SFB600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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TEILPROJEKT B 5<br />
<strong>Armut</strong> im ländlichen Raum im Spannungsfeld zwischen staatlicher<br />
Wohlfahrtspolitik, humanitär-religiöser Philanthropie <strong>und</strong> Selbsthilfe<br />
im industriellen Zeitalter (1860-1975)<br />
Der Wandel von <strong>Armut</strong>sphänomenen in ländlichen Regionen<br />
Europas zwischen 1860 <strong>und</strong> 1975 wird am Beispiel der Graf-<br />
schaft Donegal <strong>und</strong> der Landkreise Bernkastel <strong>und</strong> Wittlich<br />
untersucht. Nordwestirland <strong>und</strong> die südliche Rheinprovinz<br />
waren durch kleinräumige Besitz- <strong>und</strong> Pachtstrukturen in<br />
der Landwirtschaft charakterisiert. Im Zuge des demographi-<br />
schen Umbruchs <strong>und</strong> der Industrialisierung entwickelten sie<br />
sich zu Abwanderungs- <strong>und</strong> Randzonen. In den überwiegend<br />
katholischen Regionen waren materielle Not, unzureichende<br />
Infrastruktur <strong>und</strong> niedrige Standards der sozialen Versor-<br />
gung, die durch ein Neben- <strong>und</strong> Miteinander staatlicher <strong>und</strong><br />
privater Fürsorgeinstitutionen geprägt war, bis in das letzte<br />
Drittel des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts weit verbreitet.<br />
Konkrete Formen, Bedingungen <strong>und</strong> Grenzen der Armenfür-<br />
sorge sowie ihre Veränderung durch die Etablierung neuer<br />
Instrumente der <strong>Armut</strong>sbekämpfung wie Sozialversicherun-<br />
gen oder Strukturpolitik werden mikrohistorisch erforscht.<br />
Dabei interessieren uns besonders Handlungsmöglichkeiten<br />
<strong>und</strong> -strategien der von <strong>Armut</strong> betroffenen Individuen <strong>und</strong><br />
Gruppen. Wahrnehmungen von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit,<br />
Ein Angestellter der lokalen Armenverwaltung, der für öffentliche Ges<strong>und</strong>heit<br />
zuständig war, <strong>und</strong> sein ‚Büro‘<br />
Prof. Dr. Lutz Raphael<br />
Neuere <strong>und</strong> Neueste Geschichte<br />
Inga Brandes, M.A.<br />
Martin Krieger, M.A.<br />
Dr. des. Katrin Marx<br />
16<br />
Ein Inspektor der Armenverwaltung <strong>und</strong> eine Frau, die einen Antrag auf<br />
Alterspension stellt: „Ich war alt genug, um eine Kartoffel aus meiner<br />
Hand zu essen in der Nacht des ‚Großen Sturms‘ (1839).“<br />
Erfahrungen ökonomischer Ohnmacht <strong>und</strong> sozialer Stigmati-<br />
sierung sowie ihre Folgen in Form politischer Benachteiligung<br />
oder psychosozialer Belastungen werden berücksichtigt.<br />
In Regionalstudien, die biographisch-lebenslaufspezifische<br />
Forschungsansätze, Diskursanalyse, historische Seman-<br />
tik <strong>und</strong> quantitative Analyseverfahren verbinden, unter-<br />
suchen wir auf nationaler, regionaler <strong>und</strong> lokaler Ebene<br />
Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede der betroffenen Akteu-<br />
re in ihrem jeweiligen Kontext europäisch vergleichend. Die<br />
Analysen stützen sich vornehmlich auf Quellen der lokalen<br />
Verwaltung, Akten der kommunalen Armenfürsorge, Wohl-<br />
fahrts- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspflege sowie der Arbeitslosenfürsor-<br />
ge. Diese werden ergänzt durch Bestände höherer Verwal-<br />
tungsebenen, Statistiken <strong>und</strong> zeitgenössische Publikationen<br />
verschiedener Provenienz, z.B. Zeitungsartikel, Fachliteratur<br />
oder autobiographische Zeugnisse.<br />
Einzelaspekte unseres Arbeitsprogramms werden in Quali-<br />
fikationsarbeiten konkretisiert: die Auswirkungen der Mas-<br />
senarbeitslosigkeit, die Ges<strong>und</strong>heitsversorgung von länd-<br />
lichen Armen, Sozialprofile von Empfängern offener <strong>und</strong><br />
geschlossener Armenfürsorge, die Bedeutung prekärer<br />
Arbeitsverhältnisse, die Eigendynamik der kommunalen<br />
Verwaltungspraktiken oder der Stellenwert religiös motivier-<br />
ter Armenfürsorge <strong>und</strong> konfessioneller Einrichtungen.