Altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - März/April 2016
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immer längere Wartelisten,<br />
weil Kolleginnen<br />
aufhören. Und auf<br />
einem ganz anderen Blatt<br />
steht das Thema Hausgeburten.<br />
Die bieten<br />
im Landkreis noch vier<br />
Hebammen an: „Dabei<br />
sind wir noch relativ<br />
gut aufgestellt, ich<br />
weiß von Hebammen,<br />
die zwei Landkreise betreuen“,<br />
sagt Theresia<br />
Waldmüller, zweite Kreissprecherin<br />
und freiberufliche<br />
Hebamme in Pähl.<br />
Nach der letzten Haftpflichtprämien-Erhöhung<br />
2015 um<br />
23 Prozent auf jährlich 6274<br />
Euro, sollen laut Deutschem<br />
Hebammenverband (DHV)<br />
bundesweit 145 Hebammen die<br />
Geburtshilfe aufgegeben haben,<br />
weil sie sich vor allem auf dem<br />
Land nicht mehr rechnet. Bis 2017<br />
steigen die Prämien noch einmal —<br />
auf 7639 Euro. Seit 2013 konnten<br />
sich DHV und GKV im Prämienstreit<br />
nicht einigen. Der DHV schätzt, dass<br />
deshalb von 21000 freiberuflichen<br />
Hebammen bundesweit nur noch<br />
3000 bis 3500 Geburtshilfe leisten.<br />
Auf einer internen „Karte der Unterversorgung“<br />
hat der Verband bis<br />
Mitte 2015 über 2400 Fälle erfasst,<br />
in <strong>den</strong>en Mütter keine Hebammen<br />
fan<strong>den</strong>.<br />
Hebammen be<strong>für</strong>chten<br />
ein Ende der Hausgeburt<br />
Eine Schiedsstelle entschied im<br />
Herbst 2015 zwar, dass freie Hebammen,<br />
die mindestens vier Geburten<br />
pro Jahr betreuen, die<br />
Prämien mit einem „Sicherstellungszuschlag“<br />
von <strong>den</strong> Kassen<br />
refinanziert bekommen. Den zu<br />
beantragen und abzurechnen bedeutet<br />
<strong>für</strong> die Hebammen aber<br />
mehr Büroarbeit. Und: Mit dem<br />
Schiedsspruch waren „Ausschlusskriterien<br />
<strong>für</strong> Geburten im häuslichen<br />
Umfeld“ verbun<strong>den</strong>, gegen<br />
die der DHV gerichtlich vorgeht:<br />
DHV-Präsi<strong>den</strong>tin Martina Klenk<br />
be<strong>für</strong>chtet „<strong>den</strong> Untergang der<br />
Hausgeburt“. „Die Ausschlusskriterien<br />
wur<strong>den</strong> willkürlich festgesetzt,<br />
ohne deren wissenschaftliche<br />
Grundlage und Relevanz zu<br />
überprüfen“, heißt es vom DHV.<br />
Der Spruch enthalte „so viele<br />
Mängel und Lücken, dass er nicht<br />
anwendbar ist“, er schränke „freiberufliche<br />
Hebammen in ihrer<br />
Berufsausübung“ ein und habe<br />
„nichts mit einer Qualitätsverbesserung<br />
in der außerklinischen Geburtshilfe<br />
zu tun, sondern bewirkt<br />
deren Abschaffung“, sagt Katharina<br />
Jeschke, DHV-Präsidiumsmitglied<br />
und Verhandlungsführerin<br />
im Streit mit dem GKV.<br />
Denn die Schiedsstelle schickt Mütter<br />
noch einmal zum Arzt, wenn<br />
eine Schwangerschaft drei Tage<br />
über <strong>den</strong> errechneten Geburtstermin<br />
fortdauert, was oft vorkommt.<br />
Nicht nur auf dem Land dürfte<br />
das zu Terminproblemen führen.<br />
Außerdem darf eine Hausgeburt<br />
nun erst nach der 38. Schwangerschaftswoche<br />
begonnen wer<strong>den</strong>,<br />
