Sprung in die ZukunftBereitet das Studium gut auf den Beruf vor?Jedes Jahr vereint die Hochschulabsolventen aus Deutschland ein gemeinsames Ziel: die Suche nach einem gutenJob und den Traum von einer Karriere. In den vielen Semestern an der Universität haben sich die unterschiedlichstenWünsche und Vorstellungen entwickelt. Doch haben diese Jahre die Studierenden auch gut darauf vorbereitet?von Isabell WutzDie Universitätsbibliothek ist voll vonStudierenden, die über Büchern sitzenund grübeln. Die Köpfe füllen sichmit Wissen unterschiedlichster Art.Sie lernen für die nächste Klausur, fürdie nächste Hausarbeit oder für dieAbschlussarbeit. In den mindestenssechs Semestern werden die Hochschülermit Argumentation, Thesen, empirischenBefunden, Definitionen, Systemenund Meinungen konfrontiert. Alldas bietet die Bildungsstätte Universitätund bereitet damit auf die Zukunftvor. Doch macht sie das auch gut,sodass den Studierenden der Übergangvom Studium zum Beruf leicht fällt?Für den Jurastudenten Lukas ist dasnicht der Fall. Er empfindet den Sprungin die Arbeitswelt als Herausforderung.Der Weg vom theoretischen Vorlesungssaalin die Praxis eines Anwaltesist schwer. „Vieles von dem, was manin der Uni lernen muss, braucht manspäter nie wieder“, sagt Lukas. Er ist imelften Semester, arbeitet neben seinemStudium in einer Kanzlei in Stuttgartund bereitet sich auf die Wiederholungdes ersten Staatsexamens vor.Mit diesem zweiten Angehen möchteer sein vorheriges Ergebnis verbessern,damit er später bessere Chancen aufeinen guten Arbeitsplatz hat.Lernen um desWissens willen?„Das Problem ist, dass zu viele Jurastudieren, sich aber davor nicht mitdem Studiengang auseinandergesetzthaben. Dadurch wird erst viel zuspät ausgesiebt und die Qualität derLehre sinkt.“ Die viele Theorie, die manlernen müsse, vergesse man schnellwieder, sagt Lukas, stattdessen bleibenur die Methodik hängen. Er ist einervon vielen Studierenden in Tübingen,die den Zusammenhang zwischen demInhalt eines Studiums und dem späterenBeruf vermissen.Die Kenntnisse, die sich die Studierendennicht nur aus den Büchern der Universitätsbibliothekaneignen, machensie wahrscheinlich klüger. Wie Lukaserhoffen sich die wenigsten unter denHochschülern in erster Linie Wissen umdes Wissens willen zu erlangen. Vielmehrwird das Studium als Mittel zumgelungenen Berufseinstieg außerhalbder <strong>uni</strong>versitären Grenzen angesehenund auch erwünscht. Es soll eineBerufsorientierung geben.Diesen Wunsch der Studierenden hatdie Universität Tübingen durch dasProjekt „Erfolgreich studieren in Tübingen“(ESIT) aufgegriffen. Die speziellenVeranstaltungen zu Verbesserungvon Kompetenzen, die Förderung der28
Lehre und die Umstrukturierung derLehrpläne zählen nicht zu den einzigenAufgaben von ESIT. Der Ausbau vonpraxisorientierten Angeboten für denÜbergang in den Beruf steht auch starkim Vordergrund.Die neueGeneration YGesponsert vom Bundesministeriumhat das Programm vor zwei Jahrenseinen Anfang genommen. „Damitsoll eine neue Kultur des Lernens undLehrens entwickelt werden“, sagt LuciaVennarini, Leiterin des DezernatsStudium und Lehre. Das Programmwird für alle Studierenden und für alleFächer angeboten. „Meistens fallen denHochschülern die neuen Angebote garnicht auf, denn sie sind bereits in denStudiengängen oder an der Universitätintegriert. Beispiele sind das Propädeutikumoder die Praktikumsbörse.“Mit diesen Ideen bereitet sich die Universitätauf die heutigen Ansprücheder Arbeitgeber an die Studierendenvor. „Vor der Bologna-Reform hattendie Firmen noch das hohe Alter derAbsolventen kritisiert und verlangtennach erfahrenen jungen Arbeitnehmer“,erklärt Vennarini. „Doch dadurchverliert man an Selbstständigkeit. Alleshat eben seine Schattenseiten.