**2)/(m1+m2)IF(r(N).LT.0.01) GOTO 999 ! r zu klein, Abbrucht=t+dt ! neue Zeit! * Umrechnung auf kartesiche Koordinaten *x1 = −r(N)*SIN(phi(N))z1 = −r(N)*COS(phi(N))x2 = 0.z2 = r(N)−lWRITE(4,911) t, r(N), phi(N), x1, z1, x2, z2! * Bestimmung der Energien zu Testzwecken *! Wenn Ekin+EV nicht konstant ist, ist dt zu großEkin = m1/2.*(vr(N)**2+r(N)**2*vphi(N)**2) + m2/2.*vr(N)**2EV = m2*g*(r(N)−l) − m1*g*r(N)*COS(phi(N))WRITE(3,911) t,Ekin+EV,Ekin,EV120 CONTINUECLOSE(4)911 FORMAT(7(ES10.3E2,1x)) ! Ausgabe von 3 Nachkomma−Stellen999 STOPENDAbbildung 2.4: Fortran Programm <strong>zur</strong> Bestimmung der Bahnkurve des gezogenen Pendels


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 25r [m]0.70.60.50.40.30.20.1ϕ8642000 1 2 3 4 5t [s]-20 1 2 3 4 5t [s]0.20-0.2y [m]-0.4-0.6-0.8-1Teilchen 1Teilchen 2-0.4 -0.2 0x [m]0.2 0.4Abbildung 2.5: Ergebnisse des Programms aus Abb. 2.4 <strong>für</strong> das gezogene Pendel. Man erkenntein kompliziertes Verhalten mit mehreren Überschlägen in unterschiedlichen Richtungen.


Kapitel 3Hamilton’sche Dynamik3.1 Hamilton’sche GleichungenAusgangspunkt ist die Lagrangefunktion L(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t) die über die Lagrange’schenGleichungen auf f Differentialgleichungen zweiter Ordnung führt. Für eine numerische Lösungist es zweckmäßig, Differentialgleichungen erster Ordnung zu betrachten. Hierzu hatten wir imBeispiel 2.4.3 die Geschwindigkeiten v q = ˙q als neue Variablen betrachtet. In diesem Kapitelwollen wir die Mechanik so umformulieren, dass ein System aus Differentialgleichungen ersterOrdnung <strong>für</strong> die generalisierten Variablen q i und der zugehörigen kanonischen Impulse p i , dieHamilton’sche Gleichungen, entsteht. Im Gegensatz <strong>zur</strong> Formulierung mit q und v q hat diesekanonische Formulierung folgende Vorteile:• Man erhält eine symmetrische Struktur in den Variablen p und q, die eine große Klassevon Variablentransformationen (kanonische Transformationen) erlauben• Der Übergang <strong>zur</strong> Quantenmechanik ist möglich• Der Phasenraum der Variablen p, q erlaubt eine statistische Formulierung der ThermodynamikDie Idee ist dabei mit demkanonischen Impuls p i = ∂L(q 1 . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t)∂ ˙q i<strong>für</strong> i = 1, . . . fneue zusätzliche Variablen einzuführen, die an die Stelle der Geschwindigkeiten ˙q i treten. Dannwird das System durch die 2f Variablen q 1 , . . . q f , p 1 , . . . p f beschrieben, die den Phasenraumaufspannen.26


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 27Beispiel: Wir betrachten ein freies Teilchen im Potential V (r).Dann istundL(r, ṙ) = m 2 ṙ2 − V (r) ⇒ p i = ∂L∂ṙ i= mṙ iṙ = p mṗ = d dt( ) ∂L= ∂L∂ṙ ∂r= −∂V(r)∂rDamit erhalten wir 6 Differentialgleichungen erster Ordnung <strong>für</strong> die 6 Variablen x, y, z, p x , p y , p z .Setzen wir H(p, r) = p 2 /2m + V (r) so können wir diese Gleichungen in der Form∂H(p, r)ṗ = −∂rṙ =∂H(p, r)∂pFragestellungen:1. Man muss in der Lage sein, die Geschwindigkeiten durch die kanonischen Impulse auszudrücken.Mathematisch bedeutet das, dass man die Gleichungenp i = ∂L(q 1 . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t)∂ ˙q inach ˙q i = h i (p 1 , . . . p f , q 1 . . . q f , t) auflösen kann. Wann ist das möglich?2. Wie kann man eine Hamiltonfunktion H(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) konstruieren, dassgilt.ṗ i = − ∂H∂q iund ˙q i = ∂H∂p i3.1.1 AuflösbarkeitAus der Mathematik lernen wir:Eine eindimensionale Funktion y = f(x) ist nach x = h(y) auflösbar, wenn f ′ (x) ≠ 0 gilt.Eine mehrdimensionale Funktion y i = f i (x 1 , . . . x f ) mit i = 1, . . . f ist in der Umgebungdes Ortes (x 0 1, . . . x 0 f ) nach den x i auflösbar, wenn die JacobimatrixJ ij (x 1 , . . . x f ) = ∂f i∂x jdet{J ij (x 0 1, . . . , x 0 f ) ≠ 0 erfüllt. In diesem Fall kann man lokale Funktionen x i = h i (y 1 , . . . , y f )konstruieren.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 29D.h. die partielle Ableitung der Legendretransformierten nach der neuen Variablen z ergibtdie wegtransformierte Größe x. Dagegen ändern die partiellen Ableitungen nach den anderenVariablen lediglich ihr Vorzeichen.Eine einfachere Betrachtung gelingt mit Hilfe des vollständigen DifferentialsHieraus identifizieren wir∂f(x, y)dg = zdx + xdz − dx −} ∂x {{ }=z∂g(z, y)∂zund erhalten dasselbe Ergebnis.= x und∂f(x, y)dy = xdz −∂y∂g(z, y)∂y∂f(x, y)= −∂y∂f(x, y)dy∂y3.1.3 Die HamiltonfunktionWir definieren nun dieHamiltonfunktionH(p 1 . . . p f , q 1 . . . q f , t) ==f∑q˙i p i − Li=1f∑h i (p 1 . . . p f , q 1 . . . q f , t)p ii=1()− L q 1 . . . q f , h 1 (p 1 . . . p f , q 1 . . . q f , t) , . . . h} {{ } f (p 1 . . . p f , q 1 . . . q f , t) , t} {{ }= ˙q 1 = ˙q f(3.3)als Legendretransformierte der Lagrangefunkion bezüglich der Variablen ˙q 1 , . . . ˙q f . Dann gilt⎛⎞⎛⎞f∑dH = ⎜⎝ p id ˙q i + ˙q i dp i − ∂L dq i − ∂Ld ˙q i⎟∂qi=1}{{} i ∂ ˙q }{{} i⎠ − ∂L f∑∂t dt =⎜⎝ ˙q i dp}{{} i −ṗ i dq }{{} i⎟⎠ −∂L dti=1} {{ ∂t}∂H= ∂H=ṗ i =p ∂p i i∂q i = ∂H∂tund wir identifizierenDamit erhalten wir:∂H(p 1 . . . p f , q 1 . . . q f , t)= ˙q j∂p j∂H(p 1 . . . p f , q 1 . . . q f , t)= − ṗ j∂q j∂H(p 1 . . . p f , q 1 . . . q f , t)= − ∂L(q 1 . . . q f , ˙q 1 . . . q˙f , t)∂t∂t