eine Woche später als bisher.<br />
DHV-Präsi<strong>den</strong>tin Klenk sagt, ein<br />
jahrtausendealter Beruf werde<br />
ohne fundierte Begründung in<br />
seinen Grundzügen verändert:<br />
„Mit Besorgnis nehmen wir wahr,<br />
dass die natürliche Geburt immer<br />
weniger im Fokus der Geburtshilfe<br />
steht. <strong>Das</strong> Vertrauen in die Körperkompetenz<br />
von Frauen geht verloren.<br />
Technische Hilfsmittel wer<strong>den</strong><br />
in <strong>den</strong> Vordergrund geschoben, da<br />
sie vermeintlich Sicherheit bieten.“<br />
Dabei gebe es „keine Beweise“,<br />
dass Hausgeburten weniger sicher<br />
seien als Klinik-Geburten oder<br />
dass mehr Komplikationen aufträten.<br />
Eine Studie aus Kanada bestätigte<br />
dies aktuell Anfang <strong>2016</strong>.<br />
Auf die Seite der Hebammen<br />
haben sich auch Initiatoren der<br />
Online-Petition „Mother Hood“<br />
geschlagen, die darüber hinaus<br />
ein Selbstbestimmungsrecht <strong>für</strong><br />
Mütter einfordern, Art und Ort einer<br />
Geburt frei wählen zu können.<br />
Über 180 000 Menschen haben<br />
unterzeichnet. Zum Schiedsspruch<br />
wurde eine juristische Einschätzung<br />
veröffentlicht, wonach die<br />
Ausschlusskriterien „das Selbstbestimmungsrecht<br />
der Frauen und<br />
das verfassungsrechtlich geschützte<br />
Berufsausübungsrecht der<br />
Hebammen brechen“.<br />
<strong>Das</strong> Recht der Mütter<br />
und Hebammen<br />
Denn handelt ihnen eine Hebamme<br />
zuwider, kann sie die Geburtshilfe<br />
nicht abrechnen und riskiert obendrein<br />
ihren Versicherungsschutz.<br />
Überhaupt bietet nur noch ein<br />
Versicherer eine Berufshaftpflicht<br />
<strong>für</strong> freie Hebammen, andere Gesellschaften<br />
sind ausgestiegen. Im<br />
Klagefall könnte sich die Versicherungsleistung<br />
auf bis zu 2,6 Millionen<br />
Euro belaufen — pro Kind.<br />
Unversicherte Hebammen wür<strong>den</strong><br />
mit ihrem Privatvermögen haften.<br />
Die DHV-Klage gegen <strong>den</strong> Schiedsspruch<br />
hat indes eine Kehrseite:<br />
„Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung,<br />
mit der erst in einigen<br />
Jahren zu rechnen ist, könnten<br />
überhaupt keine Zahlungen <strong>für</strong><br />
<strong>den</strong> Haftpflichtausgleich erfolgen“,<br />
teilte der GKV im Januar<br />
mit. Zwar bekamen mit Jahresbeginn<br />
3 000 freie Hebammen<br />
<strong>den</strong> Kostenausgleich <strong>für</strong> die Berufshaftpflicht<br />
überwiesen, „allerdings<br />
nur vorläufig und unter<br />
Vorbehalt“, schreibt der GKV.<br />
Bundesweit arbeiten 60 Prozent<br />
der Hebammen freiberuflich.<br />
Sie betreuen ein Viertel aller<br />
Geburten.<br />
In Bayern liegt der Prozentsatz<br />
deutlich höher, weil das Beleghebammensystem<br />
hier Tradition<br />
hat, wie in Weilheim und Schongau.<br />
Anderswo kündigen Kliniken<br />
festangestellten Hebammen, um<br />
Kosten zu sparen, und beschäftigen<br />
sie anschließend freiberuflich<br />
weiter. <strong>Das</strong> Risiko bei Komplikationen<br />
trägt dort dann die<br />
Hebamme. ts<br />
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