Sylter Spiegel 21.12.2015
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Insel Sylt<br />
Seite 24 · Nr. 52 SYLTER SPIEGEL · 21. Dezember 2015<br />
Von Sabrina Müller<br />
Hörnum. Rund 84 Hektar<br />
Landverlust in etwas mehr<br />
als vier Jahrzehnten: Die<br />
Hörnumer Odde schrumpft<br />
beständig. Maß die bewachsene<br />
Fläche, die mittlerweile<br />
teilweise übersandet ist,<br />
im Jahr 1972 noch rund 108<br />
Hektar, so sind es heute, 42<br />
Jahre später, gerade noch 24<br />
Hektar. In Fußballfeldern bedeutet<br />
das einen Rückgang<br />
von 151 Feldern auf 34.<br />
Dass die Odde an Fläche verloren<br />
hat und auch weiter<br />
verlieren wird, überrascht<br />
Arfst Hinrichsen nicht, denn<br />
diese Dynamik sei kein neues<br />
Phänomen. Seit Jahrzehnten<br />
beobachtet und analysiert er<br />
als Mitarbeiter des Landesbetriebs<br />
für Küstenschutz,<br />
Nationalpark und Meeresschutz<br />
Schleswig-Holstein<br />
(LKN.SH) die Vorgänge im<br />
äußersten Süden der Insel.<br />
Seine Kernbotschaft: „Die<br />
bebaute Ortslage ist gesichert“<br />
– was bedeutet, dass<br />
Hörnumer Bürger keine<br />
Angst davor haben müssen,<br />
dass ihre Anwesen überflutet<br />
werden.<br />
Beim Blick in die Vergangenheit<br />
lässt sich laut Hinrichsen<br />
feststellen, dass es die Odde<br />
im Jahr 1800 noch nicht in<br />
dieser Form gegeben hat.<br />
Durch natürliche Prozesse<br />
habe sie sich erst im 20. Jahrhundert<br />
ausgebildet.<br />
Die Hörnum-Odde hat zwischen<br />
1958 und 1990 große<br />
Formveränderungen erfahren.<br />
Laut „Fachplan Küstenschutz<br />
für die Insel Sylt“<br />
deutete sich bereits Ende der<br />
1950-er eine Tendenz zum<br />
Flächenrückgang an. Einen<br />
rapiden Schwund gab es<br />
demnach insbesondere zwischen<br />
den Jahren 1972 und<br />
1990, wobei ein Tetrapoden-<br />
Querwerk, das 1968 fertig<br />
gestellt wurde, den späteren<br />
Rückgang beschleunigt<br />
habe. Der Grund: Das Abbruchmaterial<br />
(Dünensand)<br />
aus dem Bereich nördlich<br />
des Querwerks lagerte sich<br />
nicht mehr unmittelbar an<br />
der Odde ab, sondern an anderen<br />
Stellen.<br />
Mit Hilfe einer Sandaufspülung<br />
wurde die Odde 1990<br />
erstmals von Norden her aktiv<br />
mit Sand versorgt. Eine<br />
Million Kubikmeter sind<br />
damals laut Hinrichsen insgesamt<br />
verwendet worden,<br />
um die Ortslage zu sichern.<br />
Seit diesem Zeitpunkt und<br />
unter Zugabe weiterer Sandersatzmengen<br />
hatte sich die<br />
Fläche der Hörnum-Odde<br />
zunächst stabilisiert. Im Jahr<br />
2005 deutet sich aber erneut<br />
ein Rückgang an, nachdem<br />
sich der Sandvorrat inzwischen<br />
nach Süden verlagert<br />
Südspitze verliert immer mehr Land – warum?<br />
Odde ade<br />
hatte und aufgebraucht war.<br />
Hinrichsen nennt drei Faktoren,<br />
die eine entscheidende<br />
Rolle dabei spielen, dass die<br />
Odde kleiner wird:<br />
• Wellen: Der Wind weht<br />
meist aus westlicher Richtung,<br />
was bedeutet, dass<br />
auch die Wellen aus dieser<br />
Richtung kommen. Entlang<br />
der Westküste Sylts treffen<br />
sie senkrecht auf den Strand.<br />
Sand wird also bei den Rückwärtsbewegungen<br />
der Wellen<br />
ins Meer fortgetragen,<br />
kommt aber bei den Vorwärtsbewegungen<br />
wieder<br />
mit zurück an den Strand.<br />
Auf die Odde treffen die<br />
