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1/2013 - Psychotherapeutenjournal

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Personalisierungsansatz in der Medizin:Nützlich auch für die Psychotherapie?Michael KluckenZusammenfassung: Das Prinzip der „personalisierten Medizin“, eine seit etwa zehnJahren existierende Richtung der Medizin, wird in diesem Artikel vorgestellt und auf diePsychotherapie übertragen. Dies erfordert eine Ergänzung konventioneller Wirksamkeitsstudien,insbesondere randomisiert kontrollierter Studien, in denen solche Kontextfaktorenals Störvariablen eliminiert werden. Es wird ein neuer Forschungsansatz zurAuffindung behandlungsrelevanter Kontextfaktoren vorgestellt, der den konventionellenWirksamkeitsstudien vorgeschaltet ist und diesen individuelle behandlungsrelevanteKontextfaktoren liefert. Insbesondere Erfahrungen psychotherapeutischer Praktikerinnenund Praktiker, 1 Einzelfallstudien und vergleichende Gruppenuntersuchungen mit „enrichmentdesign“ sind geeignet, Hinweise für solche Kontextfaktoren zu liefern.Was ist „personalisierte“Medizin?Mit dem Begriff „personalisierte“ (auch „individualisierte“)Medizin, vor knapp zehnJahren von dem amerikanischen Biochemikerund Mediziner Leroy Hood geprägt,wird eine Richtung der Medizin bezeichnet,die in einem weitaus stärkerem Maßals bisher neben der Krankheitsdiagnoseauch behandlungsrelevante individuelleMerkmale eines Menschen berücksichtigt.Triebkraft war die 2001 gelungene kompletteGenomsequenzierung des Menschenmit der Möglichkeit, genetische Ursachenfür zahlreiche Erkrankungen, Krankheitsbereitschaftenund individuelle, eineKrankheit beeinflussende Kontextfaktorenzu entdecken. Es ist heute möglich, sehrrasch und mit überschaubaren Kosten vonein paar Hundert Euro sein persönlichesGenom sequenzieren zu lassen, um damitindividuelle Krankheitsbereitschaften zuüberprüfen. Auf dieser Grundlage hat sichauch ein neuer Zweig der Pharmakologie,die Pharmakogenomik, entwickelt, dieMedikamente passgenau auf genetischeMerkmale von Patientensubgruppen herzustellenversucht. So hat man herausgefunden,dass etwa ein Viertel aller Brustkrebspatientinneneinen bestimmtenWachstumsrezeptor (HER2Neu) im Übermaßproduziert. Die Konzentration diesesRezeptors dient als messbare Größe (Biomarker),die es ermöglicht, Brustkrebspatientinnenin zwei Untergruppen zu teilen(HER2Neu-positive bzw. HER2Neu-negative).Gegen diesen Wachstumsfaktor wurdeein dazu passender blockierender Antikörper(Trastuzumab) entwickelt, der dieRezidivhäufigkeit bei der HER2Neu-positivenUntergruppe um etwa 50% reduziert.Für Brustkrebspatientinnen, die HER2Neunegativsind, ist dieses Medikament ohneWirkung.Inzwischen sind 18 solcher Medikamentefür eine „personalisierte“ Medizin (p. M.)in Deutschland zugelassen. 2 Die Möglichkeitender p. M. zur Personalisierung, Vorhersageund Vorbeugung von Krankheitenund zur aktiven Teilnahme von Patientenan der Vorbeugung, z. B. durch Anpassungihrer Lebensführung an die genetischeKrankheitsdisposition kennzeichnete Hoodmit dem Begriff P4 Medicine (Personalized,Prediction, Preventive, Participatory)und beschreibt sie als Medizin der Zukunftin den nächsten zehn bis zwanzig Jahren(Hood & Galas, 2008).Obwohl es sich bei den Merkmalen, die einep. M. erlauben, gegenwärtig meist ummolekularbiologische Gegebenheiten (genetischeMerkmale, Biomarker) handelt,erlauben auch andere makroskopische (klinischzu beobachtende) Merkmale eine„Personalisierung“. Dies zeigt eine Studieder American Society of Clinical Oncology(ASCO). Bei dieser Studie (Stupp et al.,2010) handelte es sich um eine offene randomisierteStudie, an der 237 Patienten mitrezidiviertem Glioblastoma multiforme (einextrem bösartiger Hirntumor) teilnahmen.120 Patienten wurden mit einem neuenVerfahren (Elektrostimulation des Gehirnszusätzlich zur Chemotherapie) behandelt,die übrigen mit der üblichen Chemotherapie.Ergebnis: Das Gesamtüberleben warmit der Elektrostimulation mit 7,8 vs. 6,1Monaten bei Chemotherapie signifikantbesser (der geringe klinische Nutzen beistatistischer Signifikanz sei hier einmal nichtbeachtet). Nach den Kriterien der evidenzbasiertenMedizin wäre damit mit einemhohen Evidenzgrad 2a die Wirksamkeit derzusätzlichen Elektrostimulation nachgewiesenworden. Eine nachträgliche Subgruppenanalysedieses Durchschnittsergebnisseszeigte aber interessanterweise, dass nurbei 12% der Patienten ein objektives Ansprechendes Tumors auf Elektrostimulationnachweisbar war, während 88% aller Patientenkeinen Einfluss der Elektrostimulationzeigten! Diese auf Elektrostimulation ansprechendenPatienten waren unter 60Jahre alt, in guter körperlicher Verfassung(Karnofsky-Performance-Status), hattennicht mehr als drei Rezidive und sprachennicht auf eine Bevacizumab-Therapie an.Diese klinisch zu ermittelnden Merkmaleerlaubten eine „Personalisierung“ der The-1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werdenim Folgenden nicht durchgängig beideFormen genannt. Selbstverständlich sind jedochimmer Männer und Frauen gleichermaßengemeint.2 Plattform Personalisierte Medizin: www.pmstiftung.eu/personalisierte-medizin.html,letzte Änderung 13.11.2012 [25.01.<strong>2013</strong>].4 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>

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