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sprungbrett uni? - Kupferblau

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„Jeder hat sein Päckchen zu tragen“Wie folgt eigentlich ein hörgeschädigter Studierender einer Vorlesung? Oder wie liest ein blinderStudent seine Lektüre? Wo sich für andere Studierende keine Probleme ergeben, müssen sie einenAlltag mit Herausforderungen meistern. Das gibt es auch an der Uni Tübingen...von Alexander LinkPia studiert im fünften SemesterGermanistik und im Nebenfach seitletztem Jahr Philosophie – weil ihr dasNebenfach vorher „zu nichtssagend“war. Ein leseintensives und anspruchsvollesStudium hat sich die selbstbewussteStudentin ausgesucht, die seitihrer Geburt blind ist.Dennoch hat sie sich damals bewusstder Herausforderung eines Studiumsgestellt. „Ich habe mir selbst undallen anderen Leuten gezeigt, dassich es kann!“ erzählt sie heute stolz.Etwa zwei Prozent aller Studierenden inDeutschland haben wie Pia eine erheblichekörperliche Beeinträchtiung. InTübingen geht man etwa von einemähnlichen Verhältnis aus, weiß dasjedoch nicht genau. „Die Angabe, objemand eine Behinderung oder chronischeErkrankung hat, ist freiwillig“,erklärt Klaus Heinrich, Beauftragter fürStudierende mit körperlicher Beeinträchtigungder Uni Tübingen.Pia aber geht souverän mit ihrer offensichtlichenBehinderung um und hatsich am Neckar eingelebt: „Richtig wohlfühle ich mich erst hier an der Uni.“Doch auch sie brauchte Anlauf, umso zufrieden zu sein wie heute. Textelesen kann sie über einen PC, den siemit Sprachausgabesoftware bedient -das kannte sie bereits aus der Schule.Außerdem machte Pia als sie nachTübingen kam ein „Mobilitätstraining“.Dort lernte sie, mit einem Coach diewichtigsten Wegezum Einkaufen oderzur Uni. Inzwischenfühlt sie sich sicher:„In den Gebäuden,in denen ichUni habe, kenne ichmich schon sehr gutaus.“ Nur an einemschlechten Tag hat sie noch Probleme.Oder in der verflixten Innenstadt, wojede Gasse fast gleich heißt! Doch auchhier hat sie Selbstbewusstsein entwickelt:„Einmal war ich mir nicht ganzsicher, ob ich richtig bin. Da habe ichnach dem Weg gefragt und ein Mannmeinte, ich sei in einer anderen Gasse,als ich dachte,“ erzählt sie. „Hinterherstellte sich heraus: Ich lag richtig.“Pia lacht. Sie ist allgemein zufrieden mitihrem Studium in Tübingen. Doch gehtes allen so? Klaus Heinrich, der sichfür Belange Studierender mit körperlicherBehinderung einsetzt, sieht dasdifferenziert: „Jede Behinderungsarthat spezifische Einschränkungen.“Es bleiben Defizite, vor allem in baulicherHinsicht. Eine Markierung vonTreppenstufenmit neonfarbigenBändern für Sehgeschädigtelehntedas Amt für Vermögenund Bau ab,da sich das abnützenwürde. Auch„Ich habe mir selbstund allen anderenLeuten gezeigt, dassich es kann!“Barrierefreiheit istin manchen Bereichennicht gegeben. Teilweise, weil sichdas bei alten Gebäuden der Uni kaumändern lässt, teilweise wegen andersgesetzten Prioritäten bei Sanierungen.„Im baulichen Bereich hat die Unigroßen Stau. Und da fällt bei Altbausanierungendie Idee von barrierefreiemZugang oft unter den Tisch“, bemängeltKlaus Heinrich.Damit kennt sich auch Viviane aus.Die angehende Psychologin sitzt imRollstuhl. Mit ihrem Handicap gehtsie selbstbewusst um: „So schlimmist das eigentlich gar nicht, ich kannsogar High Heels anziehen, ohne nachStunden vor Schmerzen zu jammern!“,sagt sie augenzwinkernd. Sie vermisstzum Beispiel einen Fahrstuhl im Theologicum,wo sie dann nicht zur Toilettein einem anderen Stock kann. Außerdemärgert sie in Vorlesungen hintensitzen zu müssen. Das Lesen von Folienoder undeutlich sprechende Dozentenmachen es ihr ausder Distanz nichtimmer leicht. Dochauch Ersti Vivianegefällt es bisher inTübingen gut. „DieLeute an der Uni sindalle nett und hilfsbereit“,sagt sie.In den letzten Jahren ist das sozialeUmfeld an der Uni für behinderteStudierende besser geworden, findetauch Klaus Heinrich. „Außerdemnehme ich auch ein hohes Entgegenkommender Dozenten wahr.“Doch ob das für alle gilt, die mit einerBenachteiligung ihr Studium meistern,ist zweifelhaft. „Eine Sache liegtmir noch auf dem Herzen,“ möchtePia dazu loswerden: „Blindheit ist jaoffensichtlich und erkenntlich, welcheBedürfnisse man damit hat. Ich habejedoch eine Studentin kennengelernt,die kleinere Kinder und somit teilweisesehr große Probleme mit dem Studium„Je weniger offensichtlichetwas ist,desto weniger Toleranzhaben einige Leute.“hat.” Beklagt sich Pia über die offenbarungleiche Behandlung zwischenStudierenden, die es schwer haben.„Da habe ich mirauch nur gedacht:‚Lebe ich eigentlichin einer anderenWelt?‘ Ich glaube,je weniger offensichtlichetwas ist,desto weniger Toleranzhaben einigeLeute.“ Toleranz istwohl nicht gegenüber allen Beeinträchtigungen(psychischen Problemen oderkaum erkennbaren Krankheiten) gleichgegeben. Pia wünscht sich hier einfachmehr Fairness: „Jeder hat doch irgendwieso sein Päckchen zu tragen.“ Unddas sind wieder andere Geschichten,die es genau so wert sind, erzählt zuwerden…Pia auf dem Weg zur Uni | Foto: Andrej Stern19

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