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 30Die Hamilton’schen Gleichungen˙q i = ∂H(p 1, . . . p f , q 1 , . . . q f , t)∂p i(3.4)ṗ i = − ∂H(p 1, . . . p f , q 1 , . . . q f , t)∂q i(3.5)bestimmen die Dynamik des Systems im 2f dimensionalen Phasenraum der Variablen(p 1 . . . p f , q 1 . . . q f )3.1.4 Hamiltonfunktion und EnergieWir betrachten nun die zeitliche Änderung der Hamiltonfunktion. Es gilt:⎛⎞ddt H(p 1, . . . p f , q 1 , . . . q f , t) = ∑ ⎜∂H⎝ ṗ i + ∂H˙q i⎟∂pi }{{} i ∂q }{{} i⎠ + ∂H∂t = ∂H∂t= ˙q iD.h.Die Hamiltonfunktion ist eine Erhaltungsgröße der Bewegung, wenn sie nicht explizit von derZeit abhängt.=−ṗ iFür skleronome Zwangsbedingungen folgt mit den Gln. (3.1,3.2)∑˙q i p i = ∑ M ij ˙q i ˙q j = 2Tiijund wir erhalten H = 2T − L = T + V . Damit gilt:Für skleronome Zwangsbedingungen und Kräfte, die durch ein mechanisches Potential V (r, t)darstellbar sind, ist die Hamiltonfunktion die Gesamtenergie des Systems.3.1.5 Beispiel: Sphärisches PendelBetrachte ein Pendel mit fester Länge l, das im Ursprung aufgehängt ist, ansonsten aber freischwingen kann. Die beiden verbleibenden Freiheitsgrade lassen sich über die generalisiertenKoordinaten q 1 = ϑ und q 2 = ϕ beschreiben. Es gilt⎛ ⎞ ⎛⎞und wir erhaltensin ϑ cos ϕr = l ⎝sin ϑ sin ϕ⎠cos ϑDamit lauten die kanonischen Impulse˙ϑ cos ϑ cos ϕ − ˙ϕ sin ϑ sin ϕṙ = l ⎝ ˙ϑ cos ϑ sin ϕ + ˙ϕ sin ϑ cos ϕ⎠− ˙ϑ sin ϑL(ϑ, ϕ, ˙ϑ, ˙ϕ) = 1 2 ml2 ( ˙ϑ2 + sin 2 ϑ ˙ϕ 2 )− mgl cos ϑp ϑ = ∂L∂ ˙ϑ = ml2 ˙ϑpϕ = ∂L∂ ˙ϕ = ml2 sin 2 ϑ ˙ϕ (3.6)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 31Man rechnet leicht nach, dass p ϕ = L z gilt. Der kanonische Impuls, der zum Azimutwinkelgehört, ist also gerade die z-Komponente des Drehimpulses.Nun können wir die Gleichungen (3.6) nach den verallgemeinerten Geschwindigkeiten ˙ϑ, ˙ϕauflösen und erhalten:˙ϑ = p ϑml = h ϑ(p 2 ϑ , p ϕ , ϑ, ϕ, t) ˙ϕ =Damit lautet die HamiltonfunktionH(p ϑ , p ϕ , ϑ, ϕ) = ˙ϑp ϑ + ˙ϕp ϕ − L = p2 ϑml 2 += p2 ϑ2ml 2 +und wir erhalten die Bewegungsgleichungen˙ϑ = ∂H∂p ϑ= p ϑml 2˙ϕ = ∂H∂p ϕ=p 2 ϕml 2 sin 2 ϑ −p ϕml 2 sin 2 ϑ = h ϕ(p ϑ , p ϕ , ϑ, ϕ, t)p2 ϑ2ml 2 −p 2 ϕ2ml 2 sin 2 + mgl cos ϑϑ(3.7)p 2 ϕ2ml 2 sin 2 ϑ + mgl cos ϑp ϕml 2 sin 2 ϑZu Diskussion führen wir die neuen effektiven Parameterṗ ϑ = − ∂H∂ϑ =p2 ϕ cos ϑml 2 sin 3 + mgl sin ϑϑ(3.8)ṗ ϕ = − ∂H∂ϕ = 0 (3.9)√ gω 0 =lP = ml 2 ω 0ein. Zunächst finden wir, dass p ϕ (t) = const = P β gilt, wobei die dimensionslose Konstante βdurch die Anfangsbedingung p ϕ (t 0 ) bestimmt wird. Dann folgt( )p ϑβ˙ϑ 2 cos ϑ= ω 0 ṗ ϑ = ω 0 PPsin 3 ϑ + sin ϑ (3.10)Dies sind zwei Differentialgleichungen erster Ordnung <strong>für</strong> die beiden Variablen p ϑ (t), ϑ(t), dienumerisch recht einfach zu lösen sind. Aus deren Lösung kann man anschließend mitbestimmen.β˙ϕ = ω 0sin 2 ϑ⇒ ϕ(t) = ϕ(t 0 ) +∫ tdt ′ βω 0t 0sin 2 ϑ(t ′ )Zur Diskussion der Bewegung ist es zweckmäßig den Teil des Phasenraumes zu betrachten, dervon den Variablen p ϑ (t), ϑ(t) aufgespannt wird, siehe Abbildung 3.1. Die Vektoren zeigen dielokale Bewegungsrichtung, die durch die Gleichungen (3.10) bestimmt wird. Da die Hamiltonfunktionnicht explizit von der Zeit abhängt, ist( )p2H = ω 0 P ϑ2P + cos ϑ +β22 2 sin 2 = E(p ϑ , ϑ)ϑeine Erhaltungsgröße und die Bewegung verläuft auf den Kurven mit E(p ϑ , ϑ) = const, die inAbb. 3.1 eingezeichnet sind. Für β ≠ 0 erhält man <strong>für</strong> alle Energien geschlossene Kurven, undϑ ist auf das Intervall 0 < ϑ < π beschränkt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 32p ϑ/P6420-2-4E=0.8Pω 0E=Pω 0E=2Pω 0E=5Pω 0E=10Pω 0E=20Pω 0-60 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5ϑAbbildung 3.1: Teil des Phasenraumes des sphärischen Pendels <strong>für</strong> β = √ 2.Da p 2 ϑ ≥ 0 gilt, ist die Energie durch}E min = ω 0 P Min{cos ϑ + β22 sin 2 ϑnach unten beschränkt. Für E = E min (<strong>für</strong> β = √ 2 ist E min ≈ 0.79P ω 0 ) erhalten wir denSpezialfall p ϑ = 0. Daraus folgt ˙ϑ = 0 und ϑ = ϑ 0 . Dies beschreibt eine konstante Auslenkungdes Pendels und wir finden β 2 = − sin 4 ϑ 0 / cos ϑ 0 . Da β eine reelle Zahl ist, folgt ϑ 0 > π/2; dasPendel hängt also nach unten. Mit ˙ϕ = ±ω 0 / √ − cos ϑ 0 erhalten wir eine gleichmäßige Rotationum die z-Achse.3.1.6 Zyklische VariableEine Variable q i heißt zyklisch wenn die Hamiltonfunktion H(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) nicht von q iabhängt 2 . Zum Beispiel ist in der Hamiltonfunktion (3.7) des sphärischen Pendels die Variableϕ zyklisch. Dann giltṗ i = − ∂H∂q i= 0 ⇒ p i (t) = p 0 i = constSind alle Variablen q 1 . . . q f zyklisch so folgt1. H = H(p 1 , . . . p f , t)2 Dies ist äquivalent zu der Aussage, dass die Lagrangefunktion L(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t) nicht von q i abhängt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 332. p i (t) = p 0 i = const <strong>für</strong> alle i3.˙q i = ∂H∫ t= ω i (p 0∂p1, . . . p 0 f, t) ⇒ q i (t) = q i (t 0 ) + dt ′ ω i (p 0 1, . . . p 0 f, t ′ )i t 0und wir haben eine vollständige Lösung des Problems.3.2 Der PhasenraumAls Phasenraum bezeichnen wir den 2f-dimensionalen Raum, der von den verallgemeinertenKoordinaten q i und kanonischen Impulsen p i aufgespannt wird. Die Hamilton’schen Gleichungen˙q i = ∂H(p 1, . . . p f , q 1 , . . . q f , t)∂p iṗ i = − ∂H(p 1, . . . p f , q 1 , . . . q f , t)∂q ibestimmen das Richtungsfeld der Bewegung im Phasenraum, so dass man jedem Punkt imPhasenraum eine Bewegungsrichtung (z.B. durch einen Pfeil, vergleiche Abb. 3.1) zuordnen. DieBahnkurve (p 1 (t), . . . p f (t), q 1 (t), . . . q f (t)) des Systems im Phasenraum folgt stets der lokalenBewegungsrichtung und wird als Trajektorie bezeichnet. Da die Richtung der Trajektorien anjedem Ort vorgegeben ist, schneiden sich die Trajektorien nicht.Das Verhalten ist analog zu einer strömenden Flüssigkeit, bei der ein lokales Geschwindigkeitsfeldv(r) existiert, dem die Flusslinien folgen.Die Trajektorie hängt von den Anfangsbedingungen (p 1 (t 0 ), . . . p f (t 0 ), q 1 (t 0 ), . . . q f (t 0 )) ab undverschiedene Anfangsbedingungen geben auch verschiedene Trajektorien im Phasenraum. Nunstellt sich die Frage wie sich das Verhalten ändert, wenn man (leicht) unterschiedliche Anfangsbedingungenwählt. Hierzu betrachten wir ein Ensemble verschiedener Anfangsbedingungen,wie es in Abbildung 3.2 skizziert ist, und untersuchen das Langzeitverhalten. In der strömendenFlüssigkeit entspricht dies dem Verhalten eines Farbtropfens, der mit der Flüssigkeit strömt(Diffusion soll hierbei vernachlässigbar sein).3.2.1 Die Poissonklammer<strong>Physik</strong>alische Größen wie z.B. der Gesamtdrehimpuls lassen sich durch Phasenraumfunktionenf(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) darstellen, die von den Variablen des Phasenraumes und eventuell auchexplizit von der Zeit abhängen. Ihre zeitliche Entwicklung längs einer Trajektorie ist gegebendurch⎛mit derddt f = ∑ i⎜∂f⎝ ṗ i + ∂f∂p i }{{} ∂q i=− ∂H∂q i⎞⎟∂p i˙q }{{} i= ∂H⎠ + ∂f∂t= {H, f} +∂f∂t(3.11)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 34pt0t2t1qAbbildung 3.2: Skizze der zeitlichen Entwicklung eines Ensembles von Systemen die zu verschiedenenZeitpunkten durch die grauen Bereiche im Phasenraum dargestellt sind. Dazu sinddie Trajektorien zweier Systeme aus dem Ensemble eingezeichnet.Poissonklammer{g, h} = ∑ i( ∂g∂p i∂h∂q i− ∂g∂q i∂h∂p i)zweier Phasenraumfunktionen g(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) und h(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t). Merkregel:Zuerst in alphabetischer Reihenfolge nach pq ableiten, dann mit Minuszeichen in umgekehrterReihenfolge qp.Es gilt:{g, g} = 0 , {f, g} = −{g, f} , {f, g + h} = {f, g} + {f, h}Speziell gilt <strong>für</strong> die PhasenraumvariablenDamit finden wir:{p i , p j } = {q i , q j } = 0 und {p i , q j } = δ ij (3.12)Für die Phasenraumfunktion f(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f ) gilt längs einer Trajektoriep 1 (t), . . . p f (t), q 1 (t), . . . q f (t):• Die Zeitentwicklung lautetddt f( p 1 (t), . . . p f (t), q 1 (t), . . . q f (t), t ) f = {H, f} + ∂f∂t• Hängt f nicht explizit von der Zeit ab und gilt {H, f} = 0, so istf(p 1 (t), . . . p f (t), q 1 (t), . . . q f (t)) = const und f ist eine Erhaltungsgröße.• Speziell gilt: Die Hamiltonfunktion H ist eine Erhaltungsgröße, wenn sie nicht explizitvon der Zeit abhängt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 353.2.2 Der Liouville’sche SatzWir definieren im Phasenraum die Vektoren⎛ ⎞ ⎛ ⎞p 1ṗ 1. . .. . .x H =p f⎜ q 1v H =ṗ f⎟ ⎜ ˙q 1⎟⎝. . . ⎠ ⎝. . . ⎠q f ˙q fDann gilt∇ H · v H = ∑ i( ∂∂p iṗ i + ∂∂q i˙q i)= ∑ i⎛ ⎞∂/∂p 1. . .∇ H =∂/∂p f⎜∂/∂q 1⎟⎝ . . . ⎠∂/∂q f( ( ∂− ∂H )+ ∂ )∂H= 0∂p i ∂q i ∂q i ∂p iDamit verschwindet die Divergenz des Geschwindigkeitsfeldes im Phasenraum.In der Hydrodynamik folgt <strong>für</strong> eine Flüssigkeit mit fester Dichte ρ(r, t) = ρ 0 = const (manspricht von einer inkompressiblen Flüssigkeit) aus der Kontinuitätsgleichung∂ρ(r, t) + div ρ(r, t)v(r, t) = 0} ∂t {{ }} {{ }=ρ=00 div v(r,t)gerade div v(r, t) = 0. Demnach entspricht der Fluss im Phasenraum dem Fluss einer inkompressiblenFlüssigkeit.Nun wollen wir die Dynamik eines Ensembles von gleichartigen Systemen untersuchen, die mitunterschiedlichen Anfangsbedingungen starten. Hierzu definieren wir die Dichte im Phaseraumρ(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) =N∆p f ∆q füber die Anzahl der Systeme, die sich zum Zeitpunkt t im Intervall ∆p f ∆q f um den Ort x Hdes Phasenraums befinden. Da sich die gesamte Anzahl der Systeme mit der Zeit nicht ändertgilt, die Kontinuitätsgleichung im PhasenraumMit∂ρ(x H , t)∂t∇ H · (ρv H ) = v H · ∇ H ρ + ρ ∇ H · v} {{ H = ∑ }=0 i+ ∇ H · (ρ(x H , t)v H (x H , t)) = 0⎛⎜⎝ṗi}{{}=− ∂H∂q i∂∂p iρ +˙q i }{{}= ∂H∂p i⎞∂ρ⎟∂q ⎠ = {H, ρ}ierhalten wir folgende Differentialgleichung <strong>für</strong> die Dichte der Systeme im Phasenraum 3∂ρ(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t)∂t= −{H, ρ} . (3.13)3 Beachte, dass im Gegensatz zu Gl. (3.11) diese Beziehung die partielle Zeitableitung betrifft und <strong>für</strong> diePhasenraumdichte ρ nicht aber <strong>für</strong> beliebige Phasenraumfunktionen gilt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 36Bewegt man sich mit dem Ensemble so erhalten wir mit Gl. (3.11)Demnach giltddt ρ(p 1(t), . . . p f (t), q 1 (t), . . . q f (t), t) = {H, ρ} + ∂ρ∂t = 0Die Dichte ρ(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) der Ensembles im Phasenraum ist längs einer Trajektorie(p 1 (t), . . . p f (t), q 1 (t), . . . q f (t)) konstant.Betrachten wir nun ein Ensemble, das zum Anfangszeitpunkt t 0 ein Teilvolumen V (t 0 ) (derDimension ∆p f ∆q f ) des Phasenraumes mit konstanter Dichte ρ 0 ausfüllt. Dann ist längs derTrajektorien ρ(p 1 (t), . . . p f (t), q 1 (t), . . . q f (t), t) = ρ 0 während außerhalb des von den Trajektoriendurchquerten Gebietes ρ(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) = 0 gilt. Sei nun V (t) das Volumen imPhasenraum, das die Trajektorien zum Zeitpunkt t überdecken. Aus der Erhaltung der Anzahlder Systeme folgt N = ∫ d f pd f q ρ(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) = ρ 0 V (t) = const. Also gilt derLiouville’sche Satz: Das Volumen, das das Ensemble im Phasenraum annimmt ist zeitlichkonstant.3.3 Kanonische TransformationenDer Vollständigkeit halber soll hier ein kurzer Abriss zum Thema gegeben werden. Für eine weitergehendeDarstellung wird auf den Theoriekurs der grundlagenorientierten Studienrichtungund die Literatur verwiesen.Statt der Variablen p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f kann man das System auch durch andere Sätze von 2fVariablen beschreiben. Diese erhält man durch eine (umkehrbare) VariablentransformationP i = P i (p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) Q i = Q i (p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) <strong>für</strong> i = 1, fWenn es nun eine neue Hamiltonfunktion ˜H(P 1 , . . . P f , Q 1 , . . . Q f , t) mitP˙i = − ∂ ˜H∂Q i˙Q i = − ∂ ˜H∂P igibt, so liegt eine kanonische Transformation vor. Dann gilt insbesondere{f(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t), g(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t)} pq{ () ()}= f p 1 (P, Q, t), . . . q f (P, Q, t), t , g p 1 (P, Q, t), . . . q f (P, Q, t), twobei in den Poissonklammern jeweils die Ableitungen nach den Variablen im angefügten Indexausgeführt werden. D.h. die Poissonklammern ergeben nach Variablentransformation denselbenWert (zum Beweis siehe z.B. Goldstein).Solche kanonischen Transformationen lassen sich mit Hilfe einer beliebigen erzeugenden Funktiongenerieren, die von neuen und alten Koordinaten bzw. Impulsen abhängt. Ein Beispiel istdie erzeugende Funktion S(q 1 , . . . q f , P 1 , . . . P f , t) mit det ∂ 2 S/∂q i ∂P j ≠ 0.Dann erhält man die kanonische Transformation in drei Schritten (<strong>für</strong> einen Beweis und weitereMöglichkeiten <strong>für</strong> erzeugende Funktionen siehe Scheck)P Q


