DGM-Handbuch Mit der Krankheit leben lernen - Deutsche ...
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4 Pflege<br />
"Es ist eine schlimme <strong>Krankheit</strong>, und es war schon<br />
sehr schwer, und ich dachte oft, dass ich das nicht<br />
schaffe. Ich hatte auch Angst und war an meiner<br />
Grenze. Aber jetzt muss ich sagen, mit <strong>der</strong> Unterstützung,<br />
die ich bekommen habe, ging es doch<br />
recht gut. Mein Mann war so froh, dass er immer<br />
zuhause bleiben konnte. Zum Glück hatte er die<br />
<strong>Krankheit</strong> akzeptiert und genoss unsere gemeinsame<br />
Zeit. Ich konnte es gut sehen. Und ich muss<br />
sagen, wir waren uns im Gesunden nie so nahe wie<br />
in dieser Zeit, und ich bin eigentlich glücklich,<br />
dass wir es so gut miteinan<strong>der</strong> haben konnten.<br />
Trotz allem möchte ich diese Zeit nicht missen."<br />
Ehefrau eines ALS Betroffenen, St. Gallen 2006<br />
Hilfreiche Fragen vor <strong>der</strong><br />
Übernahme einer Pflege<br />
Bea Goldman, Intensivpflege,<br />
ALS-Nurse, St. Gallen / Schweiz<br />
· Kann ich pflegen? (Bin ich körperlich dazu in<br />
<strong>der</strong> Lage?)<br />
· Will ich pflegen?<br />
· Warum möchte ich pflegen? (aus Zuneigung,<br />
Verantwortungs-/Pflichtgefühl, Schuldgefühl,<br />
Sinn finden, religiöse Überzeugung)<br />
· Wie gut ist meine Beziehung? („Altlasten“<br />
vorhanden? Ist es mir möglich zu pflegen?<br />
Was muss bereinigt werden?)<br />
· Wie dringlich sind eigene Pläne?(Job, Ausbildung,<br />
an<strong>der</strong>e Verpflichtungen, finanzielle<br />
Möglichkeiten)<br />
· Habe ich genügend Unterstützung? (Wer hilft<br />
noch mit? Wie kann die Aufgabenverteilung<br />
sein? Ist genug Zeit für eigene Familie vorhanden?<br />
Kann die Pflege auf mehrere Schultern<br />
verteilt werden?)<br />
· Habe ich genügend Zeit? (Organisatorische<br />
und finanzielle Aspekte)<br />
· Wer kann mein Coach sein?( medizinisch,<br />
pflegerisch, seelsorgerisch)<br />
Wichtig: Pflege ist ein andauern<strong>der</strong> Prozess,<br />
<strong>der</strong> Kompromisse erfor<strong>der</strong>t und verhandelbar<br />
sein muss. Es soll ein Geben und Nehmen<br />
sein. Auch als Angehörige haben Sie ein Recht<br />
auf Lebensqualität.<br />
40<br />
PFLEGENDE ANGEHÖRIGE:<br />
UNTERSTÜTZUNG IST NÖTIG<br />
(...DOCH BITTEN IST SCHWER)<br />
Antje Faatz, Dipl. Sozialpädagogin (FH),<br />
Fachkraft für Palliative Care,<br />
<strong>DGM</strong>-Sozialberatung<br />
Häusliche Pflege ist eine nie endende Gratwan<strong>der</strong>ung<br />
zwischen <strong>der</strong> Bewältigung <strong>der</strong> Pflegeanfor<strong>der</strong>ungen,<br />
allen an<strong>der</strong>en privaten Beziehungen<br />
rundum und den eigenen Wünschen und Bedürfnissen.<br />
Pflegende, die glauben, die Versorgung<br />
eines/einer schwer Kranken ganz ohne Hilfe bewältigen<br />
zu können, riskieren, selbst ernsthaft<br />
krank zu werden. Sie leisten <strong>der</strong> eigenen Isolation<br />
und Unzufriedenheit Vorschub und för<strong>der</strong>n Abhängigkeit<br />
und Ausschließlichkeitsansprüche des/<strong>der</strong><br />
Kranken. „Ich lasse mir nur von dir helfen“, ist einerseits<br />
natürlich verständlich, bedeutet an<strong>der</strong>erseits<br />
aber bei zunehmendem Pflegebedarf auch zunehmende<br />
Überfor<strong>der</strong>ung und Vereinnahmung <strong>der</strong><br />
pflegenden Angehörigen.<br />
Nötig wäre es und sicher gut, sich rechtzeitig entbehrlich<br />
zu machen und stundenweise vertreten zu<br />
lassen. Doch das ist ein schwieriger Lernprozess.<br />
Welche/r pflegende Ehefrau/-mann müsste sich<br />
nicht überwinden, Außenstehenden ungehin<strong>der</strong>t<br />
Zugang zu allen Räumen zu gewähren, oft auch zu<br />
den eigenen? Wer setzt schon leichten Herzens<br />
einen kranken Menschen in all seiner Hilflosigkeit<br />
fremden Blicken und fremden, ungeübten Händen<br />
aus? Wer gewährt an<strong>der</strong>en freiwillig Einblick in familiäre<br />
Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten,<br />
die in keinem Pflegehaushalt ausbleiben? Wer wäre<br />
frei von <strong>der</strong> Angst, moralisch bewertet zu werden?<br />
Das sind nur einige Gründe, die erklären, warum<br />
so viele Pflegende lange versuchen, mit sämtlichen<br />
Erfor<strong>der</strong>nissen und Belastungen allein fertig zu<br />
werden, oft viel zu lang. Verständlich aber gefährlich!<br />
Dagegen hilft nur, ein Hilfenetz für den Alltag<br />
zu weben und konsequent zu erweitern.<br />
Die Inanspruchnahme bezahlter Fachkräfte (Sachleistungen<br />
aus <strong>der</strong> Pflegeversicherung) ist dabei<br />
gefühlsmäßig einfacher als die von Privatpersonen,<br />
denen man immer etwas „schuldig“ zu bleiben<br />
glaubt. Aber Fachdienste können nur einen Bruchteil<br />
des tatsächlichen Hilfebedarfes abdecken. Die<br />
Entlastung <strong>der</strong> pflegenden Bezugsperson ist dabei<br />
als Ziel gar nicht vorgesehen, darum muss diese<br />
sich schon selbst kümmern. Bei Stundensätzen um