Interdisziplinäres Fachgespräch „Gonarthrose“ - Deutsche ...
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Prof. Bolm-Audorff, Wiesbaden:<br />
Ich stimme Ihnen zu, dass wir Forschungsbedarf<br />
haben. Wir müssen zur Kenntnis<br />
nehmen, dass die bisherigen biomechanischen<br />
Erkenntnisse noch nicht ausreichen,<br />
um klar zu sagen, wie hoch die Druckkraft<br />
auf den Gelenkknorpel beim Knien,<br />
Hocken, Fersensitz und Kriechen ist – den<br />
vier Tatbeständen, die in der empfohlenen<br />
Berufskrankheit der Wissenschaftlichen<br />
Begründung genannt sind. Das sind die<br />
Körperhaltungen, die infrage kommen<br />
in den Berufen. Deswegen stehen sie da<br />
drin. Aber es macht natürlich Sinn, zu<br />
untersuchen, ob die Belastungen wirklich<br />
identisch sind. Ich habe gestern hierzu<br />
zwei Studien präsentiert, die im Prinzip<br />
zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen.<br />
In der Studie von Tambia führt die<br />
Kniegelenksbeugung um 90° zu einer<br />
höheren Belastung als die von 120°. In<br />
der Studie von Nagura ist das genau umgekehrt,<br />
da ist die Hocke höher belastend<br />
als das Knien. Das heißt, die biomechanische<br />
Forschung ist sich dort nicht einig.<br />
Zum Fersensitz und zum Kriechen gibt<br />
es überhaupt nichts. Ich konstatiere, wir<br />
haben aus der Epidemiologie Hinweise,<br />
dass das belastende Tätigkeiten sind, aber<br />
wir haben aus der Biomechanik keine<br />
klare Antwort, was höher belastend ist. Ich<br />
wünsche mir, dass wir langfristig so etwas<br />
wie eine kumulative Dosis in Newtonstunden<br />
für diese Tätigkeiten ableiten können.<br />
Aber dafür müssen wir viel mehr Informationen<br />
haben. Das heißt, wenn wir so ein<br />
Dosismodell entwickeln wollen, müssen<br />
wir natürlich wissen, wie hoch die Druckkraft<br />
ist. Die Dauer ist das kleinere Problem,<br />
die kann man relativ schnell mit<br />
Video oder Stoppuhr-Untersuchungen<br />
bestimmen, wie wir, die BG BAU oder das<br />
BGIA, sie gemacht haben. Aber zu den<br />
Druckkräften haben wir widersprüchliche<br />
Erkenntnisse. Das ist eine Herausforderung,<br />
der sich die Biomechanik oder die<br />
170<br />
angewandte Anatomie stellen muss. Ich<br />
plädiere dafür, dass man hier Untersuchungen<br />
an Verstorbenen macht, wie<br />
die von Tambia. Aber dass man auch versucht,<br />
Modelle zu entwickeln, wie man<br />
das am lebenden Knie bestimmt, vielleicht<br />
mit MRT. Ich denke, das sind Dinge, die<br />
man diskutieren sollte.<br />
Prof. Luttmann, Dortmund:<br />
Wir werden gleich sicher noch versuchen,<br />
auch wenn Herr Brüggemann heute nicht<br />
hier ist, etwas zum Thema Biomechanik zu<br />
hören. Zunächst war eine Wortmeldung<br />
von Herrn Schiltenwolf.<br />
Prof. Schiltenwolf, Heidelberg:<br />
Ich kann Herrn Bolm-Audorff zustimmen,<br />
dass wir uns, wenn wir das mal nach den<br />
Oxford-Kriterien für Evidenzen beurteilen,<br />
im Allgemeinen nicht im Niveau 1a bewegen.<br />
Es ist relativ schwach, was wir haben.<br />
Aus orthopädischer Sicht würde ich sagen,<br />
dass das, was am stärksten fehlt, das<br />
belastungsadaptive Schädigungsbild ist.<br />
Wir müssen immer abwägen. Wir haben<br />
schwach evidente Belege dafür, dass körperliche<br />
Arbeit zur Gonarthrose führt, wir<br />
haben aber starke Hinweise darauf, dass<br />
dies auch etwas mit dem Sozialgradienten<br />
zu tun hat. Dieser zweite Aspekt ist im<br />
Grunde genommen besser belegt als der<br />
Einfl uss spezieller körperlicher Arbeit. In<br />
der orthopädischen Fragestellung würde<br />
ich sagen, wir brauchen ganz wesentliche<br />
Hinweise auf das belastungsadaptive<br />
Schädigungsbild, denn von der Gonarthrose<br />
an sich zu sprechen, würde den<br />
Zusammenhang zwischen Exposition und<br />
Schädigungsbild nicht gut belegen können,<br />
weil wir dann wieder das Problem<br />
haben, ob nicht auch Lebensstil, Übergewicht<br />
u.a. in den Odds Ratios deutlich<br />
stärker sind als die Exposition.