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 371. Löse Q i = ∂S∂P inach q j = q j (P 1 , . . . P f , Q 1 , . . . Q f , t) auf.2. Bestimme p i = ∂S∂q i= p i (P 1 , . . . P f , Q 1 , . . . Q f , t)3. Setze˜H(P 1 , . . . P f , Q 1 , . . . Q f , t) = Hwobei man die Variablen substituiert.(p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f , t) + ∂S(q 1 . . . q f , P 1 , . . . P f , t)∂tZiel einer solchen Operation kann zum Beispiel sein, die Transformation so auszuführen, dassalle neuen Koordinaten Q i zyklische Variablen sind. Dann ist nach Abschnitt 3.1.6 das Problemdurch einfache Integration lösbar.3.4 Elektromagnetische FelderWir betrachten ein freies Teilchen der Masse m und Ladung q, das sich im elektromagnetischenFeld bewegt. Seine Dynamik ist somit durch die Lorentzkraftm¨r = F Lorentz = q ( v × B(r, t) + E(r, t) ) (3.14)gegeben. Wir wollen nun die Hamiltonfunktion <strong>für</strong> dieses Problem bestimmen. Hierzu unterscheidenwir zwei Fälle:(a) B(r, t) ≡ 0Für B(r, t) ≡ 0 ist das leicht möglich, da dann wegen rot E = −∂B/∂t = 0 ein elektrisches Potentialφ(r, t) existiert mit E = −∇φ. Damit ist F = −q∇φ und die Kraft hat das mechanischePotential V (r, t) = qφ(r, t). In diesem Fall erhalten wir direkt die Lagrangefunktionund weiterL(r, ṙ, t) = T − V = mṙ22− qφ(r, t)p = ∂Lp2= mṙ sowie H(p, r, t) = + qφ(r, t)∂ṙ 2mDas heißt, der kanonische Impuls ist der mechanische Impuls mv des Teilchens.(b) B(r, t) ≢ 0In diesem Fall existiert <strong>für</strong> das Kraftfeld kein mechanisches Potential V (r, t), so dass wir dieLagrangefunktion nicht auf die übliche Weise L = T − V bestimmen können. Dennoch könnenwir eine Lagrangefunktion L(r, ṙ, t) so konstruieren, dass die Lagrange’schen Gleichungen dieDynamik (3.14) ergeben.Hierzu betrachten wir die elektromagnetischen Potentiale A(r, t), φ(r, t), die überB(r, t) = rot AE(r, t) = −∇φ − ∂A∂t


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 38die Felder bestimmen. Dann lautet Gl. (3.14) wenn wir v = ṙ und r als unabhängige Variablebetrachten:m d ( ) ∂dt v = qv × ∂r × Aund somit} {{ }=q ∂ ∂r (v·A)−q(v· ∂∂r)ANun kann man die linke Seite mit d ∂Ldt ∂v−q ∂A∂t − q ∂φ∂r = q ∂ ∂r (v · A) − q d ∂φA(r(t), t) − qdt ∂rddt (mv + qA)) = ∂ (qv · A − qφ)∂rund die rechte Seite mit∂L∂rLagrangefunktion eines freien Teilchens im elektromagnetische Feldwenn man dieL(r, v, t) = mv22+ qv · A(r, t) − qφ(r, t)definiert. Auf die übliche Art erhalten wir dannEin freies Teilchen hat im elektromagnetische Feld den kanonischen Impulsund die Hamiltonfunktionp = mv + qAH(p, r, t) = 1 [ ] 2p − qA(r, t) + qφ(r, t) (3.15)2mBeachte, dass nun der kanonische Impuls p nicht gleich dem kinetischen Impuls mv ist.Die Wahl der elektromagnetischen Potentiale und somit auch die Hamiltonfunktion sind nichteindeutig bestimmt (Stichwort Eichinvarianz). Die verdeutlicht das folgende Beispiel.3.4.1 Beispiel: Teilchen im konstanten elektrischen FeldSei E(r, t) ≡ E 0 und B(r, t) ≡ 0.1. Lösung mit A = 0Man kann A 1 (r, t) = 0 und φ 1 (r, t) = −E 0 · r wählen und erhältp 1 = mv und H 1 (p, r, t) = p2 12m − qE 0 · rDie Hamilton’schen Gleichungen liefern die Dynamikmit der Lösungṗ 1 = E 0 ṙ = p 1mp 1 (t) = p 0 + E 0 t r(t) = r 0 + p 0m t + 12m E 0t 2


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 392. Lösung mit φ = 0Wählt man stattdessen A 2 (r, t) = −E 0 t und φ 2 (r, t) = 0, so erhält manp 2 = mv − qE 0 t und H 2 (p 2 , r, t) = 1 (p2 + qE 0 t ) 22mNun ist r eine zyklische Variable und wir erhaltenmit der Lösungṗ 2 = 0ṙ = 1 m(p2 + qE 0 t )p 2 (t) = p 0 r(t) = r 0 + p 0m t + 12m E 0t 2Damit ist die Observable r in beiden Fällen identisch, nicht aber der kanonische Impuls p(t),der somit nicht eichinvariant ist.BemerkungMan kann den Übergang von den Variablen p 1 , r 1 auf p 2 , r 2 auch als kanonische Transformationmit der Erzeugenden S(r 1 , p 2 ) = r 1 · p 2 + qE 0 · r 1 t auffassen.3.4.2 EnergiebilanzEs gilt:Hängen die elektrodynamische Potentiale A(r) und φ(r) nicht explizit von der Zeit ab, dannistmE ges =2 v2 +qφ(r) = H(p, r) = const} {{ }] 2eine Erhaltungsgröße1. BeweisDie Lorentzkraft ist durch= 12m[p−qA(r)F = qv × B} {{ }=F (a) −∇V (r)mit V (r) = qφ(r) gegeben. Entsprechend zu Gl. (1.5) giltda F (a) ⊥ v keine Arbeit am System leistet.2. Beweisddt E ges = v · F (a) = 0Die Hamiltonfunktion hängt nicht explizit von der Zeit ab. Damit istd∂HH(p, r) = {H, H} +dt ∂t = 0


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 403.5 Übergang <strong>zur</strong> QuantenmechanikEin wesentlicher Nutzen der Hamilton’schen Formulierung der Mechanik ist der Übergang <strong>zur</strong>Quantenmechanik. Diesen erhält man durch folgendes Vorgehen:• Ersetze die kanonischen Variablen p i , q i durch Operatoren ˆp i , ˆq i mit den Kommutator-Relationen[ˆp i , ˆp j ] = [ˆq i , ˆq j ] = 0 und [ˆp i , ˆq j ] = i δ ijDies sind, bis auf den Faktor /i, gerade die Poisson-Klammern aus Gl. (3.12).• Die Hamiltonfunktion H(p, q, t) geht in den Hamilton-Operator Ĥ(ˆp, ˆq, t) über, indemman die Phasenraum-Variablen durch die entsprechenden Operatoren ersetzt.Für ein freies Teilchen ohne Spin kann man den quantenmechanischen Zustand durch einekomplexe Wellenfunktion Ψ(r, t) beschreiben. Wir haben dann die Zuordnung ˆr → r undˆp → /i ∇. Im elektromagnetischen Feld erhalten wir den Hamilton-OperatorĤ = 1 [ ] 2 2m i ∇ − qA(r, t) + qφ(r, t) (3.16)


Kapitel 4Symmetrien und Erhaltungsgrößen4.1 SymmetrietransformationenBetrachte ein mechanisches System mit den Koordinaten q 1 , . . . q f und der LagrangefunktionL(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t). Nun soll eine Transformation ĥ mit q i → h i (q 1 , . . . q f ) im Koordinatenraumdurchgeführt werden. Dies könnte z.B. eine Drehung des Systems sein. Wir bestimmennun die neue Funktion¯L(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t) = L ( h 1 (q 1 , . . . q f ), . . . h f (q 1 , . . . q f ), ḣ1(q 1 , . . . q f ), . . . ḣf(q 1 , . . . q f ), t )Falls nun ¯L(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t) = L(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f , t) gilt, nennt man ĥ eine Symmetrietransformationdes Systems.Als kontinuierliche Transformation bezeichnet man eine Transformation ĥα , die so von einemreellen Parameter α abhängt, dass die Bilder h α i (q 1 , . . . q f ) stetige Funktionen in α sind undwenn ĥα <strong>für</strong> α = 0 die Identität h 0 i (q 1 , . . . q f ) = q i ist.Beispiel:Wir betrachten einen zweidimensionalen harmonischen OszillatorL(x, y, ẋ, ẏ) = m 2 (ẋ2 + ẏ 2 ) − mω22 (x2 + y 2 )Die kontinuierliche Transformation ˆT a mit Tx a (x, y) = x + a, Tx a (x, y) = y ist eine Verschiebungin x Richtung um die Länge a. Es gilt¯L(x, y, ẋ, ẏ) = m 2( (d(x + a)dt) ) 2+ ẏ 2 − mω2 ((x + a) 2 + y 2) = L(x, y, ẋ, ẏ) − mω 2 xa − mω222 a2und die Translation ˆT a ist keine Symmetrietransformation.Die kontinuierliche Transformation ˆD ϕ( ) Dϕx (x, y)Dy ϕ =(x, y)( ) ( cos ϕ − sin ϕ xsin ϕ cos ϕ y)41