“ Dieangesprochenen Langzeitstudierendengibt es kaum noch an den Hochschulen– sie sind zu einer bedrohten Generationgeworden.Stattdessen formiert sich eineandere Generation an Studierendenmit eigenen Vorstellungen vomArbeitsalltag. Durch den zeitlichenDruck im Studium können sie sich Flexibilitätund Kreativität oft nicht mehrleisten. Dadurch macht sich eine Verschiebungdieser Attribute von der Studienzeithin zur Arbeitswelt bemerkbar.Die sogenannte Generation Yverlangt nach Sinn und Motivationim Beruf, nach Selbstverantwortung,Chancengleichheit und einer Work-Life-Balance.Angespornt vom Druckim Bachelor-Master-System sollendiese Wünsche nun in der zukünftigenArbeitswelt realisiert werden.Unabhängigim BerufDie Frage, wie sie sich ihre spätereArbeitssituation vorstellt, hat die25-jährige Praktikantin Anja schon fürsich beantwortet: „Ich will ein paarJahre in einem Unternehmen arbeitenund mir dann einen neuen Job suchen.Dazwischen am besten noch ein wenigreisen.“Diese Wunschvorstellungen von Unabhängigkeitund Lässigkeit im Berufkann sich nicht jeder leisten, auchwenn er es gern hätte. Wie hoch derWettkampf im Medizin-Studium ist,merkte die ausgebildete KrankenschwesterSophie gleich zu Anfang an.„Es geht alles nur um Leistung, dabeisollte man aber nicht vergessen, dassman auch mit Menschen arbeitet.“Aufgrund ihrer Ausbildung im gleichenFachbereich beginnt die 30-Jährige ihrStudium mit viel mehr Praxiserfahrungals ihre Kommilitonen. „Bei praktischenÜbungen erkennt man schnell,dass sie wenig Erfahrung mit demUmgang mit Patienten haben. Ihnenfehlt die Empathie. Dafür fällt es ihnenleichter, die Theorie zu lernen. Und sohelfen wir uns gegenseitig“, erklärtSophie. Diese beidseitige Unterstützungist nur ein Weg, um die möglicheDiskrepanz zwischen Studium undBeruf zu überwinden. Ein anderer sindPraktika, Trainee-Stellen oder Volontariate.In manchen Studiengängen sindsie sogar fester Bestandteil und bietenden Studierenden die Möglichkeit, sichselbst ein Bild vom Berufsleben zumachen.Studium alsJobgarantie?Dabei können die eigenen Vorstellungenmit der Realitätabgestimmt werden. AuchPraktikantin Anja half diePraxiserfahrung, mehrüber sich selbst undüber den eigenenBerufswunsch zulernen. „Durchdie Arbeitserfahrungin meinemPraktikumkann ichentscheiden,was ich spätermachen will oder auch nicht.“Denn den einen guten Beruf zufinden, fällt den meisten schwer– ihn auch noch zu bekommen,ebenso. Bei den Studierenden istdies ein häufiger Grund, warumsie sich für ein Studium entscheiden.Schließlich heißt es in einerStudie des HIS-Instituts fürHochschulforschung, dass zehnJahre nach dem Abschluss nurein Prozent der Absolventenarbeitslos sind. Somit scheintein Studium die beste Garantiefür einen guten Job zu sein.Egal wie der Inhalt der unterschiedlichenStudiengängeorganisiert ist, zukünftigeAbsolventen habenkeinen Grund zur Sorge– zumindest, wenn manden Zahlen glaubt. Ist dieDiskrepanz nun wirklich sogroß, wie Studierenden oftglauben oder ist es einfachnur die Furcht vor dem unwiderruflichenSprung in die Zukunft?Studierende sitzen in der Universitätsbibliotheküber Bücher gebeugtum Wissen zu erlangen, um klüger zuwerden, um ein Seminar zu bestehenoder auch um sich auf den Beruf vorzubereiten.Mit den unterschiedlichstenMethoden wird dabei gelernt undgelehrt um am Ende das Studium aufverschiedene Art und Weise als Sprungbrettzu nutzen. Und für alle, denendas zu philosophisch ist, hier noch einweiser Ratschlag aus dem Film Oh Boy:„Ich geb dir einen Tipp. Schneid dir dieHaare, kauf dir ein paar ordentlicheSchuhe und such dir einen Job so wie esalle machen.“ Oh, Boy, wenn das nur soeinfach wäre...29