38 NEUE FORSCHUNG_BINDUNG VON ZEITARBEITNEHMERNZeitarbeitnehmer im Helfersegment sind zu<strong>de</strong>m durch einespezifische Zwangssituation geprägt. Viele dieser Arbeitnehmerkommen aus <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit o<strong>de</strong>r verfügen nur überunzureichen<strong>de</strong> Qualifikationen, sodass keine Beschäftigungsalternativenzu erkennen sind. Zeitarbeit bietet dann eine Einstiegsmöglichkeit,die mit <strong>de</strong>r Hoffnung besetzt ist, dauerhaft indie Stammbelegschaft <strong>de</strong>s Entleihunternehmens übernommenzu wer<strong>de</strong>n. Diese Aussicht auf <strong>de</strong>n sog. Klebeeffekt implizierteine beson<strong>de</strong>re Dynamik <strong>de</strong>r Bindung, die zunächst durch einhohes Engagement geprägt ist, das dann, wenn die erwarteteÜbernahme ausbleibt, wie<strong>de</strong>r reduziert wird. Kommt es zu längerenÜberlassungen, geht die Enttäuschung wie<strong>de</strong>r zurück.Instabile Bindungen prägen das Bild (Bornewasser, 2011).Fachkräfte und Spezialisten sind in <strong>de</strong>r Regel unabhängigund verfügen über Alternativen. So können sich Anästhesistenetwa über Personaldienstleister für kurze Zeitperio<strong>de</strong>n imIn- und im Ausland auf Honorarbasis vermitteln lassen. Hiersind vorwiegend ökonomische Ressourcen von Belang, eineaffektive Bindung kann oftmals gar nicht entstehen, ist aberauch aufgrund <strong>de</strong>r Bereitschaft zu stetigem Wechsel nicht zuerwarten. Kurzfristigkeit und gleichzeitige Bindungslosigkeitcharakterisieren <strong>de</strong>n Experten mit Spezialwissen.Verbesserung <strong>de</strong>r Situation im EntleihunternehmenDas triadische Arbeitsverhältnis muss durch gezielte Informierungan Transparenz gewinnen. In <strong>de</strong>m Dreiecksverhältnisist <strong>de</strong>r Arbeitnehmer im Helfersegment das schwächsteGlied und stets von Verantwortungsdiffusionen zwischen <strong>de</strong>nbei<strong>de</strong>n Unternehmen bedroht. Aufklärung und Unterstützungsind angezeigt. Drohen<strong>de</strong> Image- und Reputationsverluste vonUnternehmen sollten Motivation genug sein, die Überlassunggesetzeskonform, transparent und fair zu gestalten.Entleihen<strong>de</strong> Unternehmen müssen sich auf die verän<strong>de</strong>rteSituation infolge <strong>de</strong>r externen Flexibilisierung einstellen. Dieaufgemachte Grenze zwischen Stamm- und Zeitarbeitnehmerschaftverlangt nach konkreten Integrationsmaßnahmen, um dieMitwirkungsbereitschaft auch bei kalkulierbarer Nicht-Übernahmezu erhöhen und vielfältige Formen <strong>de</strong>s Opportunismuszu reduzieren. Hierzu bedarf es eines Qualitätsmanagements,in <strong>de</strong>m z. B. die Standardisierung <strong>de</strong>r Einstellung, <strong>de</strong>r Einarbeitung,<strong>de</strong>r Leistungsbewertung und auch <strong>de</strong>r Abmeldung vonZeitarbeitnehmern etabliert wird. Eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rollespielen die unmittelbaren Vorgesetzten, die das erlebbare undoftmals als ungerecht erlebte Hierarchie- und Machtverhältnisim Entleihunternehmen spürbar prägen.Für die Verleihunternehmen stellt sich die Aufgabe, die direktenMacht- und Weisungsverhältnisse in <strong>de</strong>n Entleihunternehmenim Sinne ihrer vermittelten Arbeitskräfte stärker zubeeinflussen. Auch die Betriebsräte in <strong>de</strong>n Entleihunternehmensind aufgefor<strong>de</strong>rt, diesen Aspekt stärker zu fokussieren.Equal-Pay und Equal-Treatment stellen gleichwertige Ziele in<strong>de</strong>m Unterfangen dar, die Zeitarbeitnehmer – wenn auch nurvorübergehend – mit <strong>de</strong>r Stammbelegschaft gleichzustellen.Konsequenzen für die PersonalarbeitZeitarbeit bietet Unternehmen, insbeson<strong>de</strong>re vor <strong>de</strong>m Hintergrund<strong>de</strong>s Kündigungsschutzgesetzes, eine hervorragen<strong>de</strong>Chance zur Flexibilisierung, die sie voraussichtlich auchzukünftig intensiv nutzen wer<strong>de</strong>n. Das negative Image <strong>de</strong>rZeitarbeit als Instrument <strong>de</strong>r Lohndrückerei und Verdrängunggesellschaftlicher Verantwortung