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 42ist eine Drehung des Systems. Es gilt¯L(x, y, ẋ, ẏ) = m [(cos ϕẋ − sin ϕẏ) 2 + (sin ϕẋ + cos ϕẏ) 2]2− mω2 [(cos ϕx − sin ϕy) 2 + (sin ϕx + cos ϕy) 2] = L(x, y, ẋ, ẏ)2und die Drehung ist eine Symmetrietransformation.Die Spiegelung Ŝ mit S x(x, y) = x und S x (x, y) = −y ist ebenfalls eine Symmetrietransformationdes Systems aber keine kontinuierliche Transformation.4.2 Noether’sches TheoremSei ĥα eine kontinuierliche Symmetrietransformation eines Systems mit der zeitunabhängigenLagrangefunktion L(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f ). Dann istI(q 1 , . . . q f , ˙q 1 , . . . ˙q f ) = ∑ i∂L d∂ ˙q i dα hα i (q 1 , . . . q f ) |α=0 (4.1)eine Erhaltungsgröße der Bewegung. (Emmy Noether, 1918)Beweis:ddt I( q 1 (t), . . . q f (t), ˙q 1 (t), . . . ˙q f (t) )[ ]d ∂Ldt ∂ ˙q i= ∑ i} {{ }= ∂L∂q iddα hα i (q 1 , . . . q f ) |α=0 + ∑ i∂L∂ ˙q id ddt dα hα i (q 1 , . . . q f ) |α=0} {{ }= ddα ḣα i (q 1,...q f ) |α=0= ddα L( h α 1 (q 1 , . . . q f ), . . . h α f (q 1 , . . . q f ), ḣα 1 (q 1 , . . . q f ), . . . ḣα f (q 1 , . . . q f ) ) |α=0 = 0da L sich bei der Symmetrietransformation ĥα eine α-Abhängigkeit zeigt.Beispiele:Rotationssymmetrisches System: Betrachte ein Teilchen im Potential V (r), das um diez-Achse rotationssymmetrisch ist. Die Symmetrietransformation ist⎛⎞ ⎛ ⎞cos ϕ − sin ϕ 0 xh ϕ (r) = ⎝sin ϕ cos ϕ 0⎠⎝y⎠0 0 1 zund es giltDamit haben wir als Erhaltungsgrößedie z-Komponente des Drehimpulses.⎛ ⎞ ⎛ ⎞0 −1 0 xddϕ hϕ (r) |ϕ=0 = ⎝1 0 0⎠⎝y⎠ = e z × r0 0 0 zI(r, ṙ) = mṙ · (e z × r) = e z · (r × mṙ) = L z


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 43Translationssymmetrisches System: Betrachte ein System aus N Teilchen mit den Massenm n und dem Wechselwirkungspotential V (r 1 , . . . r N ), welches bei einer Translation allerTeilchen um die Strecke a in x-Richtungh a n(r 1 , . . . r N ) = r n + ae xinvariant sein soll. D.h. V (r 1 + ae x , . . . r N + ae x ) = V (r 1 , . . . r N ). Dies ist z.B. der Fall,wenn die Zwei-Teilchen-Kräfte nur von den Abstandsdifferenzen der Teilchen abhängen.Damit haben wir als ErhaltungsgrößeI(r 1 , . . . r N , ṙ 1 , . . . ṙ N ) = ∑ nm n ṙ n · e x = P gesxdie x-Komponente des Gesamtimpulses.Erhaltungsgrößen hängen mit Symmetrien des Systems zusammen:Drehimpulserhaltung ⇔ RotationssymmetrieImpulserhaltung ⇔ Translationsinvarianz4.3 Infinitesimale kanonische Transformationen ∗Wir wollen nun einen Zusammenhang zu den allgemeinen Variablentransformationen der Hamilton’schenDynamik herstellen. Hierzu betrachten wir eine kontinuierliche kanonische TransformationP (p, q, α), Q(p, q, α) mit dem Parameter α, die gemäß Abschnitt 3.3 über eine erzeugendeFunktion S α (q 1 , . . . q f , P 1 , . . . P f , t) vermittelt werden soll, wobei S 0 (q 1 , . . . q f , P 1 , . . . P f , t) =∑i q iP i . Für α = 0 gilt dannQ j = ∂S0∂P j= q j und p j = ∂S0∂q j= P jund die Transformation ist <strong>für</strong> α = 0, wie gefordert, die Identität.Nun betrachten wir im Grenzfall kleiner α infinitesimale Transformationen, wobei wir die Änderungender Variablen nur in niedrigster Ordnung O(α) berücksichtigen. Wir setzenS α (q 1 , . . . q f , P 1 , . . . P f , t) = ∑ iq i P i + ασ(P 1 , . . . P f , q 1 , . . . q f , t) + O(α 2 )Man nennt σ(p, q, t) die Erzeugende der infinitesimalen Transformation 1 wobei wir die Abkürzungq = (q 1 , . . . q f ) verwenden.Q j = ∂Sα ∂σ(P, q, t)= q j + α + O(α 2 ) p j = ∂Sα ∂σ(P, q, t)= P j + α + O(α 2 )∂P j ∂P j ∂q j ∂q j1 In der Regel bilden die kontinuierlichen Tranformationen ˆT α = p, q → P (p, q, α), Q(p, q, α) eine Gruppe.Gilt zusätzlich ˆT β ◦ ˆT α = ˆT g(β,α) mit einer stetig-differenzierbaren Funktion g(β, α) [z.B. g(α, β) = α + β<strong>für</strong> die Drehung um eine Achse] so nennt man die Gruppe eine Lie’sche Gruppe. Dann kann man jede endlicheTransformation aus einer Sequenz infinitesimaler Transformationen aufbauen, die somit die gesamte Informationüber alle Tranformationen enthalten.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 44Somit gilt in Ordnung α∂σ(p, q, t)δq j = Q j − q j = α + O(α 2 ∂σ(p, q, t)) δp j = P j − p j = −α + O(α 2 ) (4.2)∂p j ∂q jwobei wir in der Funktion σ(P, q, t) die Variable P j durch p j ersetzen konnten, da die Differenzeinen Term höherer Ordnung in α liefert.Bei der kanonischen Transformation lautet die Hamiltonfunktion <strong>für</strong> die transformierten Koordinaten:˜H(P, Q, t) = H(p(P, Q, t), q(P, Q, t), t) + ∂Sα (q(P, Q), P, t)∂tund der Unterschied zwischen den Funktionen ˜H und H ist durchδH(p, q, t) = ˜H(p, q, t) − H(p, q, t) = H(p − δp, q − δq, t) − H(p, q, t) + ∂Sα (q − δq, p, t)∂t= − ∑ ( ∂Hδp i + ∂H )∂σ(q − δq, p, t)δq i + α∂pi i ∂q i ∂t=α ∑ ( ∂H ∂σ(p, q, t)− ∂H )∂σ(p, q, t) ∂σ(q, p, t)+ α + O(α 2 )∂pi i ∂q i ∂q i ∂p j ∂t()∂σ(q, p, t)=α {H, σ} + = α d σ(q, p, t)∂t dtgegeben. Nun bedeutet δH(p, q, t) = 0, dass sich die Hamiltonfunktion bei der kanonischenTransformation nicht ändert und die Transformation somit eine Symmetrietransformation desSystems ist. Auf der anderen Seite folgt aus dσ/dt = 0 , dass die Funktion σ(p, q, t) eineErhaltungsgröße ist.Die Erzeugende σ(p, q, t) einer infinitesimalen Symmetrietransformation des Systems ist eineErhaltungsgröße.Beispiele:Wir wissen, dass die Hamiltonfunktion H(p, q) eine Erhaltungsgröße ist, wenn sie nicht explizitvon der Zeit abhängt. Dann entspricht sie gerade der Gesamtenergie. Nun wollen wiruntersuchen, mit welcher Symmetrietransformation sie zusammen hängt. Hierzu setzen wirσ(p, q) = H(p, q) und erhalten mit Gl. (4.2) in niedrigster Ordnung∂H(p, q)∂H(p, q)δq j = α = α ˙q j = q j (t + α) − q j (t) und δp j = −α∂p j ∂q j= αṗ j = p j (t + α) − p j (t)Damit verschiebt die kanonische Transformation, die von der Hamiltonfunktion erzeugt wird,das System in der Zeit.Für∑ein System aus N freien Teilchen in kartesischen Koordinaten mit Erhaltung des Impulsesi p i = P ges = const kann man die gleichmäßige Schwerpunktsbewegung in der Form ∑ i (m ir i −p i t) = const schreiben, siehe Abschnitt 1.3.2. Nun untersuchen wir die Symmetrietransformtion,die von σ = u · ∑i (m ir i − p i t), dies entspricht der gleichmäßigen Schwerpunktsbewegung inRichtung von u, erzeugt wird. Die erzeugende Funktion lautetS(˜p, r, t) = ∑ r i˜p i + αu · ∑(m i r i − ˜p i t)ii


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 45(die neuen Variablen sind hier durch eine Tilde gekennzeichnet) und wir finden˜r i = ∂Sα∂˜p i= r i − αutp i = ∂Sα∂r i= ˜p i + αm i u ⇒ ˜p i = p i − m i uDies entspricht also einer Galileitransformation der Koordinaten mit der Relativgeschwindigkeitu. Die neue Hamiltonfunktion lautet˜H(˜p, ˜r, t) =H(p, r, t) + ∂Sα∂t= ∑ i12m i(˜p i + αm i u) 2 + V (r 1 , . . . r N ) − α ∑ i= ∑ i1˜p 2 i + V (˜r 1 + αut, . . . ˜r N + αut) + α ∑ 22m iim i2 u2Wenn nun V (˜r 1 + αut, . . . ˜r N + αut) = V (˜r 1 , . . . ˜r N ) gilt[(z.B. <strong>für</strong> innere Zweiteilchenkräfteder Form (1.1)], so ist die Hamiltonfunktion (bis auf eine triviale Konstante der Ordnung α 2 )invariant und die kanonische Transformation ist eine Symmetrietransformation. Somit ist dieGalileitransformation in diesem Fall eine Symmetrietransformation.Erhaltungsgrößen hängen mit Symmetrien des Systems zusammen:Energieerhaltung ⇔ Invarianz des Systems bezüglich einer ZeitverschiebungSchwerpunktsatz ⇔ Invarianz bezüglich Galileitransformation˜p i u


