mole magazin 3 – FEMINISMUS
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Y<br />
Young, Male and Muslim –<br />
Die Konstruktion migrantischer<br />
Männlichkeit als Bedrohung<br />
Theresa<br />
Wenn die deutsche Rechte plötzlich vorgibt,<br />
Frauenrechte zu verteidigen, dann muss daran<br />
etwas faul sein. Tatsächlich ist das Bild vom<br />
jungen, männlichen Muslim, der mit unlauteren<br />
Absichten hiesigen Frauen und Mädchen nachstellt,<br />
vor allem ein Baustein in der Konstruktion<br />
eines »Anderen«, durch die dem nationalen<br />
»Wir« zur Durchsetzung verholfen werden soll.<br />
Als junge, »deutsche« Frau, die seit<br />
mehr als drei Jahren Arabisch und den<br />
Nahen Osten studiert, wurde ich viele<br />
Male mit Stereotypen von Arabern und<br />
Muslimen konfrontiert, im Besonderen<br />
bezogen auf muslimische Männer.<br />
Leute haben mich gefragt, ob ich nicht<br />
Angst hätte, die Sprache zu lernen und<br />
in einem nahöstlichen Land zu leben,<br />
weil es doch für »eine Frau mit blonden<br />
Haaren« gefährlich sein könnte. Ich<br />
wurde außerdem gewarnt, mich nicht<br />
auf arabische Männer einzulassen, da<br />
diese Männer »am Anfang charmant<br />
wären, aber im Endeffekt die Gleichstellung<br />
der Frau nicht anerkennen<br />
würden«. Ich habe dementsprechend<br />
erkannt, dass mein Interesse für<br />
die Region mit Zweifel und Skepsis<br />
betrachtet wird, aber auch, dass diese<br />
Skepsis eine Geschlechterdimension<br />
hat: Frauen, im Speziellen aus dem<br />
Westen, sollten Angst vor arabischen<br />
oder muslimischen Männern haben.<br />
Deutschland hat im vergangenen Jahr<br />
2015 einen fast noch nie dagewesenen<br />
Zustrom an Refugees erfahren.<br />
In der Debatte darüber wurde die<br />
Angst vor vermeintlich intoleranten,<br />
rückständigen muslimischen Refugees<br />
von Politikerinnen und Politikern<br />
des gesamten rechten Spektrums<br />
ausgenutzt, um ihre eigene immigrationsfeindliche<br />
Politik voranzutreiben<br />
oder zu legitimieren. Gerüchte von<br />
80<br />
Vergewaltigung und Missbrauch an<br />
deutschen Frauen durch Refugees<br />
wurden ohne konkrete Nachweise für<br />
die behaupteten Verbrechen verbreitet.<br />
Mehrere Autorinnen und Autoren<br />
haben gezeigt, dass rechte Politikerinnen<br />
und Politiker in ihren migrationsfeindlichen<br />
Äußerungen häufig liberale<br />
Werte wie Meinungsfreiheit, Trennung<br />
zwischen Staat und Kirche oder<br />
Geschlechtergleichstellung vorschieben,<br />
um einen »Kampf der Kulturen« herbeizukonstruieren<br />
und die Position stark<br />
zu machen, dass muslimische Überzeugungen<br />
zu anders und intolerant seien,<br />
um Teil der europäischen Gesellschaften<br />
zu werden. (2) Rechte Politikerinnen<br />
und Politiker beziehen sich dabei häufig<br />
auf jene Themen aus Frauenrechtsdiskursen,<br />
die auch gerne des Öfteren in<br />
der Presse aufgegriffen werden, wie<br />
zum Beispiel Genitalverstümmelung bei<br />
Frauen, Kinderehe und Verschleierung.<br />
Diese Themen werden dazu benutzt,<br />
muslimischen Männern (eine sehr<br />
gefährliche Form von) Sexismus und<br />
Frauenfeindlichkeit als essenziellen<br />
kulturellen Wesenszug zuzuschreiben.<br />
(3) In derartigen rechten Diskursen<br />
wird der Islam selbst gleichgesetzt mit<br />
Männlichkeit, Aggression und Gewalt,<br />
so dass jedes Auftauchen dieser Religion<br />
als Bedrohung für Demokratie und<br />
Zivilgesellschaft gesehen wird. Westliche<br />
Gesellschaften werden gleichzeitig<br />
im Kontrast dazu als »modern« präsentiert<br />
und ihre Mitglieder im Gegensatz<br />
zu dem Bild, das von Muslimen gezeichnet<br />
wird, als »emanzipiert«, »aufgeklärt«<br />
und »zivilisiert« dargestellt.<br />
Indem, wie oben beschrieben,<br />
Ansichten aus Frauenrechtsdiskursen<br />
fragmentarisch entlehnt werden,<br />
bringen rechte Diskurse folgende zwei<br />
Ergebnisse hervor: Erstens, erschaffen<br />
sie eine (scheinbar) achtbare migrationsfeindliche<br />
Position für rechtsextreme<br />
Parteien, in der anti-muslimische<br />
Klischees durch den Verweis auf<br />
Frauen- und Kinderrechte gerechtfertigt<br />
werden. Zweitens, ob beabsichtigt oder<br />
unbeabsichtigt, dienen sie dazu, einen<br />
Kontrast zu konstruieren zwischen<br />
der jeweiligen eigenen Nation, die als<br />
modern und emanzipiert dargestellt<br />
wird, und dem bösen, aber geringeren<br />
»Other«, also dem Islam und speziell<br />
muslimischen Männern. (4) Dieser<br />
Kontrast dient den Rechtsparteien<br />
als Grundlage, um ihre Politik gegen<br />
offene Grenzen und Freizügigkeit in<br />
Europa zu verfolgen und ihre erdachten<br />
immateriellen Grenzen in Bezug<br />
auf nationale Identität, Kultur und<br />
Geschlecht gegen eine »Islamisierung«<br />
der westlichen Kultur zu verteidigen.<br />
In dieser Konstruktion von »Wir«<br />
und »Die« benutzen Rechtsparteien<br />
die Argumente, die auf Fragmenten<br />
aus feministischen Diskursen beruhen,<br />
auf inkonsequente und häufig sich<br />
widersprechende Weise. Während<br />
traditionelle Familienvorstellungen<br />
(z.B. dass Frauen zu Hause bleiben und<br />
nicht arbeiten gehen sollten) betont<br />
werden, wenn es um Landsmänner und<br />
-frauen geht, wird gegen Migrantinnen<br />
und Migranten ins Feld geführt, dass sie<br />
eine Bedrohung für die Gleichberechtigung<br />
der Frau und LGBT-Rechte seien.<br />
In rechten Diskursen, insbesondere in<br />
Internetforen, werden jene Frauen, die<br />
für Frauenrechte einstehen, attackiert,<br />
schwer beleidigt und mit höchst<br />
abwertenden und sexistischen Kommentaren<br />
überzogen. Rechte benutzen<br />
Argumente in Bezug auf Gender und<br />
Frauenrechte also auf strategische<br />
Weise und nach ihrem eigenen Dafürhalten,<br />
um das populistische »Wir« in<br />
stets neuem Gewand zu rekonstruieren.