mole magazin 3 – FEMINISMUS
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
obwohl sie ganz konkret den Interessen<br />
der Kämpfenden entgegenhandeln,<br />
gleichzeitig die Entscheidungen fällen<br />
von denen die Menschen betroffen<br />
sind. Dennoch muss die Kritik an dem<br />
Verhalten einzelner Akteure in eine<br />
Kritik an gesellschaftlich wirksamen<br />
Zwängen überführt werden. Diese<br />
Diskussion wäre auch nötig um verkürzte<br />
Kapitalismuskritik als falsches<br />
Bewusstsein zu bekämpfen. Wir sind<br />
dabei keine Lehrer*innen, diese Autorität<br />
könnten wir in der Praxis auch gar<br />
nicht durchsetzen, sondern wir liefern<br />
einen Vorschlag, wie die Welt gesehen<br />
werden kann und können diesen in der<br />
Praxis deutlich machen. Das Bewusstsein<br />
der Menschen kann nur in einem<br />
langen Prozess voller Debatten und<br />
Praxiserfahrungen verändert werden.<br />
Diese Perspektive auf die Alltagskämpfe<br />
kommt oft zu kurz. Die Erfahrungen der<br />
Einzelnen werden nicht ernst genommen<br />
und es gibt keine Debatte. Vielmehr<br />
stehen radikale Linke und soziale Bewegung<br />
nebeneinander in einem Konflikt<br />
anstatt miteinander. Deshalb geht sooft<br />
mit dem Ende eines Alltagskampfes<br />
auch ein Ende selbstermächtigenden<br />
Verhaltens einher. Für so eine Praxis<br />
gibt es bei der IL auch Ansatzpunkte,<br />
da die Mitglieder mit den Kämpfenden<br />
in der Bewegung durch die solidarische<br />
Zusammenarbeit im Austausch stehen,<br />
sie werden nur zu selten genutzt. Viele<br />
...ums Ganze!-Gruppen sind hingegen<br />
noch sehr weit davon entfernt mit<br />
den Menschen, die in Alltagskämpfen<br />
engagiert sind, auf Augenhöhe zu<br />
diskutieren und zusammenzuarbeiten.<br />
Man glaubt stattdessen, dass fetzig<br />
geschriebene, gut klingende Flyer (bzw.<br />
»Gedichte« (Karl Held)) und Massenmobilisierungen<br />
des »Schwarzen Blocks«<br />
zu Großevents alleine uns auf dem Weg<br />
der zur Überwindung des Kapitalismus<br />
weiterbringen würden. Das dies nicht<br />
der Fall ist, ist hoffentlich aus meiner<br />
Argumentation deutlich geworden.<br />
Kritik muss mit Erfahrungen aus Kämpfen<br />
vermittelt sein und die Menschen<br />
dürfen nicht zu Objekten linksradikaler<br />
Feldherr*innen oder Eventmanager*innen<br />
degradiert werden.<br />
Gleichzeitig ist es auch nicht von<br />
der Hand zu weisen, dass ein breites<br />
Entgegentreten gegen die momentane<br />
Offensive von Rechts durch bspw.<br />
spektakulären Blockaden wichtig ist,<br />
dadurch wird der Teil der Zivilgesellschaft<br />
mobilisiert, der auf den offenen<br />
104<br />
Rassismus, der heute wieder salonfähig<br />
wird, keinen Bock hat, allerdings wird es<br />
nicht ausreichen die Rechten zu stoppen.<br />
Wichtig wäre es, dass Menschen, die<br />
von Nazis bedroht werden wie Flüchtlinge<br />
und Angehörige eines alternativen<br />
Milieus mit solidarischen Netzwerken<br />
zusammen und vor Ort, wo es noch<br />
möglich ist, gegen konkrete rassistische<br />
Politik und Gewalt vorgehen.<br />
Fußnoten<br />
(1) Der Beitrag ist inspiriert durch zahlreiche<br />
Diskussionen, an denen ich im Kontext meiner<br />
Mitarbeit im AK Soziale Kämpfe der Leipziger<br />
...ums Ganze!-Gruppe The Future is Unwritten<br />
teilnahm. Der AK partizipiert einerseits am Soli-<br />
Streik-Bündnis für die Amazonarbeiter*innen,<br />
andererseits engagiert er sich gegen städtische<br />
Verdrängung. Auch außerhalb dieser Kontexte<br />
führte ich Diskussionen zu dem Thema des<br />
Artikels – insbesondere mit Einzelmitgliedern<br />
der Leipziger IL-Gruppe Prisma. Vor allem danke<br />
ich für die Einsicht, dass eine kritische Analyse<br />
der IL immer eine kritische Selbstreflektion<br />
von ...ums Ganze! Beinhalten muss. Was man<br />
an der Il kritisiert, ist auch an ...ums Ganze! zu<br />
kritisieren. Trotz des Inputs aus den zahlreichen<br />
Gesprächen, für den ich danken möchte, will ich<br />
die Eigenständigkeit meiner Position betonen.<br />
Es handelt sich um keine Gruppenposition. Des<br />
Weiteren bedanke ich mich bei der Redaktion<br />
des <strong>mole</strong> für die hilfreichen Anmerkungen.<br />
(2) Das soll keine umfassende Analyse der<br />
