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Dokument 1.pdf (14.973 KB) - OPUS - Universität Würzburg

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80<br />

Physiker Dolbear spontan von einer "bedrohlichen<br />

Wirkung", als er von der Entdeckung<br />

hörte: "Wenn man durch Holz und Steinwände<br />

und auch im Dunkeln photographieren<br />

kann, dann gibt es keine Zurückgezogenheit<br />

mehr, dann wird es überall hell sein, außer<br />

für unsere Augen, und für diese wird es bald<br />

einen Ersatz geben", fürchtete er.<br />

Aber nicht nur die Intimität der Wohnung<br />

schien durch Röntgens durchdringende<br />

Strahlen bedroht zu sein. Ein Londoner Detektiv<br />

bot im britischen "Standard" vom<br />

8. August 1896 den kostenlosen Einsatz der<br />

"neuen Photographie" bei Scheidungsangelegenheiten<br />

an. Beide schienen zu befürchten<br />

beziehungsweise zu hoffen, daß mit Hilfe<br />

der Röntgenstrahlen im wahrsten Sinne<br />

des Wortes nackte Tatsachen an die Öffentlichkeit<br />

gelangen könnten.<br />

Tatsächlich drehten sich die Befürchtungen<br />

vieler Zeitgenossen um die Frage, ob ihr<br />

bislang gut geschützter Körper mit den<br />

Strahlen zu sehen sein würde. Und natürlich<br />

richteten sich die Spekulationen nicht gegen<br />

die Ärzte, die ja ein ganz legitimes Interesse<br />

daran hatten, ohne chirurgischen Eingriff<br />

einen sicheren Befund über das Innenleben<br />

ihrer Patienten zu bekommen, sondern gegen<br />

unmoralische Zeitgenossen, in deren<br />

Hände die Röntgen-Technik gelangen könnte.<br />

Da von technischen Details oft nicht die<br />

Rede war, glaubten viele, ein Röntgen-Gerät<br />

sei auch auf der Straße problemlos einsetzbar.<br />

Nahrung erhielten diese Befürchtungen<br />

mit der raschen Entwicklung des Fluoroskops<br />

und diesem verwandten Geräten, die<br />

tatsächlich einigermaßen handlich und mobil<br />

einsetzbar waren: Sie wurden wie ein<br />

Fernglas einfach vor die Augen gehalten, um<br />

Gegenstände und Menschen zu durchleuchten.<br />

Eine Aufnahme war mit Hilfe dieses<br />

Schirms nicht mehr nötig.<br />

Kein Wunder, daß in der Londoner Zeitschrift<br />

"Electrical World" schon am 28. März<br />

1896 eine Firma die erste X-Strahlen-siche-.<br />

re Unterwäsche anbot. Bezeichnend auch die<br />

Mitteilung einer englischen Zeitung im November<br />

1896: Berichtet wurde von zwei älteren<br />

Damen, die sich anläßlich einer öffentlichen<br />

Demonstration der Strahlenwirkung<br />

zwar gegenseitig ihre Knochen zeigen wollten,<br />

aber nur bis zur Taille.<br />

Ganz klar, daß auch die Karikaturisten<br />

solch blühende oder schwüle Phantasien aufs<br />

Korn nahmen. In der Zeitschrift "La nature"<br />

veröffentlichte der französische Künstler Albert<br />

Robida am 9. Mai 1896 eine Reihe von<br />

Karikaturen, von denen eine eine Straßenszene<br />

der Zukunft vorzugeben schien: Über<br />

ihren Kleidern tragen Frauen, Männer und<br />

gar Hunde Rüstungen, die sie vor Blicken<br />

schützen.<br />

Selbstverständlich meldete sich angesichts<br />

der drohenden Gefahr für Moral, Sitte<br />

undAnstand auch die Politik zu Wort: Ein<br />

Abgeordneter im amerikanischen Bundesstaat<br />

New Jersey forderte bereits im Februar<br />

1896 ein Gesetz gegen den Einsatz von<br />

X-Strahlen in Operngläsern. Die Befürchtungen<br />

dieses Politikers dürfte eine Anfrage ausgelöst<br />

haben, die im Januar ein Mann an Thomas<br />

A. Edison gestellt hatte. Er bat um entsprechende<br />

"Aufrüstung" seines Opernglases,<br />

wie in der Zeitschrift "Literary Digest"<br />

nachzulesen war.<br />

Der amerikanische Physiker Edison hatte<br />

sich von Anfang an intensiv mit den X-Strahlen<br />

befaßt und war seinen Zeitgenossen als<br />

spektakulärer Erfinder, zum Beispiel des<br />

Phonographen, bekannt. Als er im Februar<br />

1 896 ankündigte, über die Röntgenstrahlen<br />

zu forschen, umlagerten sofort etliche Pressevertreter<br />

sein Haus in West Orange/New<br />

Jersey. Edison gelang der Nachweis, daß von<br />

8000 getesteten Substanzen das Kalziumwolframat<br />

die geeignetste sei, unter der Einwirkung<br />

von Röntgenstrahlen eine Fluoreszenz<br />

zu bewirken.<br />

Das schien im März 1896 einem Mitarbeiter<br />

der englischen "Pali Mall Gazette"<br />