Wellen aufgrund ihrer Form<br />
schräg, wodurch sie zusätzlich<br />
ausgespült wird und stetig<br />
an Material verliert.<br />
• Wassertiefe: 700 Meter<br />
vor der Westküste Sylts hat<br />
das Wasser eine durchschnittliche<br />
Tiefe von acht<br />
Metern. Vor der Odde ist es<br />
laut Hinrichsen relativ flach<br />
(zwischen zwei und vier Metern).<br />
Das führe dazu, dass<br />
die Wellen umgelenkt werden.<br />
In der Wissenschaft<br />
wird dieser Vorgang Wellenrefraktion<br />
genannt. Sie führt<br />
an der Odde zu einer intensiveren<br />
Wellentätigkeit als<br />
es in tiefer eingeschnittenen<br />
Buchten der Fall ist.<br />
• Tetrapoden-Bauwerke:<br />
Bis zu ihrem Bau im Jahr<br />
1968 hatte die Hörnumer<br />
Westküste im Durchschnitt<br />
vier Meter Land pro Jahr<br />
verloren. Der Küstenschutz<br />
beschränkte sich bis dahin<br />
ausschließlich auf biotechnische<br />
Maßnahmen. Dazu gehörten<br />
Sandfangzäune und<br />
Halmpflanzungen.<br />
Im Zuge einer zunehmenden<br />
Bebauung und nach<br />
der Zerstörung von zwei<br />
Dünenreihen während der<br />
Februarflut 1962 wurden<br />
Forderungen nach einer besseren<br />
Verteidigung der Küstenlinie<br />
laut. Die Errichtung<br />
der Tetrapoden-Bauwerke<br />
ist nicht zuletzt auf Drängen<br />
namhafter, politisch aktiver<br />
Grundstückseigentümer und<br />
der Empfehlungen des damals<br />
bekannten Institutes<br />
Sogréah in Grenoble (Frankreich)<br />
zustande gekommen.<br />
Erosion in Kauf<br />
genommen<br />
Auf die möglichen Auswirkungen<br />
der starren Bauwerke<br />
wurde seinerzeit<br />
bereits eingegangen: Eine<br />
Lee-Erosion südlich des<br />
Querwerks, also in Richtung<br />
Südspitze, nahmen die Verantwortlichen<br />
bewusst in<br />
Kauf, da in diesem Bereich<br />
„ein vermehrter Abbruch in<br />
beschränktem Umfange hingenommen<br />
werden kann“.<br />
Diese Lee-Erosion, also die<br />
Erosion auf der wind- und<br />
strömungsabgewandten<br />
Seite der Buhnen, verhinderte<br />
schließlich nachhaltige<br />
Sand ablagerungen an der<br />
Odde. Diese hatte laut Hinrichsen<br />
bis dahin von den<br />
Abtragungen am Weststrand<br />
profitiert, denn genau dieser<br />
Sand hatte sich dort über<br />
Jahrhunderte angehäuft.<br />
Hinrichsen stellt aber auch<br />
klar heraus, dass die Hörnumer<br />
Westküste ohne die<br />
Bauwerke mittlerweile rund<br />
300 Meter Landverlust zu<br />
beklagen hätte. „Die immensen<br />
Dünenrückgänge in den<br />
Fünfzigern und Sechzigern<br />
haben viele vergessen“, sagt<br />
der Experte. Daher sei das<br />
Querwerk für den Bestand<br />
der in den 1950-er Jahren in<br />
den Dünen errichteten Siedlungen<br />
und für den Erhalt<br />
der Hörnumer Randdüne<br />
weiterhin notwendig.<br />
Das Tetrapoden-Längswerk,<br />
das mittlerweile als Wellenbrecher<br />
fungiert, wurde<br />
2012 und 2014 in Richtung<br />
Süden verlängert. Derzeit<br />
ist es rund 700 Meter lang.<br />
Dadurch wanderte der Erosionspunkt<br />
weiter Richtung<br />
Odde, was zwar der Sicherheit<br />
der Wohnsiedlung dient,<br />
die Odde aber mehr Sand<br />
kostet.<br />
Vonseiten des Landes<br />
Schleswig-Holstein besteht<br />
der Auftrag an den LKN,<br />
nur die Ortslage zu schützen,<br />
nicht jedoch das Naturschutzgebiet<br />
Hörnum-Odde,<br />
erläutert Hinrichsen. Ein Teil<br />
der Odde werde für diese Sicherung<br />