Kapitel 5Der starre Körper5.1 Bewegung des starren KörpersUnter einem starren Körper versteht man eine Ansammlung von Massenpunkten r i mit festenRelativabständen r i − r j = d ij . Diese reduzieren das System auf 6 Freiheitsgrade:• Ein vorgegebener Punkt P 0 des Körpers kann an einem beliebigen Ort r 0 (t) im dreidimensionalenOrtraum liegen. Dies sind 3 Freiheitsgrade der Translation.• Der Körper kann beliebig um den Punkt P 0 gedreht sein. Definiert man eine Ausgangslage,so kann man dies als eine Drehung ˆD(t) beschreiben, die eine lineare orthogonaleAbbildung des Vektorraumes auf sich selber ist. Die Drehung ist durch die Angabe einerDrehachse, die z.B. durch einen Polar- und einen Azimutwinkel definiert ist, und einesDrehwinkels eindeutig festgelegt. Dies ergibt 3 Rotationsfreiheitsgrade 1 .Zusammen erhält manDer starre Körper hat 6 Freiheitsgrade; 3 der Translation und 3 der Rotation.5.1.1 Vektorielle BeschreibungZur Beschreibung des starren Körpers zeichnen wir einen Punkt P 0 des Körpers mit dem Ortsvektorr 0 (t) aus. Die anderen Punkte P i werden dann gemäßr i (t) = r 0 (t) + s i (t)über den Relativvektor s i (t) = −−→ P 0 P i definiert. Wegen der festen Relativabstände ist |s i (t)| =const und es gilts i (t) = ˆD(t)s 0 imit dem zeitabhängigen orthonormalen Drehoperator ˆD(t), der <strong>für</strong> alle Punkte i identisch ist.Zur Beschreibung des starren Körpers ist es zweckmäßig, zwei verschiedene Basen des Vektorraumeszu verwenden. Dies sind die1 Eine Alternative ist die Angabe der drei Euler’schen Winkel.46


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 47Inertialbasis I = {e 1 , e 2 , e 3 }, in der die Newton’schen Gesetze einfach formulierbar sind. Iwird als positiv orientierte Orthonormalbasis (PON-Basis) gewählt.körperfeste Basis K = {n 1 , n 2 , n 3 }, die sich gemäß n i (t) = ˆD(t)e i mit dem Körper dreht.Wegen der Eigenschaften der Abbildung ˆD(t) (Orthonormalität und Beibehaltung derOrientierung) ist K zu jedem Zeitpunkt eine PON-Basis.Im Folgenden werden beide Basissysteme verwendet. Hierbei ist es zweckmäßig genau zwischenden Vektoren und ihren Komponenten bezüglich einer Basis (einer Spalte) zu unterscheiden(das tun <strong>Physik</strong>er aus Praktikabilitätsgründen selten . . . ). Deswegen wird die im Anhang Adargestellte Notation verwendet, wir schreiben explizit S(B, r) <strong>für</strong> die Spalte der Komponentendes Vektors r bezüglich der Basis B.Da n i (t) = ˆD(t)e i folgt durch Vergleich der Gln. (A.3) und (A.8):Damit folgt <strong>für</strong> den Relativvektor s i (t)M(I, K) = M(I, D(t), I)S(K, s i (t)) = S(K, D(t)s 0 i ) = M(K, I)S(I, D(t)s 0 i ) = M(K, I) M(I, D(t), I) S(I, s 0 i ) = S(I, s 0 i )} {{ }=M(I,K)Die Komponenten S(K, s i (t)) des Relativvektors s i (t) bezüglich der körperfesten Basis sindkonstant.Dies liegt daran, dass die körperfeste Basis mit den Relativvektoren rotiert.5.1.2 Die WinkelgeschwindigkeitFür die Relativvektoren gilt:Nun gilt: M(I, Ω(t), I) tr = −M(I, Ω(t), I)Beweis:ddt s(t) = d dt D(t)s0 i = Ḋ(t)D−1 (t)s i (t) = Ω(t)s i (t)0 = d dt(D(t)D −1 (t) ) = Ḋ(t)D−1 (t) + D(t) d dt D−1 (t)In der zeitunabhängigen Inertialbasis I gilt: M(I, Ḋ(t), I) = d dt M(I, D(t), I). und M(I, D−1 (t), I) =M(I, D(t), I) tr wegen Gl. (A.5). Damit erhalten wirwomit die Behauptung bewiesen ist. □Damit kann man0 = M(I, Ω(t), I) + M(I, D(t), I) d M(I, D(t), I)tr} dt {{ }=M(I,Ω(t),I) tr⎛0 −ω 3⎞ω 2M(I, Ω(t), I) = ⎝ ω 3 0 −ω 1⎠ mit ω i ∈ R−ω 2 ω 1 0


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 48schreiben. Wir definieren nun den Vektor ω(t) der momentanen Winkelgeschwindigkeit über⎛ ⎞ω 1S(I, ω(t)) = ⎝ω 2⎠ω 3und erhalten wegen Gl. (A.6) <strong>für</strong> beliebige Vektoren aM(I, Ω(t), I)S(I, a) = S(I, ω(t)) × S(I, a)Da I eine PON-Basis ist, folgt: Ω(t)a = ω(t) × a. Insbesondere erhalten wir:Für die Relativvektoren des starren Körpers gilt:ddt s(t) = Ḋ(t)[D(t)]−1 s(t) = ω(t) × s(t)und insbesondereddt n i(t) = ω(t) × n i (t) (5.1)wobei ω(t) der Vektor der momentanen Winkelgeschwindigkeit ist. Beachte, dass die Beziehung<strong>für</strong> die Vektoren gilt und somit unabhängig von der Wahl der Basis ist.5.1.3 Zeitabhängigkeit beliebiger VektorenWir wollen nun die zeitliche Änderung des Vektors a im körperfesten rotierenden BezugssystemK darstellen. D.h. wir suchenS(K, ȧ). Hierzu betrachten wirund erhaltenȧ = d dtIn der körperfesten Basis gilt:[a i (t)n i (t) ] = ȧ i n i + a i ṅ i = ȧ i n i + a i ω(t) × n i = ȧ i n i + ω(t) × aS(K, ȧ) = d S(K, a) + S(K, ω(t)) × S(K, a) (5.2)dtIn der Literatur bezeichnet man häufig S(K, a) durch a ′ . Hierbei wird aber oft nicht hinreichendklar, dass es sich bei a und a ′ um denselben Vektor handelt, der lediglich in verschiedenen Basendargestellt wird. Deswegen ziehe ich es in diesem Kapitel vor, streng zwischen der Spalte S(B, a)und dem Vektor a zu trennen.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 495.2 Der Trägheitstensor5.2.1 Kinetische Energie des starren KörpersNach dem vorangegangenen Abschnitt gilt ṙ i (t) = ṙ 0 (t) + ω(t) × s i (t). Damit folgt <strong>für</strong> diegesamte kinetische Energie des starren KörpersT = ∑ (12 m i (ṙ i ) 2 = 1 ∑m i (ṙ 0 ) 2 + ṙ 0 (t) · ω(t) × ∑ )m i s i (t) + 1 ∑m i (ω(t) × s i (t)) 222iiii} {{ }} {{ }=M=E rotwobei M die Gesamtmasse ist. Der mittlere∑Term verschwindet in zwei verschiedenen wichtigen∑Fällen: (i) Wenn r 0 (t) = R(t) = 1 M i m ir i der Schwerpunkt des starren Körpers ist, so folgti m is i = 0. (ii) Der Punkt P 0 liegt im Ursprung fest (dies kann z.B. der Aufsatzpunkt einesKreisels sein), d.h. r 0 (t) ≡ 0 .Mit(ω × s i ) · (ω × s i ) = ω · s i × (ω × s i ) = ω 2 s 2 i − (ω · s i ) 2erhalten wir in einer beliebigen ON-Basis B(ω × s i ) 2 = [ S(B, ω) tr S(B, ω) ] [ S(B, s i ) tr S(B, s i ) ] − [ S(B, ω) tr S(B, s i ) ] [ S(B, s i ) tr S(B, ω) ]und erhalten:Ist der ausgezeichnete Punkt P 0 des Körpers entweder der Schwerpunkt oder liegt er fest imUrsprung, so lautet die kinetische Energie des starren KörpersT = 1 2 Mṙ2 0 + 1 2 [S(B, ω(t))]tr M(B, E rot , B)S(B, ω(t)) (5.3)Dabei ist M(B, E rot , B) die Matrix einer Bilinearform E rot (ω, ω), die den Rotationsanteil derkinetischen Energie beschreibt.Bezüglich einer ON-Basis B ON nimmt sie die FormJ = M(B ON , E rot , B ON ) = ∑ im i{S(B ON , s i ) 2 1 − S(B ON , s i )[S(B ON , s i )] tr} (5.4)die man als Trägheitstensor bezeichnet. Wählt man B = K als körperfeste Basis, so ist Jzeitlich konstant.Bemerkungen:M(B, E rot , B) ist eine symmetrische Matrix und transformiert sich gemäßM( ˜B, E rot , ˜B) = M(B, ˜B) † M(B, E rot , B)M(B, ˜B)In Komponenten-Schreibweise mit S(B ON , s i ) = (s 1 i , s 2 i , s 3 i ) tr gilt:}J kl = ∑ im i{ 3∑j=1(s j i )2 δ kl − s k i s l i


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 50Für kontinuierliche Massenverteilungen mit der Massendichte ρ(s) folgt entsprechend:∫ { }∑J kl = d 3 s ρ(s) (s j ) 2 δ kl − s k s ljBeispiel:Für einen Quader −a < x < a, −b < y < b, −c < z < c (wir haben hier s 1 = x, s 2 = y, s 3 = zgesetzt) mit homogener Massendichte ρ folgt∫ a∫ b∫ cJ xx = dx dy dz ρ { x 2 + y 2 + z 2 − x 2} = 8−a −b −c 3 abcρ ( b 2 + c 2) = M 3J yy = M (a 2 + c 2) J zz = M (a 2 + b 2) J xy = J xz = J yz = 033Die Diagonalelemente sind also in Richtung der längsten Achse am kleinsten.(b 2 + c 2)5.2.2 HauptachsenDa M(K, E rot , K) eine symmetrische Matrix ist, gibt es ein orthonormales System aus EigenspaltenS(K, n 0 i ) mit reellen Eigenwerten J i . Die zugehörigen Vektoren n 0 i , die man als Hauptachsendes starren Körpers bezeichnet, bilden ein ausgezeichnetes körperfestes Basissystem K HA . Dannist M(K HA , E rot , K HA ) eine diagonale Matrix, mit den Diagonalelementen J 1 , J 2 , J 3 (vergleicheAbschnitt A.2).5.2.3 Satz von SteinerDer Trägheitstensor hängt von der Wahl von r 0 ab. Kennt man den Trägheitstensor J <strong>für</strong> dieWahl r 0 = R, so lautet der Trägheitstensor ˜J <strong>für</strong> eine andere Wahl von r 0 = R + a:˜J kl = J kl + M [ (a) 2 δ kl − a k a l]Zum Beweis setzen wir r i = R + s i = r 0 + ˜s i , d.h. ˜s = s − a}˜J kl = ∑ im i{ ∑j= J kl + ∑ im i{(˜s j i )2 δ kl − ˜s k i ˜s l i−2 ∑ j= ∑ im i{ ∑js j i aj δ kl + (a k s l i + s k i a l ) + ∑ jDa im Schwerpunktsystem ∑ i m is i = 0 gilt, folgt die Behauptung.(s j i − aj ) 2 δ kl − (s k i − a k )(s l i − a l )(a j ) 2 δ kl − a k a l }}5.2.4 Der Drehimpuls des starren KörpersMit r i (t) = r 0 (t) + s i (t) und ṙ i (t) = ṙ 0 (t) + ω(t) × s i (t) folgt <strong>für</strong> den Drehimpuls des starrenKörpers:L = ∑ im i r i × ṙ i = ∑ im i [r 0 × ṙ 0 + r 0 × (ω × s i ) + s i × ṙ 0 + s i × (ω × s i )]


