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Dokument 1.pdf (14.973 KB) - OPUS - Universität Würzburg

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Abb. 3: Die Hirnkammern im seitlichen Strahlengang.<br />

von Bingels Schaffen. Wenngleich Walter<br />

Dandy nach wie vor als Erstanwender sowohl<br />

der direkten als auch der von lumbal<br />

durchgeführten Pneumenzephalographie genannt<br />

werden muß, so ist Bingel unbestreitbar<br />

derjenige, der die lumbale Pneumenzephalographie<br />

zur radiologischen Standarduntersuchung<br />

gemacht und die Grundlage zu<br />

ihrer herausragenden klinischen Bedeutung<br />

gelegt hat. Die Pneumenzephalographie<br />

bleibt in der klinischen Diagnostik bis zur<br />

Einführung der Computertomographie unentbehrlich.<br />

Dies ist wesentlich BingeIsVerdienst.<br />

Doch ist er nicht nur als Miterfinder der<br />

Pneumenzephalographie von herausragender<br />

Bedeutung. Er verkörpert die zuendegehende<br />

Epoche des medizinischen "Allrounders".<br />

Aller überhandnehmenden Spezialisierung<br />

trotzend, ist Bingel firm in Chirurgie, Dermatologie,<br />

Innerer Medizin, Neurologie und<br />

Radiologie. Er forscht und publiziert in der<br />

Frauenheilkunde ebenso wie in der Endokrinologie<br />

und besitzt selbst als Operateur<br />

großes Geschick und umfangreiche Erfahrung.<br />

Am 19. Februar 1879 als Sohn eines Kohlen-<br />

und Weinhändlers und der Verlegertochter<br />

Baedecker in Koblenz geboren, nimmt<br />

Bingel 18jährig das Medizinstudium in Tübingen<br />

auf. Er verbringt einzelne Semester<br />

in Leipzig, München und Berlin, wo er mit<br />

einer pathologisch-anatomischen Arbeit über<br />

die Treitzsche Hernie promoviert. Bereits<br />

1902 besteht Binge! das Staatsexamen, um<br />

dann als Schiffsarzt einige Reisen nach<br />

Nordamerika und Ostasien zu begleiten. Zurückgekehrt,<br />

forscht er 1903 am pathologischen<br />

Institut Leipzig "Über Lebercirrhose<br />

im Kindesalter nach Scarlatina" (1907). Von<br />

1904 bis 1906 ist Bingel Assistent an der<br />

Inneren Medizin unter Ernst von Romberg<br />

zuerst in Marburg, später in Tübingen.<br />

Gerade 27 Jahre alt, entwickelt Bingel<br />

einen Sphygmomanometer, mit dessen Hilfe<br />

er insbesondere die diastolischen Blutdruck<br />

werte genauer bestimmen und ein absolutes<br />

Sphygmogramm erstellen kann. Im<br />

selben Jahr rückt der Mediziner mit einer<br />

Untersuchung "Über den Einfluss des Biertrinkens<br />

und Fechtens auf das Herz junger<br />

Leute" ins Licht der Öffentlichkeit und findet<br />

großen Anklang in derTagespresse. 1908<br />

folgen Beiträge zur "Aetiologie der sogenannten<br />

orthostatischen Albuminurie" und<br />

erneut "Zur Blutdruckmessung beim Menschen".<br />

Bingels scharfe Beobachtungsgabe<br />

findet ihren Niederschlag in Arbeiten zu<br />

"Klinik und Bakteriologie des Paratyphus",<br />

wobei er erstmals die gastroenteritisehe, also<br />

die mit Durchfällen einhergehende Verlaufsform<br />

beschreibt.<br />

In tierexperimentellen Untersuchungen<br />

über das 1898 entdeckte Nierenenzym Renin<br />

heben Strauß und Bingel die Bedeutung<br />

des Renins bei gemeinsam auftretendem<br />

Bluthochdruck und Nierenerkrankung hervor.<br />

Sie stehen damit an der Schwelle zur<br />

BLICK<br />

Erklärung des nierenbedingten Bluthochdrucks.<br />

1910 wird Bingel 31jährig leitender Internist<br />

an der medizinischen Abteilung des<br />

Krankenhauses Braunschweig. Die hier entstehenden<br />

Arbeiten lassen das umfassende<br />

Spektrum des Klinikers erkennen: Monozytenleukämie,<br />

Salvarsantherapie und Encephalitis,<br />

Polyneuritis, Hypophysentumoren<br />

und Biermersche Erkrankung sind es, die<br />

Binge! neben der Pneumenzephalographie<br />

erforscht.<br />

Eine Vorreiterrolle nimmt er auch in der<br />

Technik der Leberparenchympunktionen ein,<br />

von denen er über 100 selbst ausführt. Bingel<br />

senkt die Sterblichkeit des Eingriffs, indem<br />

er präoperative Blutungszeitbestimmung,<br />

vorabendliches Abführen und Nüchternlassen<br />

des Patienten ebenso wie die Injektion<br />

von Euphyllin beziehungsweise Hämosistan<br />

einführt. Über 150 Luftröhrenschnitte<br />

und eine direkte Herzpunktion belegen<br />

Bingels praktisches Geschick. Bereits<br />

1912 und erneut 1927 fordert er, daß eine<br />

Schwangerschaftsunterbrechung bei zuckerkranken<br />

Patientinnen nicht begründet sei,<br />

sondern daß die Behandlung der Blutzuckerkrankheit<br />

zur Aufrechterhaltung einer<br />

Schwangerschaft genüge.<br />

Nicht nur der Forschung, sondern auch<br />

der Lehre verpflichtet, ist Bingel regelmäßig<br />

Vortragender im ärztlichen Kreisverein<br />

Braunschweig, wo er 1932 Elektrokardiographie<br />

allgemeinverständlich darstellt.<br />

Inzwischen ist die Pneumenzephalographie<br />

im Braunschweiger Gebiet allgemein als "einen<br />

Luftkopf bekommen" bekannt geworden.<br />

Während des Zweiten Weltkrieges greift<br />

Bingel seine in den Kriegsjahren des Ersten<br />

Weltkrieges erstellte und 1918 allgemein zurückgewiesene<br />

Arbeit zum Diptherie-Antitoxin<br />

wieder auf. In dieser Untersuchung an<br />

4000 Diphteriekranken hat Bingel 1918<br />

ebensowenig wie 1941 bis 1943 eine Überlegenheit<br />

des Diphterie-Antitoxins gegenüber<br />

gewöhnlichem Serum erkennen können.<br />

Bingels Ergebnisse werden knapp zurückgewiesen:<br />

er habe dasAntiserum zu spät<br />

verabreicht.<br />

Bis 1948, also 38 Jahre lang, wirkt Bingel<br />

als Chefarzt in Braunschweig und führt<br />

seine wissenschaftliche Tätigkeit noch über<br />

seine Amtszeit hinaus fort. Mancher politischer<br />

und gesellschaftlicher Umstrukturierung<br />

zum Trotz hat Bingel zwei Weltkriege,<br />

Weimarer Republik und Nationalsozialismus<br />

als Chefarzt der Medizinischen Klinik in<br />

Braunschweig überdauert. Er stirbt am 16.<br />

Mai 1953 im Alter von 74 Jahren.

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