Dokument 1.pdf (14.973 KB) - OPUS - Universität Würzburg
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New York, 24. November 1912: Ein<br />
47jähriger Mann wird von einem<br />
Bus angefahren und mit einer<br />
KopJverletzung in das New York<br />
Harlem-Hospital eingewiesen. Die<br />
Untersuchung bringt keinen ernsten<br />
Befund. Dank der 1895 in <strong>Würzburg</strong><br />
entdeckten Röntgenstrahlen können<br />
die Schädelknochen abgebildet<br />
werden. Das Gehirn selbst läßt sich<br />
jedoch auch mit dieser Methode<br />
nicht abgrenzen. Das am selben Tag<br />
angefertigte Röntgenbild läßt eine<br />
Bruchlinie in der Hinterwand der<br />
Stirnhöhle erkennen.<br />
Zwölf Tage später kann der Patient beschwerdefrei<br />
entlassen werden. Als er jedoch<br />
drei Wochen später heftig niesen muß, spürt<br />
er starke Kopfschmerzen. Gleichzeitig läuft<br />
eine größere, klare Flüssigkeitsmenge aus<br />
der Nase. Er wird erneut geröntgt. Jetzt sind<br />
die bislang nicht sichtbaren inneren Hirnkammern,<br />
die Liquorräume, eindrucksvoll zu<br />
erkennen und deutlich erweitert. Trotz der<br />
Operation stirbt der Patient nach drei Tagen.<br />
Bei der Obduktion findet man das Knochenstück<br />
aus der Hinterwand der Stirnhöhle,<br />
welches das Stirnhirn durchdrungen und die<br />
innere Hirnkammer eröffnet hat. Aus der normalerweise<br />
flüssigkeitsgefüllten Hirnkammer<br />
entweichen Luftblasen.<br />
Die beteiligten Ärzte Luckett und Stewart<br />
erkennen die epochemachende Bedeutung<br />
dieser Beobachtung: Erstmals sind auf einer<br />
Röntgenaufnahme die inneren Hirnräume<br />
zu sehen, und zwar deshalb, weil die eingedrungene<br />
Luft sich deutlich vom umgebenden<br />
Gehirn abhebt. Luckett und Stewart<br />
veröffentlichen diesen ersten Fall einer spontanen<br />
Pneumenzephalographie 1913 in drei<br />
verschiedenen Zeitschriften. Trotzdem gerät<br />
ihre Beobachtung in Vergessenheit.<br />
1918 berichtet der Amerikaner Walter<br />
Dandy über die "Ventriculography following<br />
the injection of air into the cerebral ventricles".<br />
Er ist der erste, der Luft in die inneren<br />
Hirnräume spritzt, um das Gehirn auf Schä-<br />
delaufnahmen von den Liquorräumen ab- Abb. 1: Adolf Bingel<br />
Adolf Bingel - nicht nur der<br />
Miterfinder<br />
der Enzephalographie<br />
Jürgen Müller, Vortrag am 9. August<br />
Röntgen-Ring-Vorlesung Medizin<br />
grenzen zu können. Dandy bevorzugt die direkte<br />
Methode des Lufteinblasens, bei der<br />
während einer Operation ein kleines Loch<br />
in den Schädelknochen gebohrt und hierüber<br />
Luft in die Hirnkammern gegeben wird. Bei<br />
der zweiten Methode der Pneumenzephalographie<br />
wird die Luft über eine im Bereich<br />
der Lendenwirbelsäule (lumbal) eingestochene<br />
Nadel in das Nervenwasser gegeben.<br />
Über die offene Verbindung steigt sie zu den<br />
inneren Hirnräumen auf.<br />
Dandy führt als erster beide Methoden<br />
durch und ist damit deren Erstbeschreiber.<br />
Aus Angst vor gefährlichen Zwischenfällen<br />
bleibt er jedoch bei der direkten Luftkontrastierung.<br />
Dandy erwähnt nicht, wie er Luft<br />
als das ideale Kontrastierungsmittel der Liquorräume<br />
erkannt hat. Der medizinhisto-<br />
BLICK<br />
risch Interessierte jedoch erkennt die Wurzeln<br />
dieser Entdeckung unschwer in der von<br />
Luckett und Stewart publizierten Beobachtung.<br />
In Braunschweig führt eine Zufallsbeobachtung<br />
den deutschen Internisten Adolf<br />
Bingel (Abb. 1) zur Enzephalographie: Er<br />
sieht eine Luftblase in den Himräumen einer<br />
Patientin, der er am Vortag Nervenwasser<br />
entnommen hat. Bingel baut diese Erfahrung<br />
zur von lumbal durchgeführten<br />
Pneumenzephalographie systematisch aus,<br />
vervollkommnet die Technik und entwickelt<br />
einen "Injektionsapparat". Er erforscht die<br />
Nebenwirkungen und publiziert seine diagnostischen<br />
und therapeutischen Erfahrungen.<br />
Damit kommt ihm der große Verdienst<br />
zu, die erstmals von Dandy angewendete