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freizeit - business am bodensee - Seehas Magazin

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INDUSTRIELEHRPFAD HAUPTWIL-BISCHOFSZELL<br />

Historische Papiermaschine und architektonisches Vermächtnis vergangener Textilindustrie<br />

Wo einst die Maschinen surrten und ausgelegte Leinwandtücher die Wiesen<br />

erstrahlen ließen, ist heute Ruhe eingekehrt. Hauptwil, ein in lieblicher Talmulde<br />

gelegenes Dörfchen liegt im Kanton Thurgau, südlich von Bischofszell,<br />

an der Grenze zum Kanton St. Gallen. Der N<strong>am</strong>e deutet darauf hin, dass der<br />

Ort ursprünglich der wichtigste Weiler in der Gegend war. Die zwei großen<br />

Geschlechter Gonzenbach und Brunnschweiler brachten zwischen dem 17.<br />

und 19. Jahrhundert die Hauptwiler Textilien zu Weltruhm.<br />

Bischofszell ist bekannt durch seine barocke Altstadt auf der Thurterrasse.<br />

Gegründet wurde Bischofszell im 9. Jahrhundert von Bischof Salomo von Konstanz.<br />

Die frühere Leinwandhochburg Bischofszell gab sich durch den industriellen<br />

Aufbruch im 19. und 20. Jahrhundert in der Papier- und Nahrungsmittelindustrie<br />

ein neues Image.<br />

Wasserkraft in Hauptwil<br />

In einer eiszeitlichen Schmelzwasserrinne ließ das St. Pelagistift aus Bischofszell<br />

1430 oberhalb von Hauptwil fünf Fischweiher anlegen. Das bescheidene<br />

Wasserangebot wurde d<strong>am</strong>it regulierbar. Am Weiherabfluss, dem späteren<br />

Dorfkanal, wurde sogleich die erste Mühle gebaut. So trieben Wasserräder seit<br />

dem 15. Jahrhundert im Sorntal und in Hauptwil Mühlen und eine Säge, die<br />

den Bauern der Umgebung dienten. Neben der Zunftfreiheit waren die günstigen<br />

Wasserverhältnisse der Hauptwiler Weihertreppe ausschlaggebend für die<br />

Standortwahl der Gebrüder Gonzenbach, die den Flecken im 17. Jahrhundert<br />

zum Handels- und Manufakturort machten.<br />

War man zunächst bei der Veredelung von Leinwand auf ausreichend Wasser,<br />

sowohl für den Bleicheprozess als auch zum Antrieb der Walken und Mangen<br />

angewiesen, so trat im 19. Jahrhundert die Rotfärberei an ihre Stelle. Im Laufe<br />

des 18. und 19. Jahrhunderts wurde das Gewässersystem stetig ausgebaut, so<br />

dass auch im Zeitalter der Industrialisierung Wasserräder bis gegen 1900 die<br />

einzigen Antriebsmotoren blieben. Erst seit auf der 1876 eröffneten Eisenbahnstrecke<br />

zwischen Sulgen und Gossau die erforderliche Steinkohle herbeigeschafft<br />

werden konnte, wurde der Einsatz von D<strong>am</strong>pfmaschinen möglich.<br />

In vorindustrieller Zeit bewegte sich ohne Wasserkraft nicht viel. Nur dank ausgeklügelten<br />

Wassernutzungssystemen entstand eine der ältesten ländlichen<br />

Manufakturen der Schweiz. Wasser blieb in der Region als Energieträger, Reinigungswasser<br />

und Stromlieferant bis in die Mitte des 20. Jh. bedeutend.<br />

Energie aus der Thur<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts förderte Bischofszell seine Industriealisierung durch<br />

Abgabe von Gratisland und die Erteilung von Wassernutzungsrechten. Der<br />

Unternehmer Johann Jakob Niederer entschloß sich, im Jahr 1856 von Hauptwil<br />

nach Bischofszell umzusiedeln, da es in Hauptwil nicht mehr möglich war,<br />

weitere Wasserkraft zu erschließen. Er verpflichtete sich, eine wassergetriebene<br />

Fabrik mit 100 Arbeitsplätzen zu errichten und erhielt als Gegenleistung von<br />

der Bürgergemeinde Bischofszell Bauholz und Boden zur Erstellung eines Wasserkanals<br />

sowie das Recht zur Wassernutzung. 1861 – 1863 entstand das 100<br />

Meter breite Wehr in der Thur bei im Unteren Ghögg und der 2 Kilometer lange,<br />