momentanen rassistischen Offensive in Deutschland<br />
sein. Ich will an dieser Stelle nur einen<br />
Moment für die Gegenüberstellung betonen.<br />
(3) Bei Georg Lukács handelt es sich um einen<br />
marxistischen Theoretiker, der nach eigenen<br />
Angaben von der bürgerlichen Klasse in die proletarische<br />
wechselte um nach dem ersten Weltkrieg<br />
in der kurzlebigen ungarischen Räterepublik<br />
mitzumischen. Nach deren Sturz schloss sich<br />
dann aber der Bolschiwiki an und versuchte die<br />
russische Revolution theoretisch zu reflektieren<br />
sowie das Ausbleiben der proletarischen Revolution<br />
in Westeuropa. Das ist der Entstehungskontext<br />
seines marxistischen Frühwerks Geschichte<br />
und Klassenbewusstsein, das 1923 veröffentlicht<br />
wurde, heftige Kontroversen auslöste und<br />
enormen Einfluss auf den westlichen Marxismus<br />
inklusive der Kritischen Theorie hatte.<br />
(4) Die IL ist der größte Zusammenschluss<br />
linksradikaler Gruppen aus Deutschland und<br />
Österreich. Sie möchte die gesellschaftlichen<br />
Hegemonien als Vorrausetzung der Transformation<br />
der Gesellschaft nach links verschieben.<br />
Mehr zu ihrer Geschichte findet ihr im<br />
Zwischenstandspapier unter http://www.<br />
interventionistische-linke.org/positionen/<br />
il-im-aufbruch-ein-zwischenstandspapier<br />
(5) Bereits in den letzten beiden <strong>mole</strong>-Ausgaben<br />
diskutierten Gruppen und Einzelpersonen<br />
darüber, was wir aus den sogenannten Klassikern<br />
linker Theorie für die heutige Situation ziehen<br />
können und was wir nicht aus selbigen ziehen<br />
sollten. So reflektierte die Gruppe AK Societé des<br />
Égaux die Diskussion zwischen den Rätekommunist*innen<br />
und Lenin um ein realistisches<br />
Staatsverständnis zu entwickeln und Phillip<br />
Metzger führte in den (Post-) Operaismus als<br />
linke Praxisform ein. (<strong>mole</strong> #1) Beide Artikel<br />
kritisierten die Freunde und Freund*innen der<br />
klassenlosen Gesellschaft, die u.a. die Orientierung<br />
auf soziale Bewegungen nicht verstehen<br />
können. (<strong>mole</strong> #2) Auch wenn ich nicht direkt<br />
auf diese Artikel eingehe, behalte ich sie im<br />
Hinterkopf. Mit der Vermittlung linksradikaler<br />
Kritik und sozialen Kämpfen im Bereich der<br />
Stadtpolitik beschäftigte sich auch die Gruppe<br />
Andere Zustände ermöglichen in ihren<br />
Beitrag Den Einzelfall verhindern! (<strong>mole</strong> #2) In<br />
der Gruppe gentrifizierungskritischen Leipziger<br />
Gruppe Nowhere haben wir den Text diskutiert<br />
und würden auch anderen empfehlen dies zu tun.<br />
(6) Legalität und Illegalität ist ebenfalls der Name<br />
eines weiteren Aufsatzes aus GuK, in dem sich<br />
Lukács mit dieser Doppelstrategie befasst. Dort<br />
kritisiert er, dass es ein strategischer Irrweg sie<br />
die politische Aktivität auf die Parlamentsarbeit<br />
zu beschränken, da der Rahmen der Beschlüsse<br />
stets durch die kapitalistische Wirklichkeit<br />
gesetzt ist, der die Parlamente entstammen.<br />
Gleichwohl kritisiert er die Idee die Parlamente zu<br />
ignorieren, da sie in der Wirklichkeit immerhin<br />
die Orte sind, an denen politische Entscheidungen<br />
diskutiert und vor allem getroffen werden.<br />
Die Partei muss versuchen in den Parlamenten<br />
Mehrheiten zu organisieren, d.h. den Staat<br />
zu erobern oder zumindest Inhalte zu setzen,<br />
aber zugleich im Untergrund gegen derartige<br />
Institutionen kämpfen. Diese Doppelstrategie<br />
möchte ich an dieser Stelle nicht diskutieren,<br />
auch wenn ich denke, dass auch im ZP so ein<br />
Politikverständnis noch leise mitschwingt, wenn<br />
es auch nicht die IL selbst ist, die als Organisation<br />
in die Parlamente geht. Im ZP kann man lesen:<br />
»Wir wollen kein Teil der bürgerlichen Staatsapparate<br />
werden, wir streben keine Funktionen<br />
und Mandate an. Wir glauben nicht<br />
daran, dass parlamentarische Mehrheiten in<br />
der Lage sind, die Gesellschaft grundsätzlich<br />
und in einem emanzipatorischen Sinn zu<br />
verändern. Das bedeutet nicht, dass parlamentarische<br />
Mehrheiten bedeutungslos wären<br />
und es falsch ist, wenn es in den Parlamenten<br />
starke linke Parteien gibt.« (ZP, These 9)