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 51Falls nun wieder der Punkt P 0 (t) entweder der Schwerpunkt ist oder fest im Ursprung liegt,fallen die beiden mittleren Terme weg und wir erhalten:L = Mr 0 × ṙ 0 + ∑ im i[ωs 2 i − s i (ω · s i ) ] = L 0 + L rot (ω)Der Rotationsanteil ist eine lineare Abbildung im Vektorraum. Verwendet man eine ON-BasisB ON (wie z.B. K oder I), so kann man die Abbildung in der Form:M(B ON , L rot ) = ∑ im i[S(B ON , s i ) 2 1 − S(B ON , s i )(B ON , s i ) tr] S(B ON , ω)schreiben. Wir erhalten:Ist der ausgezeichnete Punkt P 0 des Körpers entweder der Schwerpunkt oder liegt er fest imUrsprung, so lautet der Drehimpuls des des starren KörpersL = Mr 0 × ṙ 0 + L rot (ω) (5.5)wobei der Rotationsanteil eine lineare Abbildung in ω ist, die in Matrixschriebweiselautet. Bezüglich einer ON-Basis B ON istS(B, L rot ) = M(B, L rot , B)S(B, ω) (5.6)J = M(B ON , L rot , B ON ) = ∑ im i{S(B ON , s i ) 2 1 − S(B ON , s i )[S(B ON , s i )] tr} (5.7)der Trägheitstensor aus Gl. (5.4).Man beachte, dass das Transformationsverhalten der Matrix der linearen Abbildung nachGl. (A.9) M( ˜B, L rot , ˜B) = M( ˜B, B)M(B, L rot , B)M(B, ˜B) lautet. Nur <strong>für</strong> ON-Basen ˜B ON , B ONtransformieren sich M(B, L rot , B) und M(B, E rot , B) wegen Gl. (A.11) gleich und nehmen jeweilsdie Form des Trägheitstensors an.5.2.5 Drehimpulsbilanz und Euler’sche GleichungenNach Gl. (1.4) lautet die Drehimpulsbilanz, wenn die inneren Zwangskräfte Zentralkräfte sind:[ ]d∑dt L(t) = D ges(t) = r 0 × F (a)i (t) + ∑ s i × F (a)i (t)iiNun gilt[d∑dt L 0(t) = Mr 0 × ¨r 0 = r 0 ×iF (a)i (t)wenn r 0 (t) ≡ 0 oder r 0 (t) = R(t) ist, vergleiche die Schwerpunktbewegung (1.3). Daraus folgtin beiden Fällen (und auch allgemein, wenn man die anderen Terme berücksichtigt)ddt L rot(t) = ∑ i]s i × F (a)i (t) = N(t) (5.8)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 52Diese Gleichung lautet im körperfesten Hauptachsensystemund mitfolgen dieS(K HA , ˙L rot ) = d dt S(KHA , L rot ) + S(K HA , ω) × S(K HA , L rot ) = S(K HA , N)Euler’schen GleichungenS(K HA , L rot ) = M(K HA , L rot , K HA ) S(K HA , ω)} {{ } } {{ }⎛⎞ ⎛J 1 0 0 ω 1= ⎜ 0 J⎝ 2 0 ⎟ = ⎜ω ⎠ ⎝ 2 ⎟⎠0 0 J 3die nur im körperfesten Hauptachsensystem gelten.ω 3⎞J 1 ˙ω 1 = N 1 + (J 2 − J 3 )ω 2 ω 3J 2 ˙ω 2 = N 2 + (J 3 − J 1 )ω 3 ω 1(5.9)J 3 ˙ω 3 = N 3 + (J 1 − J 2 )ω 1 ω 25.3 Anwendungen5.3.1 Kräfte auf eine rotierende AchseWir betrachten eine Achse, die durch Lager in einer bestimmten Richtung gehalten wird, undeine konstante Drehgeschwindigkeit ω zeigt, siehe Abbildung 5.1. Die Lager üben ZwangskräfteZ l , Z r auf die Achse aus, die wir bestimmen wollen.Zur einfachen Betrachtung legen wir den körperfesten Punkt P 0 im Ursprung, der in der Mitteder Achse liegen soll. Es gilt also r 0 = 0 und der Schwerpunkt der Achse R = s R ist ein reinerRelativvektor.Kraftbilanz:Wir haben mit den Gl. (1.3,5.1)F (a)ges = M d2dt 2 s R(t) = M d dt [ω × s R (t)] = Mω × (ω × s R (t))Die Kraft verschwindet nur dann, wenn s R (t) ‖ ω gilt, d.h. der Schwerpunkt auf der Mitte derAchse liegt. Ansonsten wirken Kräfte auf die Lager, die proportional zu ω 2 sind und somit beischneller Drehung die Lager beschädigen können.Man kann leicht testen, ob der Schwerpunkt auf der Achse liegt, da im Schwerefeld der Erde diepotentielle Energie der Achse Ms R (t)·e z g lautet und somit ihr Minimum (Ruhelage!) annimmt,wenn s R nach unten zeigt.Wir halten fest: Liegt der Schwerpunkt der Achse nicht auf der Achsenmitte, so treten bei derRotation Kräfte auf die Lager auf (statische Unwucht).


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 53P =O0 ωn 30n 20n 10Z rZ lstatische UnwuchtZ rZ ldynamische UnwuchtAbbildung 5.1: Momentaufnahme zweier rotierender Achsen mit statischer und dynamischerUnwucht. Die Zwangskräfte Z l , Z r üben die beiden Lager auf die Achse aus. Bei der statischenUnwucht wirkt eine endliche Gesamtkraft F (a)ges = Z l + Z r auf das System, während bei derdynamische Unwucht F (a)ges, nicht aber N = s l × Z l + s r × Z r = N 3 n 0 3 verschwindet.DrehimpulsbilanzIm körperfesten Hauptachsensystem ist S(K HA , ω) = (ω 1 , ω 2 , ω 3 ) tr konstant. Aus den Euler’schenKreiselgleichungen (5.9) folgt, dass ein endliches Drehmoment N 3 = −(J 1 − J 2 )ω 1 ω 2vorliegt, falls (i) J 1 ≠ J 2 und (ii) ω 1 ω 2 ≠ 0 gilt. Dies ist in der Regel der Fall, falls die Richtungder Achse nicht mit einer Hauptträgheitsachse zusammen fällt. Letzteres kann auftreten, wenndie Achse nicht rotationssymmetrisch ist. Das Drehmoment muss von den Lagern auf die Achseausgeübt werden, wodurch bei hohen Drehzahlen starke Belastungen auftreten. Dies nennt mandynamische Unwucht.5.3.2 Der kräftefreie KreiselWir betrachten eine starren Körper auf den kein Drehmoment N wirkt. Dann ist L rot = const.Gilt ω = L rot /J i , das heißt L rot zeigt in Richtung einer Hauptträgheitsachse n 0 i , so ist auchω = const und der Körper dreht sich um die körperfeste Achse n 0 i . Falls alle TrägheitsmomenteJ 1 = J 2 = J 3 gleich sind (d.h. J ≡ J1), sind alle Richtungen im Raum Hauptträgheitsachse undman spricht von einem Kugelkreisel 2 . In diesem Fall dreht sich der Kreisel <strong>für</strong> alle Richtungenvon ω mit konstanter Winkelgeschwindigkeit.Ein wichtiger Fall ist der symmetrische Kreisel, bei dem J 1 = J 2 ≠ J 3 gilt. Dies ist zum Beispieleine um die n 3 i -Achse rotationssymmetrische Struktur (Kegel, Zylinder, Rugbyball, etc.). Ausden Euler’schen Kreiselgleichungen (5.9) folgt im HauptachsensystemJ 3 ˙ω 3 = 0⇒ ω 3 = constund˙ω 1 = −ω 0 ω 2˙ω 2 = ω 0 ω 1mit ω 0 = J 3 − J 1J 1ω 32 Der Körper braucht nicht kugelsymmetrisch zu sein. Eine Kugel (oder ein Würfel) konstanter Dichte istlediglich der Prototyp <strong>für</strong> das Verhalten.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 54L rotn 30ωAbbildung 5.2: Reguläre Präzession der Symmetrieachse n 0 3(t) und der Rotationsachse ω(t)beim kräftefreien symmetrischen Kreisel.mit der Lösung⎛⎞ω ⊥ cos(ω 0 t + ϕ)S(K HA , ω) = ⎝ω ⊥ sin(ω 0 t + ϕ) ⎠ d.h. |ω| =ω 3√ω 2 ⊥ + ω2 3 = constDie Rotationsachse ändert also ihre Lage relativ zum Körper und wandert mit der Frequenz ω 0um die Symmetrieachse n 0 3. Nun gilt <strong>für</strong> den Drehimpuls⎛⎞J 1 ω ⊥ cos(ω 0 t + ϕ)S(K HA , L rot ) = M(K HA , L rot , K HA )S(K HA , ω) = ⎝J 1 ω ⊥ sin(ω 0 t + ϕ) ⎠J 3 ω 3d.h. es gilt die vektorielle Beziehung= J 1 S(K HA , ω) + (J 3 − J 1 )ω 3 S(K HA , n 0 3)ω = 1 L rot − J 3 − J 1ω 3J 1 J} {{ 1}n 0 3 (5.10)=ω 0Damit liegen n 0 3, L rot und ω in einer Ebene. Für die Bewegung von n 0 3 folgtṅ 0 3 = ω × n 0 3 = 1 J 1L rot × n 0 3und n 0 3(t) rotiert mit der Kreisfrequenz ω pr = |L rot |/J 1 um die Richtung von L rot . Ebensorotiert wegen Gl. (5.10) ω(t) mit derselben Frequenz um die Richtung von L rot , siehe Abb. 5.2.Die Rotation der Drehachse ω um eine feste Richtung im Raum wird als reguläre Präzessionbezeichnet.Die anderen Hauptachse üben kompliziertere Bewegungen aus. Es gilt wegen Gl. (5.10)ṅ 0 1 = ω × n 0 1 = 1 J 1L rot × n 0 1 − ω 0 n 0 3 × n 0 1 = 1 J 1L rot × n 0 1 − ω 0 n 0 2ṅ 0 2 = ω × n 0 2 = 1 J 1L rot × n 0 2 − ω 0 n 0 3 × n 0 2 = 1 J 1L rot × n 0 1 + ω 0 n 0 1Sie rotieren also sowohl um L rot als auch um n 0 3.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 555.3.3 Kreisel mit DrehmomentWir betrachten nun einen Kreisel, auf den ein äußeres Drehmoment der Form N = Nn 0 3 × e zwirkt. Dies ist z.B. bei einem auf der Spitze rotierenden Kegel der Fall; wir finden N = sn 0 3 ×(−Mge z ), wobei s der Abstand des Schwerpunktes von der Spitze ist.Im Folgenden beschränken wir uns der Einfachheit auf Kugelkreisel mit J 1 = J 2 = J 3 = J.Dann giltJ ˙ω = ˙L rot = Nn 0 3 × e zṅ 0 3 = ω × n 0 3(5.11)Dies sind sechs Differentialgleichungen erster Ordnung <strong>für</strong> die sechs Komponenten der Vektorenω, n 0 3, und somit ist das zeitliche Verhalten bestimmt.Man kann recht einfach eine spezielle Lösung der Formerhalten. Der Ansatz liefertω(t) = ω 3 n 0 3(t) + ω z e zGleichzeitig liefert Gl. (5.11)ṅ 0 3 = ω z e z × n 0 3und wir haben die KonsistenzbedingungAls Ergebnis erhalten wir:Nn 0 3 × e z = J ˙ω = Jω 3 ṅ 0 3(t) = Jω 3 ω z e z × n 0 3ω z = − NJω 3Wirkt auf einen Kugelkreisel mit dem Trägheitsmoment J ein Drehmoment der Form N =Nn 0 3×e z , so führen die Figurenachse n 0 3 und die Drehachse ω eine Präzession mit der Frequenzω z = −N/(Jω 3 ) um die e z -Richtung aus.Dies ist aber nur eine spezielle Lösung, die nur <strong>für</strong> bestimmte Anfangsbedingungen auftritt.Die allgemeine Lösung zeigt eine zusätzliche oszillatorische Bewegung der Achse n 0 3 um diePräzessionsbahn. Diese Bewegung bezeichnet man als Nutation.Die allgemeine Lösung des Problems, z.B. <strong>für</strong> symmetrische Kreisel, erhält man am besten mitHilfe der Lagrange’schen Gleichungen, wobei man die Euler’schen Winkel als verallgemeinerteKoordinaten <strong>für</strong> die Ausrichtung des Kreisels verwendet, siehe z.B. Scheck.Bei einem realen Kreisel spielt die Reibung eine wichtige Rolle, da sie das Verhalten oft stabilisiert.5.3.4 Die Erde als KreiselDie Erde hat die geometrische Gestalt eines Rotationselipsoides, da sie aufgrund der Zentrifugalkräftean den Polen abgeplattet ist. Die Hauptachse n 0 3 liegt auf der Linie zwischen dem