ist spätestens mit <strong>de</strong>r Novellierung<strong>de</strong>s AÜG überholt. Die letzten Än<strong>de</strong>rungen und dieanstehen<strong>de</strong>n Neuerungen hinsichtlich Equal-Pay verbessernzumin<strong>de</strong>st die expliziten Arbeitsbedingungen <strong>de</strong>r Zeitarbeitnehmerund verhin<strong>de</strong>rn weitgehend <strong>de</strong>n missbräuchlichenEinsatz. Ein „Kriterienkatalog Zeitarbeit“ <strong>de</strong>r Initiative QualitätssiegelZeitarbeit zeigt Aspekte auf, die bei verantwortungsvollerÜberlassung zu beachten sind.Zeitarbeit ist nicht Zeitarbeit. Differenzierung ist erfor<strong>de</strong>rlich.Obgleich das klassische Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Zeitarbeit als geringqualifizierter Randbelegschaft weiterhin existiert, entwickeltsich seit einigen Jahren ein zweites Segment <strong>de</strong>r Überlassungvon hoch qualifizierten Fachkräften und Spezialisten.Bei<strong>de</strong> Segmente unterschei<strong>de</strong>n sich fundamental voneinan<strong>de</strong>rin Bezug auf die Art <strong>de</strong>r Austauschverhältnisse zwischenZeitarbeitnehmer und Entleiher. Während im HelferbereichZeitarbeitnehmer weiterhin als weitestgehend austauschbarangesehen wer<strong>de</strong>n, verfügen die Arbeitnehmer im qualifiziertenSegment durch die Einzigartigkeit ihres Wissensüber eine vergleichsweise hohe Verhandlungsmacht. Diese„Qualifikationsschere“ wird in <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Jahren mitzunehmen<strong>de</strong>m Fachkräftemangel weiter auseinan<strong>de</strong>rgehen.Die externe numerische Flexibilisierung schafft insbeson<strong>de</strong>reim Helfersegment ein Qualifizierungsproblem. Generell ist<strong>de</strong>r Arbeitgeber für die betriebliche Fortbildung zuständig.Aufgrund <strong>de</strong>r Aufspaltung <strong>de</strong>r Arbeitgeberfunktion kommt esjedoch im Bereich <strong>de</strong>r Qualifizierung zu einer beson<strong>de</strong>ren Situation:Angesichts <strong>de</strong>r möglichen Übernahme <strong>de</strong>s überlassenenZeitarbeitnehmers besteht seitens <strong>de</strong>s Personaldienstleisterskeine ausgeprägte Bereitschaft zur Qualifizierung. Diese bestehtaber auch seitens <strong>de</strong>s Entleihunternehmens nicht, weilentwe<strong>de</strong>r ohnehin nur Helfertätigkeiten auszuüben sind bzw.die nur vorübergehen<strong>de</strong> Beschäftigung eine Qualifizierungnicht lukrativ erscheinen lässt (Fischer/Lehmann 2011). Indiesem Kontext stellt sich einerseits die Frage, ob finanzielleAblösezahlungen ein Mittel sein könnten, die fortlaufen<strong>de</strong> Qualifizierungzu sichern. An<strong>de</strong>rerseits werfen gera<strong>de</strong> die Helfertätigkeitenin hoch standardisierten technischen Systemen dieFrage auf, welche Art von Qualifizierung hier über ein lokalesAnlernen überhaupt angezeigt ist.Infolge dieser Entwicklungen müssen PersonalverantwortlicheWege fin<strong>de</strong>n, Zeitarbeitnehmer bei<strong>de</strong>r Segmente für diePERSONAL<strong>quarterly</strong> 02 / 12
39Dauer <strong>de</strong>s Einsatzes besser zu integrieren. Im gering qualifiziertenSegment erscheinen Gleichbehandlung, Fairness un<strong>de</strong>in gewisses Maß an Mitbestimmung als wichtige Instrumentezur Steigerung von Motivation, Bindung und Leistung sowie<strong>de</strong>r Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r Gesundheit <strong>de</strong>r Zeitarbeitnehmer.Das oftmals leere Versprechen einer Übernahme wirkt sichhier langfristig eher negativ aus. Im Segment <strong>de</strong>r höher Qualifiziertensind es vor allem die Befindlichkeiten <strong>de</strong>r Stammbelegschaftgegenüber <strong>de</strong>n Externen, die es abzubauen gilt.LITERATURVERZEICHNISAtkinson, J. (1984): Flexibility, uncertainty and manpower management.IMS report No. 89. Brighton.Baker, G./R. Gibbons, et al. (2002): Relational contracts and the theoryof the fi rm. Quarterly Journal of Economics 117(1), S. 39-84.Baszenski, N. (2011): Flexibilität als Wettbewerbsvorteil: Wo <strong>de</strong>utsche Unternehmenschon up to date sind und und wo sie noch besser