5 Meter breite und 1.8 Meter tiefe Kanal bis zur Fabrikanlage.<br />

24 SEEHAS-MAGAZIN<br />

FREIZEIT<br />

Die ganze Wasserkraftanlage umfasste das Thurwehr mit Wehrwärter-Wohnhaus,<br />

die Kiesschwemmfallen, den Oberwasserkanal, die Einlauf- und Leerlaufbauwerke,<br />

die Rechenanlagen, die Turbinen und den Unterwasserkanal.<br />

Als erstes wurde mit einer 14 PS Jonval-Turbine eine Sägerei betrieben. 1865<br />

folgte die Inbetriebnahme der Weberei mit 50 Arbeitsplätzen (100 PS Escher-<br />

Wyss-Turbine). Im 3-geschossigen Fabrikgebäude aus Nagelfluhsteinen wurden<br />

mittels Wasserkraft über Turbinen und mechanisch angeschlossener Transmissionsanlage<br />

schließlich bis 350 Jacquard-Webstühle (mit Lochkartensteuerung<br />

für die Erstellung von Mustern) angetrieben.<br />

Um die Wasserkraft besser ausnutzen zu können, wurde 1886 als Diversifizierung<br />

ein zweites Gebäude (Riegelbau) erstellt und eine ebenfalls mit Wasserturbine<br />

angetriebene Holzschleiferei und Cartonfabrik eingerichtet. Da, nicht<br />

gewinnbringend, wurde 1889 diskutiert, die Produktion einzustellen und<br />

die Wasserkraft zur Erzeugung von elektrischer Energie zur Beleuchtung von<br />

Bischofszell und St.Gallen einzusetzen. Dieses Vorhaben k<strong>am</strong> jedoch nicht zur<br />

Ausführung.<br />

1896 wurde von einer deutschen Papierfabrik eine überflüssig gewordene<br />

Papiermaschine mit einer Jahresleistung von 1000 Tonnen Papier und Halbkarton<br />

gekauft und im niedrigen Anbau vor dem Hauptgebäude installiert. Von<br />

den 350 Webstühlen wurden 150 stillgelegt. Die Wasserkraft diente nun auch<br />

zum Antrieb der so genannten Holländer für die Erzeugung des Papierstoffes.<br />

1911 wurde wegen Absatzschwierigkeiten die Weberei ganz stillgelegt. 1912<br />

entstand die Carton- und Papierfabrik G. Laager.<br />

Nach der Erhöhung des Thurwehrs im Jahr 1904 (das Gefälle bei normaler<br />

Wasserführung der Thur betrug jetzt 10 Meter) waren schließlich 5 Turbinen<br />

im Betrieb, die alle zwischen 1916 und 1936 durch Francis-Turbinen von Escher<br />

Wyss ersetzt wurden. Nach und nach wurden sie mit Generatoren ausgerüstet<br />

und d<strong>am</strong>it der mechanische Antrieb durch einen elektrischen ersetzt.<br />

Anfangs der 1980er Jahre wurden sie total überholt. Es konnten bis zu 620<br />

Kilowatt Strom erzeugt werden. Bei Wasserknappheit infolge Trockenheit oder<br />

Kälte aber auch bei Hochwasser, wenn der Rückstau der Thur den Abfluss<br />

beim Unterwasserkanal beeinträchtigte, konnte die Leistung jedoch stark<br />

abnehmen. Ursprünglich waren alle Turbinen mit Fliehkraftreglern ausgestattet<br />

und das fabrikeigene Stromnetz auf 250 Volt Drehstrom ausgerichtet. Bei der<br />

letzten Sanierung wurde auf 380 Volt umgestellt mit Frequenzimpulssteuerung<br />

aus dem öffentlichen Netz. Heute wird noch mit 4 Turbinen (eine davon als<br />

Reserve) Strom erzeugt.<br />

Die PM 1 von Bischofszell<br />

Die älteste Papiermaschine der Schweiz steht in Bischofszell. Mehr als 62 Jahre<br />

lang wurden auf ihr über 700 Papiersorten angefertigt (die unterschiedlichen<br />

Flächengewichte nicht mitgerechnet). Sie wurde im Jahre 1928 von der<br />

Maschinenfabrik Voith in Heidenheim als Nummer 353 gebaut. Bis zum Mai<br />

1991 tat sie ihren Dienst im Dreischichtbetrieb, indem sie täglich 10 bis 15<br />

Tonnen überwiegend Verpackungspapiere in Flächengewichten von 30 - 450<br />

g/qm und zuletzt vor allem „Umweltschutzpapier“ mit einer Geschwindigkeit<br />

von maximal 95 m/min und einer Breite bis 2,20 Meter erzeugte.

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