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mole magazin 3 – FEMINISMUS

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B<br />

Boygroup ...ums Ganze?<br />

Überlegungen zum Geschlechterverhältnis<br />

in der radikalen Linken<br />

autonome antifa [w] ien<br />

Während in linksradikalen Szene-Kontexten<br />

antisexistische Standpunkte zum Standardrepertoire<br />

gehören und scheinbar von den<br />

meisten geteilt werden, kann man mitnichten<br />

davon sprechen, dass es in diesen Kontexten<br />

keinen Sexismus gäbe. Dass dies kein<br />

entbehrliches Randphänomen ist, sondern<br />

in Überlegungen zu einer emanzipatorischen<br />

Perspektive notwendig berücksichtigt werden<br />

muss, argumentiert die autonome antifa [w].<br />

10<br />

Mit diesem Text möchten wir einen<br />

Debattenbeitrag zu Geschlechterverhältnissen<br />

in der radikalen Linken (1) liefern<br />

und laden zu Kritik, Anmerkungen und<br />

Ergänzungen ein. Die Motivation für<br />

den Text entstand nicht zuletzt durch<br />

unsere gruppeninterne Beschäftigung<br />

mit dem Thema und die häufig entstandene<br />

Ratlosigkeit. Nach vielen Jahren<br />

antisexistischer Kämpfe innerhalb<br />

der Linken ist Feminismus, der über<br />

Lippenbekenntnisse hinausgeht, von<br />

einer bestmöglichen Umsetzung im<br />

politischen Alltag weit entfernt. Wir<br />

möchten im Folgenden Überlegungen<br />

anstellen, worin die Begründung der<br />

Marginalisierung feministischer Praxis<br />

liegen könnten und welche Schlüsse wir<br />

daraus ziehen können. Zunächst wollen<br />

wir jedoch in aller Kürze darlegen, aus<br />

welcher theoretischen Position wir<br />

Geschlecht als gesellschaftsstrukturierendes<br />

Moment begründen und dabei<br />

die bürgerliche Subjektkonstitution aus<br />

materialistischer Perspektive beleuchten.<br />

Da in unseren Augen der Fokus auf<br />

jene Norm zu legen ist, welche Abweichungen,<br />

Ausschlüsse und das Andere<br />

erst produziert, liegt die Konstruktion<br />

von Männlichkeit im Zentrum unserer<br />

Betrachtung. Nachdem wir erläutert<br />

haben, wie Männlichkeit sich historisch<br />

und strukturell manifestiert, wollen<br />

wir mit dem Konzept der hegemonialen<br />

Männlichkeit eine Möglichkeit in<br />

den Raum stellen, die konkrete Form<br />

männlicher Räume und ihre Konstitution<br />

zu begreifen. Im Anschluss wollen<br />

wir drei Thesen zum Zusammenhang<br />

bürgerlicher Subjektkonstitution, eben<br />

jener hegemonialen Männlichkeit<br />

und dem weitläufigen Scheitern einer<br />

antisexistischen Praxis (2) zur Debatte<br />

stellen, die Aufschluss darüber geben<br />

können, wo praktische Probleme zu<br />

verorten sind. Mit einem offenen Ausblick<br />

möchten wir den Text schließen<br />

und zur weiteren Diskussion anregen.<br />

Die Moderne und ihre Bürger<br />

Mit der historischen Entstehung des<br />

bürgerlichen Subjekts im Zuge des Übergangs<br />

der direkten, personalen Herrschaft<br />

des Feudalismus zur vermittelten,<br />

sachlichen Herrschaft des Kapitalismus<br />

war menschliche Emanzipation erstmals<br />

denkbar. Mit dem allgemeinen Subjektstatus<br />

war zumindest die Möglichkeit<br />

von Freiheit und Gleichheit geschaffen<br />

worden. Der durch den gewaltsamen<br />

Prozess von ursprünglicher Akkumulation,<br />

Disziplinierung und der damit<br />

einhergegangenen Proletarisierung<br />

entstandene Lohnarbeiter war, wie<br />

Marx es zynisch formulierte, doppelt<br />

frei: frei von direkter Unterdrückung,<br />

frei jedoch auch vom Eigentum an<br />

Produktionsmitteln. Dennoch: Die<br />

Errungenschaften der bürgerlichen<br />

Revolutionen bedeuteten für das<br />

entstandene bürgerliche Subjekt ein mit<br />

feudalen, ständischen Gesellschaften<br />

unvergleichbares Maß an Mitsprache,<br />

Freiheit, juristischer Gleichheit.<br />

Zentral für das Verständnis von<br />

Geschlechterverhältnissen ist jedoch die<br />

genaue Betrachtung des bürgerlichen<br />

Subjekts. Dieses war von Beginn an<br />

männlich gedacht und bedurfte zur<br />

eigenen Bestimmung eines Anderen,<br />

Nicht-Identischen. So waren Frauen*<br />

oder Jüdinnen und Juden anfangs<br />

keineswegs als bürgerliche Subjekte<br />

anerkannt und konnten die rechtliche<br />

Gleichstellung erst nach langen<br />

Kämpfen und erzwungener Assimilation<br />

(bei Juden) bzw. biologistischer<br />

Abgrenzung (bei Frauen*) erreichen.<br />

Der Übergang zur Moderne verstand<br />

sich als Vollendung der Herrschaft über<br />

die innere und äußere Natur – eine<br />

Selbstunterwerfung und Triebunterdrückung,<br />

ohne die eine vermittelte<br />

und versachlichte Herrschaft undenkbar<br />

wäre: Die neue Form der Produktion<br />

– die Lohnarbeit in Fabriken<br />

– verlangte von den Arbeiter*innen<br />

(3) ein Höchstmaß an Disziplin und<br />

körperlicher Zurichtung. Indem das<br />

naturhafte auf Frauen* projiziert<br />

wurde, konnte diese Herrschaft des<br />

männlichen Subjekts über sich selbst<br />

auf Frauen* abgewälzt werden. Was<br />

mit Kontrollverlust zu tun hatte, wurde<br />

verdrängt und was an den Wunsch<br />

erinnerte, sich nicht mehr disziplinieren<br />

zu müssen, wurde gehasst. In der<br />

Hexenverfolgung – der konstituierenden<br />

Gründungskatastrophe der bürgerlichen<br />

Moderne – wurde die Überwindung<br />

der Natur wortwörtlich umgesetzt.<br />

Als deutlicher wurde, dass die Glücksversprechen<br />

der Moderne keineswegs<br />

eingelöst werden können, verstärkte<br />

sich das Bedürfnis, die eigene, brüchige<br />

Identität als männliches Subjekt durch<br />

die Abgrenzung gegenüber Fremdem,<br />

Differentem zu stärken. Mit der zunehmenden<br />

Emanzipation von Frauen* (der<br />

Konfrontation und Forderung der Versprechen<br />

der Moderne mit ihren eigenen<br />

Prinzipien der allgemeinen Gleichheit)<br />

wurde die männliche Hegemonie sukzessive<br />

biologisiert. Indem das Weibliche<br />

pseudowissenschaftlich mit essentia-

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