wer<strong>de</strong>n können,in: Betriebspraxis und Arbeitsforschung, 209, S. 8-15.Blau, P. (1986): Exchange and power in social life. Transaction Publishers,New York.Bornewasser, M. (2011): Duales Commitment: Eine theoretischeHerausfor<strong>de</strong>rung für das traditionelle Commitment-Konzept. In Gesellschaft fürArbeits wissenschaft (Hrsg.) Mensch, Technik, Organisation – Vernetzung imProduktentstehungs- und -herstellungsprozess. GfA Press, Dortmund. S. 711-714.Bun<strong>de</strong>sagentur für Arbeit (2012): Arbeitsmarkt nach Branchen: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und gemel<strong>de</strong>te Arbeitsstellen nach Wirtschaftsabschnitten.Nr. 01/12. Nürnberg.Crimmann, A./Ziegler, K./Ellguth, P./Kohaut, S./Lehmer, F. (2009):Forschungsbericht zum Thema Arbeitnehmer überlassung: Endbericht zum29. Mai 2009. Bun<strong>de</strong>sministerium für Arbeit und Soziales, ForschungsberichtArbeitsmarkt, Nr. 397. Nürnberg.Felfe, J./ Schmook, R./ Six, B. (2008): Die Be<strong>de</strong>utungen kulturellerWertorientierungen für das Commitment gegenüber <strong>de</strong>r Organisation, <strong>de</strong>mVorgesetzten, <strong>de</strong>r Arbeitsgruppe und <strong>de</strong>r eigenen Karriere. Zeitschrift fürPersonalpsychologie, Nr. 5, S. 97-107.Fischer, H. /Bouncken, R.B. (2010): Qualifi zierung in <strong>de</strong>r Zeitarbeit– Defi zite, Rahmenbedingungen und Handlungsempfehlungen im Lichteempirischer Untersuchungen. Bayreuth reports on strategy (BaRoS). Nr. 3,http://opus.ub.uni-bayreuth.<strong>de</strong>/volltexte/2011/818/Fischer, H./Lehmann, C. (2011): Qualifi zierung in <strong>de</strong>r Zeitarbeit.In: Bouncken, R.B. und Bornewasser, M. (Hrsg.) Beiträge zur FlexibilisierungBand 1 – Schwerpunkt Zeitarbeit, Bayreuth/Greifswald, S. 109-136.Galais, N. /Moser, K. (2009): Organizational commitment and the well-beingof temporary agency workers. Human Relations, 62, S. 589-620.Haunschild, A. (2004): Flexible Beschäftigungsverhältnisse. Effi zienz,institutionelle Voraussetzungen und organisationale Konsequenzen.Habilitationsschrift, Hamburg.Kalleberg, A.L. (2011): Good jobs, bad jobs. The rise of polarized andprecarious employment systems in the United States, 1970s to 2000s.Russell Sage Foundation, New York.Lehmann, C./Ratzmann, M. /Bouncken, R. B. (2010): ErhebungMittelständische Zeitarbeit. Bayreuth Reports on Strategy (BaRoS), Nr. 1,http://opus.ub.uni-bayreuth.<strong>de</strong>/volltexte/2010/734.Mückenberger, U. (1985): Die Krise <strong>de</strong>s Normalarbeitsverhältnisses. Zeitschriftfür Sozialreform, Jg. 31, Nr. 7, S. 415-434.Polivka, A. E. /Nardone, T. (1996): On the <strong>de</strong>fi nition of contingent work.Monthly Labor Revue, Nr. 112, S. 9-16.Siebenhüter, S. (2011): Integrationshemmnis Leiharbeit– Auswirkungen von Leiharbeit auf Menschen mit Migrationshintergrund.OBS-Arbeitsheft Nr. 69, Frankfurt a.M., Otto Brenner Stiftung.Simon, H. A. (1951): A formal theory of the employment relationship.Econometrica 19(3), S. 293-305.SUMMARYPROF. DR. MANFRED BORNEWASSERUniversität Greifswald. Lehrstuhl fürSozialpsychologie, Arbeits- und Organisationspsychologiee-mail: bornewas@uni-greifswald.<strong>de</strong>www.flex4work.<strong>de</strong>CHRISTIAN LEHMANN, DIPL.-KFM.Universität Bayreuth, Lehrstuhl für StrategischesManagement und Organisatione-mail: christian.lehmann@uni-bayreuth.<strong>de</strong>www.flex4work.<strong>de</strong>Research question: Which factors take infl uence on the establishmentof a successful employment relation between temporaryagency workers and client fi rms?Methodology: Survey-based questionnaire studies among clientfi rms and temporary agency workers in Germany (2011).Practical implications: A successfully arranged employmentrelationis a precondition of temporary workers’ motivation and jobperformance. Concerning helpers successful employment relationsare to be based on a wi<strong>de</strong>-ranging integration and equal treatment.In the fi eld of specialists the competitive relation of the qualifi edcore workers and the temporarily employed specialists has to beregulated.02 / 12 PERSONAL<strong>quarterly</strong>