nicht geheuer. Natürlich lag wieder ein Mißverständnis<br />

zugrunde, als er klagte: "Man<br />

hört jetzt - wir hoffen zu Unrecht - daß Herr<br />

Edison eine Substanz entdeckt habe mit dem<br />

anstoßenden Namen Kalziumwolframat, die<br />

auf die neuen Strahlen anspricht. Die Folge<br />

davon scheint zu sein, daß man mit bloßem<br />

Auge die Knochen der Leute und sogar durch<br />

acht Zoll Holz sehen kann. Wir haben nicht<br />

nötig, auf die revolutionäre Unmoral in dieser<br />

Möglichkeit besonders hinzuweisen",<br />

warnte er, empfahl das Kalziumwolframat,<br />

das im Fluoroskop zum Einsatz kam, "der<br />

Aufmerksamkeit der Regierung" und forderte<br />

"gesetzes mäßige Beschränkung der<br />

strengsten Art".<br />

Edison hat 1896 zur Weiterentwicklung<br />

der Röntgentechnik seinen Teil beigetragen.<br />

Seinem eigentlichen Forschungsanliegen<br />

war er freilich nicht näher gekommen. Eigentlich<br />

hatte er nämlich im Auftrag des englischen<br />

Großverlegers William Hearst versucht,<br />

eine Röntgenaufnahme vom menschlichen<br />

Gehirn anzufertigen, was ihm jedoch<br />

nicht gelang.<br />

Man darf annehmen, daß Hearst und Edison,<br />

wie viele Zeitgenossen, im Kopf den<br />

Sitz der Seele vermuteten, und die Intimität<br />

der Gefühlswelt auf einer Röntgenaufnahme<br />

festhalten zu können glaubten. Schließlich<br />

geisterte zur gleichen Zeit etwas ande c<br />

BLICK<br />

res durch die Gazetten, das Sigmund Freud<br />

das "Unbewußte" genannt hat. Die Bekanntheit<br />

der Erforschung des Unterbewußten mit<br />

Hilfe von Hypnose und Suggestion durch<br />

Sigmund Freud beflügelte mit an Sicherheit<br />

grenzender Wahrscheinlichkeit die Phantasie<br />

der Zeitungsleser, die nun zudem erfahren<br />

hatten, es sei ein Apparat erfunden worden,<br />

der es ermögliche, ins Innere des Menschen<br />

zu sehen. Gab es dort zu sehen, was<br />

Freud entdeckt zu haben glaubte? Ebenfalls<br />

1895 hatte Freud zusammen mit Josef Breuer<br />

"Studien über die Hysterie" veröffentlicht,<br />

die den Grundstein seiner Psychoanalyse<br />

legten. Sie basierten auf einfühlenden Gesprächen,<br />

die auch tabuisierte Themen nicht<br />

unberührt ließen.<br />

Das "Triebhaft-Unbewußte" sollte sich so<br />

offenbaren. Man bedenke: Schon mit der Erwähnung<br />

menschlicher Triebe setzte er sich<br />

über alle moralischen Bedenken hinweg.<br />

Selbst Freuds Ehefrau Martha merkte einem<br />

Bekannten gegenüber später an: "Ich muß<br />

gestehen, daß ich nicht begriffen habe, wie<br />

ernst mein Mann seine Behandlungen<br />

nimmt, ich hielt privat die Psychoanalyse für<br />

eineArt Pornographie."Walter Benjamin hat<br />

in seiner "Kleinen Geschichte der Photographie"<br />

diesem "Triebhaft-Unbewußten", das<br />

die Psychoanalyse postuliert hat, das "Optisch-Unbewußte"<br />

gegenübergestellt, dem<br />

sich die Menschen mit der Photographie ausgeliefert<br />

sahen. Erst die Photographie ermöglichte<br />

Bildweiten, die im Kleinsten wohnen:<br />

Benjamin nannte Zeitlupen, Vergrößerungen,<br />

Strukturbeschaffenheit - eben das bislang<br />

"Optisch- Unbewußte".<br />

Sollten die Röntgenstrahlen diese Entwicklung<br />

fortsetzen, so könnten Zeitgenossen<br />

gedacht haben, dann wären Seele und<br />

Geist abzubilden! Röntgen als Handlanger<br />

Freuds! Die Angst vor diesem Zusammenspiel<br />

ist nachvollziehbar. Schließlich schienen<br />

nun plötzlich auf die letzten Fragen unwiderlegbare<br />

Antworten möglich zu sein.<br />

Denn wer nach dem Wesen des Bewußtseins<br />

und nach seinem Sitz fragt, wirft das uralte<br />

Leib-Seele-Problem auf, an dem sich die<br />

Denker seit Jahrtausenden die Zähne ausbeißen.<br />

Es ist eine Geheimzone, zu der auch<br />

heute noch vor allem Philosophen, Hirnforscher<br />

und Science-Fiction-Phantasten Zugang<br />

begehren. Womit sich der Bogen zur<br />

Science-Fiction wieder schließt. Einem ihrer<br />

Helden ist es letztendlich 1938 doch noch<br />

gelungen, die Phantasien, die man 1896 mit<br />

den Röntgenstrahlen verband, für den guten<br />

Teil der Menschheit zu retten.<br />

Superman, dieser in der amerikanischen<br />

Gesellschaft unerkannt lebende charismatische<br />

Cornic-Held, geschaffen von Jerry Sie-

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