DGM-Handbuch Mit der Krankheit leben lernen - Deutsche ...
DGM-Handbuch Mit der Krankheit leben lernen - Deutsche ...
DGM-Handbuch Mit der Krankheit leben lernen - Deutsche ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
PFLEGE IM HOSPIZ – AUFATMEN NACH<br />
KRÄFTEZEHRENDER ÜBERFORDERUNG<br />
Erfahrungsbericht einer Ehefrau (Name ist<br />
<strong>der</strong> Redaktion bekannt)<br />
Im Sommer bemerkte mein Mann die ersten Anzeichen<br />
seiner ALS-Erkrankung: Schwierigkeiten<br />
beim Aussprechen bestimmter Wörter, häufiges<br />
Verschlucken. Die Symptome verstärkten sich, es<br />
begannen die Arztbesuche und das diagnostische<br />
„Einkreisen“ <strong>der</strong> <strong>Krankheit</strong>. Im Februar des folgenden<br />
Jahres wurde an einem Muskelzentrum die<br />
Diagnose ALS, bulbäre Form, gestellt. Zu dem<br />
Zeitpunkt hatte mein Mann seinen Beruf bereits<br />
aufgeben müssen - ein sehr bitterer Schritt für ihn.<br />
Trotz all <strong>der</strong> Verzweiflung, die über uns zusammenschlug,<br />
begannen wir Pläne zu machen für ein<br />
Leben mit <strong>der</strong> <strong>Krankheit</strong>. Wegziehen, eine behin<strong>der</strong>tengerechte<br />
Wohnung suchen? Unser Haus<br />
wäre durch wenige kleinere Umbauten rollstuhlgerecht<br />
zu gestalten. Also blieben wir. Die <strong>Krankheit</strong><br />
schritt fort, nach meinem Eindruck sehr schnell.<br />
Anfang August ließ sich mein Mann eine Magensonde<br />
legen. Kommunikation war bald nur noch<br />
schriftlich möglich. Ernsthafte Bewegungsstörungen<br />
tauchten auf; im Winter stürzte mein Mann<br />
mehrmals so heftig, dass Platzwunden genäht werden<br />
mussten.<br />
Im Dezember besuchte uns <strong>der</strong> Gutachter des Medizinischen<br />
Dienstes und stellte Pflegestufe I fest.<br />
Als uns das Gutachten Anfang Februar vorlag, versuchte<br />
ich meinen Mann zu überreden, sofort einen<br />
neuen Antrag auf Höherstufung einzureichen. Er<br />
wollte das noch nicht: Schließlich könne er viele<br />
alltäglichen Dinge noch alleine erledigen, meinte<br />
er. Aber die Lähmungserscheinungen verstärkten<br />
sich so schnell, dass unsere Situation bald zum<br />
Verzweifeln war. Unser Wohnort weit draußen auf<br />
dem Land, zwei Kin<strong>der</strong> im Alter von elf und neun<br />
Jahren, meine Berufstätigkeit (mein Arbeitsplatz<br />
war über 20 km vom Wohnort entfernt) und die<br />
rasch zunehmende Pflegebedürftigkeit und Lähmung<br />
meines Mannes… Hilfe beim Aufstehen,<br />
beim Anziehen, bei Gängen im Haus und zur Toilette,<br />
Zubereitung und Verabreichung von Sondennahrung<br />
und Medikamenten, Schriftverkehr mit<br />
<strong>der</strong> Krankenkasse und Behörden: Ohne die Hilfe<br />
unseres befreundeten Nachbarn, <strong>der</strong> meinen Mann<br />
morgens betreute, hätten wir diese Zeit nicht bewältigen<br />
können Ich war inzwischen auch krank<br />
geworden, hatte starke Magenprobleme, wahr-<br />
51<br />
scheinlich psychischer Ursache. Der Gastrologe<br />
stellte eine chronische Speiseröhrenentzündung<br />
fest, und ich wurde für mehrere Wochen krankgeschrieben.<br />
Unsere Kin<strong>der</strong>, denen wir in den Weihnachtsferien<br />
erzählt hatten, dass die <strong>Krankheit</strong><br />
ihres Vaters nicht zu heilen sei und dass er irgendwann<br />
daran sterben müsse, waren verstört. Mein<br />
Mann brauchte inzwischen so viel Hilfestellung<br />
und Betreuung, dass ich am Ende des Tages völlig<br />
ausgepowert und erschöpft war. Die Kin<strong>der</strong> musste<br />
ich mit all ihren Bedürfnissen und Sorgen immer<br />
wie<strong>der</strong> auf „später“ vertrösten und viel zu oft alleine<br />
lassen.<br />
Ein Pflegedienst mit „ALS-Erfahrung“ kam zu den<br />
Zeiten, wenn we<strong>der</strong> unser Nachbar noch ich für<br />
meinen Mann da sein konnten - die Leistungen<br />
für Pflegestufe I sind aber schnell erschöpft. Zweimal<br />
wöchentlich Hilfe beim Aufstehen mit „großer<br />
Morgentoilette“ (Duschen + Versorgung des Magensonden-Eingangs<br />
+ Hilfe beim Anziehen + Anlegen<br />
<strong>der</strong> Sondennahrung): Mehr war nicht drin.<br />
Den Antrag auf Höherstufung hatten wir inzwischen<br />
gestellt und warteten auf den Gutachtertermin.<br />
Zunehmend wurden jetzt auch die Nächte für meinen<br />
Mann zur Qual. Atembeschwerden bzw. –aussetzer,<br />
zunehmende Unbeweglichkeit und demzufolge<br />
Panikattacken machten ihm und <strong>der</strong> ganzen<br />
Familie stark zu schaffen, dabei hätten wir alle<br />
dringend ein bisschen Schlaf und Erholung nötig<br />
gehabt. Das die Atmung unterstützende Gerät, das<br />
mein Mann schon vor einiger Zeit verschrieben bekommen<br />
hatte, war ihm in <strong>der</strong> Benutzung zu<br />
schwierig.<br />
Inzwischen hatten wir Kontakt zu einem Hospizverein<br />
aufgenommen und über diese Nahtstelle die<br />
Telefonnummer des „Palliativ-Care-Teams“ erhalten.<br />
Das Team leistet ehrenamtlich ambulante Betreuung<br />
für Schwerstkranke, vermittelt weitere<br />
Kontakte o<strong>der</strong> Hilfen und ist im palliativmedizinischen<br />
Bereich sehr erfahren. Toll war auch, wie<br />
schnell uns geholfen wurde: Gleich am Tag nach<br />
meinem Anruf besuchte uns Frau W. vom Care-<br />
Team und vermittelte meinem Mann innerhalb kürzester<br />
Zeit eine Aufnahme in einer Lungen-Fachklinik.<br />
Zweck des Krankenhausaufenthalts war zunächst<br />
die Neuanpassung des Atemgeräts, was einige<br />
Testtage und –nächte in Anspruch nahm. In<br />
dieser Zeit verschlechterte sich <strong>der</strong> Zustand meines<br />
Mannes aber noch weiter; immer häufiger musste