13.07.2015 Aufrufe

Dezember 2012 Liahona - Kirche Jesu Christi der Heiligen der ...

Dezember 2012 Liahona - Kirche Jesu Christi der Heiligen der ...

Dezember 2012 Liahona - Kirche Jesu Christi der Heiligen der ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Meine Mutter legte die Scherebeiseite. „Ich muss dir etwas erzählen.Dann verstehst du es sicher. Es hatsich zugetragen, als du noch nichtauf <strong>der</strong> Welt warst.Du weißt, wie ich hierher nachAmerika gekommen bin?“ (Daswusste ich. Die Familie meiner Mutterwar schon überrascht genug, alsmeine Mutter einen Witwer mit vierKin<strong>der</strong>n heiraten wollte, aber sie warregelrecht entsetzt, als sie erfuhr,dass sie deshalb Holland verlassenund in die Vereinigten Staaten ziehenwürde.) „Aber es gibt manches,was du noch nicht weißt. Als wirhier ankamen, hatten wir nichts. DasLeben war hart. Dein Vater hatte zweischlecht bezahlte Jobs. Ich wusch undbügelte für an<strong>der</strong>e Leute. Trotzdemreichte das Geld nie.Ann war damals 17 und wusste,wie viel Geld uns fehlte. Sie wollteuns helfen und ging arbeiten. In <strong>der</strong>Innenstadt fand sie eine Anstellungin einem Süßwarenladen. Sie musstemit dem Bus hinfahren und stand dortden ganzen Tag lang an <strong>der</strong> Theke.Sie gab uns fast ihren gesamten Lohnund behielt nur, was sie für den Busund das Mittagessen brauchte. Siedurfte nämlich kein Essen in denLaden mitnehmen.Ann sagte mir immer, dass sie frohwar, dass sie diesen Job hatte unduns mit ihrem Lohn helfen konnte.Sie sagte mir aber nicht, dass sie sichum ihre kleinen Brü<strong>der</strong> sorgte. Weihnachtenrückte näher und die neuenamerikanischen Freunde <strong>der</strong> Jungssprachen immer von den Spielsachen,die sie sich vom Weihnachtsmann gewünschthatten. Wenn nun <strong>der</strong> Weihnachtsmannuns gar keine Geschenkebrachte?Ein paar Tage vor Weihnachtengab mir Ann ein wenig Geld. Es waraber nicht am Zahltag. Ich fragte sie,woher sie das Geld hatte. Sie sagtemir, sie habe es angespart, indemsie auf das Mittagessen verzichtethabe. Es war nicht viel Geld, aberich wusste, dass sie dafür wochenlangkein Mittagessen gehabt hatte.Sie trug mir auf, mit dem Geld Weihnachtsgeschenkefür ihre Brü<strong>der</strong> zukaufen. Sie vertraute mir, ihrer neuenStiefmutter, dass ich das Richtigekaufen würde.Ich konnte nur Kleinigkeitenkaufen. Aber ich beschloss, dassdie ganze Familie zu Weihnachtenbeschenkt werden sollte. Ich kaufteMandarinen, Seife in <strong>der</strong> Form vonTeddybären, Buntstifte, kleine Spielzeugautosund Socken für deinen Vater.Und ich kaufte Ann ein Taschentuch.Es war ein schlichtes Taschentuch,aber ich blieb spätabends nochauf und bestickte es. Ich freute michso sehr, dass meine neue Tochter unsdieses Weihnachtsfest schenkte. Ichwollte auch ihr etwas ganz Beson<strong>der</strong>eszu Weihnachten schenken.Weihnachten kam. Zu unsererÜberraschung bekamen wir von unserenFreunden in <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> einenWeihnachtsbaum und eine Kistevoller Geschenke. Sie entschuldigtensich dafür, dass es nur Kleinigkeitenwaren, in Zeitungspapier eingewickelt,aber für uns war alles wun<strong>der</strong>schön!Viel Nützliches war dabeiund leckeres Essen. Dann kam diezweite Überraschung, die Ann undich uns heimlich ausgedacht hatten:Der Weihnachtsmann hatte uns etwasgebracht! Deine Brü<strong>der</strong> waren außersich vor Freude! Schon bald saßensie auf dem Boden in dem kleinenWohnzimmer und ließen ihre Autosüber das Zeitungspapier flitzen unddarunter hindurch. Überall Zeitungspapier!Ann öffnete ihr Geschenkund holte ein Taschentuch hervor. Sieweinte. Ich musste auch ein bisschenweinen.Nun bereiteten wir das Weihnachtsessenzu. So viele leckere Sachenhatten wir schon lange nicht mehrgegessen! Anschließend räumten wirauf. Ann wollte ihr Taschentuch einstecken.Aber es war nicht mehr da.Wir suchten überall. Dann fiel mir ein,dass dein Vater das Zeitungspapierins Feuer geworfen hatte. O nein! Wardas Taschentuch im Feuer gelandet?Wahrscheinlich, denn wir haben esnie gefunden. Aber Ann beklagtesich nicht. Was geschehen war, wargeschehen. Sie sagte, sie sei glücklich,weil ihre Brü<strong>der</strong> glücklich seien.Im nächsten Jahr schenkte ich Annzu Weihnachten wie<strong>der</strong> ein Taschentuch.Ich achtete darauf, dass es nichtverloren ging. Als sie geheiratet hatteund fortgezogen war, schickte ich ihrzu Weihnachten ein Taschentuch mit<strong>der</strong> Post. Ich schenke ihr das Taschentuchnicht, weil ich meine, dass sie einesbraucht. Ich schenke es ihr, damitsie weiß, dass ich nie vergessen werde,was sie an unserem ersten gemeinsamenWeihnachtsfest für uns getan hat.“Ein paar Jahre nachdem mir meineMutter diese Geschichte erzählt hatte,feierten wir Weihnachten mit <strong>der</strong>gesamten Familie. In all dem Durcheinan<strong>der</strong>beobachtete ich, wie meineSchwester ihr Taschentuch auspackte.Ich sah die Tränen in ihren Augen,als sie meiner Mutter kurz die Handdrückte. Und da verstand ich. Esging nicht um das Taschentuch. Eswar ihre gemeinsame Erinnerung anLiebe, Geschenke und Opferbereitschaft.Und mich erinnerte diese einfacheGeste daran, warum wir Weihnachtenfeiern: weil uns aus Liebeund unter Opfern ein wun<strong>der</strong>baresGeschenk gemacht worden ist. ◼JUNGE ERWACHSENE<strong>Dezember</strong> <strong>2012</strong> 45

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!