nicht benötigt. Der<br />
Sand, der an der Südspitze<br />
abgeschwemmt wird, lagere<br />
sich woanders wieder an. Er<br />
sei also nicht verloren. Hinrichsen<br />
sagt, man könne die<br />
Natur nicht bis ins Letzte vor<br />
sich selbst schützen. Entlang<br />
der Küste gebe es „natürliche<br />
Prozesse“. Und genau genommen<br />
entstehe durch die<br />
Erosion neue Wattenmeerfläche.<br />
Um die Odde zu retten, wäre<br />
es mit einer einmaligen Maßnahme<br />
nicht getan, so Hinrichsen.<br />
„Technisch wäre es<br />
möglich, die natürliche Entwicklung<br />
an der Südspitze<br />
zu beeinflussen. Es ist aber<br />
fraglich, ob das gewollt und<br />
finanzierbar wäre.“<br />
Die erste Sturmflut Mitte<br />
November 2015 hatte für die<br />
Hörnum-Odde verheerende<br />
Folgen: Auf insgesamt 850<br />
Metern gab es Abbrüche,<br />
die einen Landverlust von<br />
bis zu 60 Metern zur Folge<br />
hatten. Wie viele Sturmfluten<br />
die Odde noch überlebt,<br />
bevor sie endgültig in den<br />
Fluten versunken sein wird?<br />
Dazu möchte Hinrichsen keine<br />
Prognose abgeben. Aber<br />
dass dies früher oder später<br />
passieren wird, sei vorherzusehen<br />
gewesen.<br />
Bitte der Schutzstation Wattenmeer<br />
Nicht durch die Dünen gehen<br />
Hörnum.(sam) Jedes Jahr<br />
lassen Wind und Wellen<br />
das Naturschutzgebiet<br />
Hörnum-Odde um mehrere<br />
Meter schrumpfen (siehe<br />
nebenstehender Bericht). In<br />
diesem Herbst haben unter<br />
anderem die Sturmtiefs<br />
Heini und Iwan den Strand<br />
auf breiter Front weggeschwemmt<br />
und die verbliebene<br />
<strong>Sylter</strong> Südspitze fast<br />
durchtrennt. „Bei Hochwasser<br />
verbindet lediglich<br />
ein schmaler Landstreifen<br />
die neue Sandinsel mit dem<br />
Rest von Sylt“, heißt es in<br />
einer Pressemitteilung der<br />
Schutzstation Wattenmeer.<br />
„Wir bitten alle Besucher,<br />
nur noch bei Niedrigwasser<br />
um die Hörnumer Odde<br />
und den <strong>Sylter</strong> Süden zu<br />
gehen“, so Dennis Schaper,<br />
Leiter der Schutzstation. Er<br />
empfiehlt, den Weg zuvor<br />
mit Hilfe der überall verfügbaren<br />
Gezeitenkalender zu<br />
planen.<br />
Bei Hochwasser würden<br />
Spaziergänger bei einem<br />
direkten Gang durch die<br />
empfindliche Dünenvegetation<br />
erhebliche Trittschäden<br />
verursachen. „Pflanzen wie<br />
der Strandhafer halten mit<br />
ihren langen Wurzeln den<br />
Dünensand fest“, erläutert<br />
Schaper. Jeder Gast, der<br />
durch sein Verhalten diese<br />
Vegetation schone, leiste<br />
einen aktiven Beitrag zum<br />
Erhalt der Insel. Auch bei<br />
Niedrigwasser bittet er deshalb,<br />
keine Abkürzungen zu<br />
nehmen und weiterhin bis<br />
zum äußersten südlichen<br />
Ende von Sylt zu laufen.<br />
Informationen über die dynamischen<br />
Naturkräfte im<br />
Weltnaturerbe Wattenmeer<br />
können Besucher auf einer<br />
speziellen Führung der<br />
Schutzstation um die Hörnum-Odde<br />
erhalten. Der<br />
Termin: Mittwoch, 30. Dezember,<br />
um 9.30 Uhr.<br />
Weitere Informationen gibt<br />
es auch in der Arche Wattenmeer<br />
(Rantumer Straße<br />
33 in Hörnum), die vom 27.<br />
bis 31. Dezember und vom<br />
2. bis 10. Januar jeweils<br />
von 12 bis 16 Uhr geöffnet<br />
ist.<br />
Arfst Hinrichsen (LKN) an der Odde. Foto: Brunckhorst/LKN<br />
Grafiken: LKN