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 56Abbildung 5.3: Zur Präzession der Erdachse, aushttp://www.greier-greiner.at/hc/praezession.htm undhttp://www.timeart.ch/praez d.htm .geographischen Süd- und Nordpol. Es gilt J 3 > J 2 = J 1 mit (J 3 − J 1 )/J 1 ≈ 1/300. Stimmtdie Drehachse ω nicht genau mit der Symmetrieachse n 0 3 überein, so tritt nach Abschnitt 5.3.2eine Präzessionsbewegung auf; die Rotationsachse kreist um die Symmetrieachse n 0 3 mit derFrequenzω 0 = J 3 − J 1ω 3 ≈ 1 2πJ 1 300 1 Tag = 2π10 MonateTatsächlich beobachtet man ein komplizierteres Verhalten mit einer Periode von ca 430 Tagen.Dies liegt anscheinend daran, dass die Erde kein idealer starrer Körper ist. Gleichzeitig präzedierendie Symmetrieachse und die Drehachse mit ω pr um die feste Richtung des Drehimpulses.Die Erde ist um 23 o .27‘ gegenüber der Ekliptik e z geneigt. Wegen der Abplattung der Erdein Kombination mit der 1/r-Abhängigkeit der Gravitationskraft üben Mond und Sonne einaufrichtendes Drehmoment N ∝ n 0 3 × e z auf die Erde aus. Die führt nach Abschnitt 5.3.3 zueiner Präzession der Erdachse um die Ekliptik. Der Nordpol dreht sich dabei innerhalb von25850 Jahren. Deswegen wird z.B. in 12000 Jahren Wega die Rolle des Polarsternes annehmen.Zusätzlich findet eine (kleine) Nutationsbewegung um diese Bahn statt, siehe Abb. 5.3.


Kapitel 6Dynamische Systeme6.1 DefinitionEin dynamisches System wird durch einen Satz von Variablen a 1 (t), a 2 (t), . . . a N (t) mit einerDynamikȧ i = f i (a 1 , a 2 , . . . a N , t, µ)beschrieben. Der Kontrollparameter µ hat keine eigene Dynamik sondern beschreibt Änderungendes dynamischen Systems durch äußere Einflüsse (z.B. Temperatur, angelegte Felder, etc.)Im folgenden schreiben wir a <strong>für</strong> a 1 , a 2 , . . . a N .Beispiele:• Hamilton’sche Dynamik a = (p 1 , . . . p f , q 1 , . . . q f ). f i ergibt sich aus den partiellen Ableitungender Hamiltonfunktion.• Euler’sche Gleichungen <strong>für</strong> die Komponenten ω 1 (t), ω 2 (t), ω 3 (t) der Winkelgeschwindigkeitim Hauptachsensystem des starren Körpers. Ohne Drehmoment gilt:˙ω 1 = J 2 − J 3J 1ω 2 ω 3˙ω 2 = J 3 − J 1J 2ω 3 ω 1˙ω 3 = J 1 − J 2J 3ω 1 ω 2• Harmonischer Oszillator mit Reibungskraft F diss = −γmẋ. Wähle a = (x, v)(ẋ ) ( )v=˙v −γv − ω0x2Die Dynamik f(a, t, µ) beschreibt in Analogie <strong>zur</strong> Hydrodynamik den Fluss des Systems imRaum der Variablen. Die Funktion a(t) bezeichnet man als Trajektorie. Häufig betrachtet manautonome Systeme bei denen der Fluss f(a, µ) nicht von der Zeit abhängt.57


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 586.2 Fixpunkte und StabilitätIm folgenden beschränken wir uns auf autonome Systeme. Als Fixpunkt bezeichnet man einenPunkt a 0 bei dem alle zeitlichen Ableitungen verschwinden, d.h. f(a 0 , µ). Nun wollen wir dasVerhalten <strong>für</strong> kleine Abweichungen δa(t) = a(t) − a 0 untersuchen. Wir findenddt δa(t) = f(a0 + δa(t), µ) = f(a 0 , µ) + ∑ i∂f∂a iδa i (t) = Jδa(t) (6.1)mit der JakobimatrixJ ij = ∂f i(a, µ)∂a j |a=a 0 <strong>für</strong> i, j = 1, 2, . . . NDie Jakobimatrix hat nun Eigenwerte λ i und zugehörige Eigenvektoren u i . Dabei gilt <strong>für</strong> Auslenkungender Form δa(t) = ug(t) in Richtung der Eigenvektoren <strong>für</strong>:reelle λ:ddt ug(t) = Jug(t) = λug(t) ⇒ g(t) = eλt g(0)Wir haben <strong>für</strong> λ > 0 eine abstoßende Richtung und <strong>für</strong> λ < 0 eine anziehende Richtungkomplexes ˜λ: Da die Jakobimatrix reell ist, treten paarweise komplex konjugierte Eigenwerte˜λ ± = λ ± iω und Eigenvektoren ũ ± = u ∓ iv auf, wobei die reellen Vektoren u, v linearunabhängig sind. Im Komplexen hat die Differentialgleichung (6.1) nun die Lösungenδã ± (t) = ũ ±˜g(0)e˜λ ± t .Da die Differentialgleichung (6.1) reell und linear ist, sind auch der Real- und Imaginärteilvon δã(t) Lösungen. Wir erhalten mit ˜g(0) = g 0 e iϕδa(t) = Re{δã + (t)} = e λt [u cos(ωt + ϕ) + v sin(ωt + ϕ)](der Realteil von δã − (t) sowie die Imaginärteile liefern keine weiteren Lösungen.) Damitspiralisiert a(t) um den Fixpunkt. Für Re{˜λ} > 0 hat man einen abstoßenden Fokus und<strong>für</strong> Re{˜λ} < 0 einen anziehenden Fokus.Bilden die Eigenvektoren ein vollständiges Basis-System 1 , so kann man eine beliebige anfänglicheAbweichung δa(0) nach den Eigenvektoren entwickeln und erhält somit in allen Richtungenein exponentielles Verhalten e λ it in der Zeit. Damit folgtSind die Realteile aller Eigenwerte der Jakobimatrix negativ, so klingt jede kleine Abweichungvon dem Fixpunkt exponentiell in der Zeit ab und man hat einen stabilen Fixpunkt.1 Da die Jakobimatrix nicht symmetrisch ist, gibt es bei mehrfach entarteten Eigenwerten häufig nur einenEigenvektor, sodass die Eigenvektoren kein vollständiges System bilde. Diese kann man dann aber mit Hauptvektorenzu einem vollständigen System ergänzen. Dabei zeigen die Hauptvektoren dieselbe exponentielleZeitabhängigkeit mit dem jeweiligen entarteten Eigenwert als Exponenten. Allerdings haben sie eine zusätzlichepolynominale Zeitabhängigkeit.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 596.2.1 Beispiel: Harmonischer Oszillator mit ReibungDer Fixpunkt ist a 0 = (x 0 , v 0 ) = (0, 0). Dies ist die Ruhelage des Systems. Die Jakobimatrixlautet:( ) 0 1J =−γ−ω 2 0mit dem charakteristischen Polynom P (λ) = det(J − λ) = λ 2 + γλ + ω 2 0. Aus P (λ) = 0 erhaltenwir die Eigenwerteλ 1/2 = − γ 2 ± √γ24 − ω2 0Im überdämpften Fall γ > 2ω 0 haben wir zwei anziehende Richtungen und im Schwingfallγ < 2ω 0 einen anziehenden Fokus. Der Fixpunkt ist also immer stabil, sofern γ > 0 ist.6.2.2 Beispiel: Freier rotierender KörperDie Euler’schen Gleichungen bilden ein dynamisches System. Für den Fall, dass alle HauptträgheitsmomenteJ i unterschiedlich sind, sind die Fixpunkte dadurch gegeben, dass mindestenszwei Komponenten ω i verschwinden. Das heißt, die Fixpunkte entsprechen Drehungen umdie Hauptträgheitsachsen. Nun wollen wir deren Stabilität untersuchen. O.B.d.A betrachtenwir hierzu den Fixpunkt a 0 = (ω1, 0 0, 0) einer Drehung um die erste Achse. Die Jakobimatrixlautet⎛⎞J =⎛∂ ⎝∂ω jJ 2 −J 3J 1ω 2 ω 3J 3 −J 1J 2ω 3 ω 1J 1 −J 2J 3ω 1 ω 2⎞und wir haben das charakteristische Polynommit den Eigenwerten⎠|(ω 1 ,ω 2 ,ω 3 )=(ω 0 1 ,0,0) =0 0 0⎝0 00 J 1−J 2J 3ω1 0 0P (λ) = λ 3 − λ (J 3 − J 1 )(J 1 − J 2 )J 2 J 3(ω01) 2λ 1 = 0 und λ 2/3 = ±ω 0 1√(J 3 − J 1 )(J 1 − J 2 )J 2 J 3J 3 −J 1J 2ω10Nun liegt der Eigenvektor zu Eigenwert λ 1 = 0 auf der ersten Hauptachse. Eine solche Störungist eine Änderung der Rotationsgeschwindigkeit ω 0 1 → ω 0 1 + g(0) um die erste Achse, die ja zueinem neuen Fixpunkt führt.Für die Eigenwerte λ 2/3 gilt: Wenn das Argument der Wurzel positiv ist, ist einer der beidenanderen Eigenwerte positiv, der andere negativ, und der Fixpunkt ist instabil. Dies ist genaudann der Fall, wenn J 3 < J 1 < J 2 oder J 3 > J 1 > J 2 gilt, J 1 also das mittlere Hauptträgheitsmomenteist. Umgekehrt wird das Argument der Wurzel negativ, wenn J 1 das größte oderkleinste Hauptträgheitsmoment ist, und wir haben rein imaginäre Eigenwerte. Dann führt dieRotationsachse im Hauptträgheitssystem eine Drehbewegung um die erste Hauptträgheitsachsedurch, die weder exponentiell anwächst noch abklingt. Für J 2 = J 3 ist dies gerade die regulärePräzession aus Abschnitt (5.3.2).Die Rotation eines starren Körpers um die Hauptträgheitsachse mit dem mittleren Trägheitsmomentist stets instabil.⎠


