12.07.2015 Aufrufe

sprungbrett uni? - Kupferblau

sprungbrett uni? - Kupferblau

sprungbrett uni? - Kupferblau

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Vom Hörsaal auf die BühneAbends steht er im heißen Bühnenlicht und brüllt in das Publikum. Am nächsten Morgen sitzt er imHörsaal mit Blick auf die Uhr, da die anschließenden Proben pünktlich beginnen. Endre Holéczy lebtzwei Leben. An Spontanität mangelt es ihm in seinem stressigen Alltag nicht, genauso wenig auf derBühne.von Lars AmannMit dünner Mütze und gerötetenWangen betritt Endre MalcomHoléczy das Tübinger Zimmertheaterin der Bursegasse.Er kommt direkt aus der Univom Rhetorik-Seminar. Es ist 18Uhr und noch leer im Foyer. Inzwei Stunden wird er vor sechzigZuschauern den schwäbischenHauptlehrer Ernst AugustWagner verkörpern, den Mordbrenneraus Degerloch. An diesemFreitagabend wird Endre überzehn Seiten Text aufführen, einViertel des Textbuchs.Eine steile Holztreppe nebendem Eingang führt hinauf in dieArbeitsräume. An einem schwarzenBrett hängen dort die aktuellenSpielpläne. Es riecht nachLinoleum und Holz. Das Theaterhat seine eigene Schneiderei, Ankleideräumeund Büros. Endre und seinevier Schauspielerkollegen, das festeEnsemble, bereiten sich hier auf ihreRollen vor. „Meistens simple Sprechübungen,Textproben nur rudimentär.Es ist wichtig, sich von der Textvorlagezu lösen“, erklärt der Akteur. Kieferlockern bereite gut auf das lange Sprechenvor. Eine Stunde später geht ernoch eine kleine Runde an der Neckarfrontspazieren. Das entspannt ihn.„Aufgeregt bin ich nur noch vor Premieren.Durchatmen, frei werden, dannklappt es.“Nach der Vorstellung in der Garderobe |Foto: Lars AmannEndre im Stück „Morgen spricht von mir die ganze Welt“ | Foto: Alexander GonschiorWährend die Zuschauer im voller werdendenFoyer plaudern und lachen,betrachtet sich Endre im ersten Stockvor der beleuchteten Spiegelwand undschlüpft in das hellgraue Hemd unddamit in seine Rolle. „Ich gehöre zu derArt Darsteller, die den Text dynamischund frei spielen, nicht starr“, erklärt erund lässt die Hand kreisen. „Die Performanzist es, die mich am Theaterbegeistert.“ Natürlich steigere sich sodas Risiko auf Aussetzer und Fehler.„Jede Aufführung ist ein kontrolliertesChaos. Aber ich liebe meine Patzer.Im Theater geht es um Unmittelbarkeit,nicht um perfekte Illusion. Patzererzeugen intensiven Kontakt zum Publikum.“Man führe eine Auseinandersetzungmit dem Zuschauer. „Das Theaterist ein Ort des Austausches.”„Es ist wichtig, sichvon der Textvorlage zulösen.“Seit zehn Jahren ist der 31-Jährige schonin diesem Geschäft. Aufgewachsen ist erin Basel. Sein Vater ist Ungar, die MutterAmerikanerin, Deutsch lernte er erstspät. „Ich habe noch immer Problememit der Syntax“, verrät der Darsteller.Die Texte lernt er mit einem Sprachtrainer.Nach dem Schauspielstudiumin Leipzig zog es ihn zum Studium derAllgemeinen Rhetorik und EmpirischenKulturwissenschaft nachTübingen.Der Spagat zwischen der<strong>uni</strong>versitären und kulturellenFront in seinemAlltag ist extrem. SeineSeminare und Vorlesungenmuss er auf die Mittagszeitlegen, um diemorgendlichen Probennicht zu versäumen.Nachmittags sind oftweitere Proben angesetztund abends dann,je nach Besetzung, eineVorstellung. „In Stresszeitenwechsle ich vieroder fünfmal am Tag zwischenUni und Theater.“Dazwischen bleibthöchstens Zeit für einenschnellen Kaffee oder eine Stunde beieasySports. Seit sieben Jahren machter das so, mal sei es entspannter, malnicht. Besonders stressig sind die sechsWochen vor einer Premiere, von denenes jährlich bis zu acht gibt.„Ich liebe meinePatzer.“Das Foyer ist um 20 Uhr wieder leer, inden geschwärzten Katakomben reihtsich Endre mit drei Kollegen vor demPublikum auf. Die nächsten 90 Minuteninszenieren sie gemeinsam das neueStück „Morgen spricht von mir dieganze Welt“, eine Retrospektive zumersten eingestellten Mordfall in Württembergum den 14-fachen MörderWagner. Endre starrt ins Publikum undzieht als Wagner eine wahnhafte Grimasse,sein Kopf glänzt in das gebanntePublikum.Gegen 22 Uhr ist es im Zimmertheaterwieder still und dunkel, nur an der Barwird noch gewischt. „Es ist ein Feierabendgefühl.Manchmal muss ich nachder Vorstellung noch für die Uni lernen.Im Idealfall schaue ich aber die zweiteHalbzeit eines Fußballspiels und trinkedazu ein kühles Augustiner.“ Mit demMantel im Arm steigt Endre Holéczy dieTreppe zu den Umkleideräumen hinauf,dann nochmal eine. Er muss das Hausheute nicht mehr verlassen, denn seineWohnung liegt direkt über dem Theater.3636

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!