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 606.2.3 Fixpunkte eines Hamilton’schen SystemsDie Jakobimatrix eines Hamilton’schen Systems hat die Form(ṗ ❄ ( ∂J =˙q)∂p , ∂ )=∂q( −∂H∂q∂H∂p❄ ) ( ∂∂p , ∂ ) (−∂ 2 H∂p∂q=∂∂q 2 H∂p∂p− ∂2 H∂q∂q∂ 2 H∂q∂p)Damit giltSpur{J} = ∑ i[]− ∂2 H+ ∂2 H= 0∂p i ∂q i ∂q i ∂p iDa die Spur einer Matrix die Summe aller Eigenwerte ist, können somit nicht die Realteile allerEigenwerte negativ sein und es gibt keine stabilen Fixpunkte. Neben instabilen Fixpunkten miteinigen abstoßenden Richtungen / Fokus gibt es nur die Möglichkeit, dass alle Realteile Nullsind, und das gestörte System in der Nähe des Fixpunktes bleibt.Dieser Sachverhalt folgt auch aus dem Liouville’schen Satz: Bei einem stabilen Fixpunkt würdenalle Trajektorien zusammenlaufen und sich somit das Phasenraumvolumen verringern.6.3 BifurkationenNun wollen wir untersuchen, was passiert, wenn der Kontrollparameter µ variiert wird. Dabeigehen wir davon aus, dass die Funktion f(a, µ) stetig differenzierbar von µ abhängt. Im Regelfallwerden sich dann die Lagen der Fixpunkte a 0 sowie die Eigenwerte der Jakobimatrix stetig mitµ verändern. Eine Bifurkation liegt bei einem kritischen Wert µ c vor, wenn sich entweder dieAnzahl der Fixpunkte oder ihre Stabilität ändert.Da sich der Fluss im Raum der Variablen nicht global ändern darf, kann man zeigen, dassBifurkationen nur dann auftreten, wenn der Realteil eines Eigenwertes der Jakobimatrix Nullwird. In der Regel wird dies entweder bei einem Eigenvektor mit reellem Eigenwert oder beieinem Paar komplex konjugierter Eigenwerte der Fall sein. Solche Bifurkationen lassen sichleicht klassifizieren, wenn man sich auf den eindimensionalen (bzw. zweidimensionalen bei demkomplexen Eigenwert) Unterraum des zugehörigen Eigenvektors beschränkt. Dann sind untenaufgeführten Bifurkationen möglich. Hierzu geben wir jeweils ein generisches Beispiel an, wobeider Kontrollparameter so gewählt ist, dass die Bifurkation bei µ = 0 stattfindet und <strong>für</strong> µ < 0ein stabiler Fixpunkt vorliegt.Für einen reellen Eigenwert, der Null wird:Sattel-Knoten-Bifurkation: Ein stabiler und ein instabiler Fixpunkt kollidieren und löschensich aus, siehe Abb. 6.1(a).ȧ = µ + a 2Transkritische Verzweigung: Ein stabiler und ein instabiler Fixpunkt schneiden sich undwechseln ihre Stabilität, siehe Abb. 6.1(b).ȧ = µa − a 2


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 61aaaaµµµµ(a)(b)(c)(d)Abbildung 6.1: Skizze der möglichen Bifurkationstypen, wenn ein reeller Eigenwert der Jakobimatrixzum Fixpunkt a 0 bei µ = 0 Null wird. Die stabilen/instabilen Fixpunkte sind mit einerdicken durchgezogen/gestrichelten Linie gekennzeichnet. Die Pfeile zeigen die Flussrichtung ȧ.Superkritische Heugabel-Bifurkation (engl. Pitchfork): Aus einem stabilen Fixpunktentstehen zwei stabile und ein instabiler Fixpunkt, siehe Abb. 6.1(c).ȧ = µa − a 3Subkritische Heugabel-Bifurkation: Ebenso kann ein stabiler Fixpunkt mit zwei instabilenFixpunkten zusammenstoßen, wobei ein instabiler Fixpunkt übrig bleibt, sieheAbb. 6.1(d).ȧ = µa + a 3Für einen komplexen Eigenwert, dessen Realteil Null wird:superkritische Hopf-Bifurkation: Ein stabiler Fixpunkt wird instabil. Dabei löst sich einstabiler Grenzzyklus ab. Siehe Abb. 6.2.ẋ =µx − y − (x 2 + y 2 )xẏ =µy + x − (x 2 + y 2 )yMit x = r cos ϕ und y = r sin ϕ wird daraus ṙ = µr − r 3 und ˙ϕ = 1. Dies entsprichteiner Heugabel-Bifurkation in r, wobei sich die beiden neuen stabilen Zustände mit konstanterWinkelgeschwindigkeit um den instabilen Ast drehen. Dieser Bifurkationstyp istcharakteristisch, wenn ein System anfängt von selbst zu schwingen.subkritische Hopf-Bifurkation: Ein stabiler Fixpunkt kollidiert mit einem instabilen Grenzzyklusund wird instabil. Dies entspricht der subkritischen Heugabel-Bifurkation.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 62x 2 +y 2Abbildung 6.2: Skizze einer superkritischen Hopf-Bifurkation


Anhang AVektoren und MatrizenBetrachte einen d−dimensionalen Vektorraum V über dem Körper K (z.B. reelle oder komplexeZahlen). Dabei sei B = {e 1 , . . . e d } eine Basis. Es gelte die Summenkonvention, dass über gleicheIndizes summiert wird.VektorbeziehungMatrixschreibweise⎛ ⎞a 1Vektor a = e i a i ⎜ ⎟Spalte S(B, a) = ⎝ . ⎠a dBilinearform φ(a, b) ∈ Kφ(a, b) = [S(B, a)] † M(B, φ, B)S(B, b) (A.1)φ(a, b) = (a i ) ∗ φ(e i , e j )b i mit der Matrix M i,j (B, φ, B) = φ(e i , e j )Skalarprodukt φ SP (a, b) = a · b(positiv definite Bilinearform)Metrik g ij = φ SP (e i , e j ); <strong>für</strong> ON-Basis B gilt:g ij = δ ij und a · b = [S(B, a)] † S(B, b)Lineare Abbildung T(a) ∈ Vmit T(e i ) = e j T j iS(B, T(a)) = M(B, T, B)S(B, a)mit M j i (B, T, B) = T j i bzw.M(B, T, B) = ( S(B, T(e 1 )), . . . S(B, T(e d )) )(A.2)(A.3)Hintereinander-AusführungT 1 ◦ T 2 (a) = T 1 (T 2 (a)) M(B, T 1 ◦ T 2 , B) = M(B, T 1 , B)M(B, T 2 , B) (A.4)Abb. ist orthogonal/unitär wenn:U(a) · U(b) = a · b , ∀a, b M −1 (B, U, B) = M † (B, U, B) (A.5)Speziell <strong>für</strong> d = 3:Kreuzprodukt c = a × bc ⊥ a, b mit positiver Orientierungund |c| 2 = |a| 2 |b| 2 − (a · b) 2Das Kreuzprodukt ist weder kommutativnoch assoziativbzgl. positiv orientierter ON-Basis B giltS(B, a × b) = S(B, a) × S(B, b) wobei⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞a 1 b 1 a 2 b 3 − a 3 b 2⎝a 2 ⎠ × ⎝b 2 ⎠ = ⎝a 3 b 1 − a 1 b 3 ⎠a 3 b 3 a 1 b 2 − a 2 b 163(A.6)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> <strong>Ia</strong>, 10. Juli 2003 64A.1 Basiswechsel auf neue Basis ˜B = {ẽ 1 , . . . ẽ d }Entwickle e i = ẽ j M j i → a = e ia i = ẽ j M j i ai = ẽ j ã jIn Matrixdarstellung:S( ˜B, a) = M( ˜B, B)S(B, a) (A.7)mit M j i ( ˜B, B) = M j i , bzw. M( ˜B, B) = ( S( ˜B, e 1 ), . . . S( ˜B, e d ) ) (A.8)D.h. M( ˜B, B) besteht aus den Spalten der Elemente der Basis B bezüglich der Basis ˜B. Es gilt:M(B 2 , B) = M(B 2 , B 1 )M(B 1 , B) und M(B, ˜B) = M( ˜B, B) −1Für den Tensor einer Abbildung gilt die TransformationsvorschriftM( ˜B, T, ˜B) = M( ˜B, B)M(B, T, B)M(B, ˜B) (A.9)Für den Tensor einer Bilinearform gilt die TransformationsvorschriftM( ˜B, φ, ˜B) = M(B, ˜B) † M(B, φ, B)M(B, ˜B) (A.10)Falls ˜B und B ON-Basen sind, gilt:M(B, ˜B) = M( ˜B, B) † = M( ˜B, B) −1(A.11)und die Tensoren von Abbildungen und Bilinearformen transformieren sich gleich.Falls ˜B und B positiv orientierte ON-Basen sind, gilt detM( ˜B, B) = 1 und:[M( ˜B,] [B)S(B, a) × M( ˜B,]B)S(B, b) = M( ˜B,[]B) S(B, a) × S(B, b)d.h. das Kreuzprodukt zweier Vektoren transformiert sich wie ein Vektor. Dies zeigt, dass dieMatrixdarstellung (A.6) basisunabhängig ist. Bei Basen mit umgekehrter Orientierung kommtein Faktor −1 hinzu.A.2 Diagonalisierung von TensorenSei M(B, A, B) ein symmetrischer (hermitescher) Tensor. Dann existiert ein (orthonormales)System von Spalten S 1 , . . . S d mit M(B, A, B)S i = A i S iInterpretiere S i = S(B, u i ) und wähle nun die neue Basis ˜B = {u 1 , . . . u d }. Dann gilt M( ˜B, B) † =M(B, ˜B))=(S 1 , . . . S d und⎛⎞A 1 0 . . . 0M( ˜B, A, ˜B) ⎜⎟= ⎝ . . . . ⎠0 0 . . . A d

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