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mole magazin 3 – FEMINISMUS

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dern sie richtig gut findet. Geschlechtliche<br />

Zuordnungen werden zu individuellen<br />

und fürchterlich selbstbestimmten<br />

Merkmale umgewertet – und nicht mehr<br />

als per se gewaltförmige Kategorien<br />

betrachtet, zu denen die Einzelne mitsamt<br />

ihren Bedürfnissen immer schon<br />

in einem widersprüchlichen Verhältnis<br />

steht. Deshalb ist es sehr schwer, sich<br />

mit Queerfeministinnen z. B. über das<br />

gesellschaftliche Geworden-Sein von<br />

Begehrensformen oder über Essstörungen<br />

als gesellschaftlich hervorgebrachte<br />

Körperpathologien zu verständigen:<br />

Jegliche Erforschung von Ursachen und<br />

Bedingtheiten wird als unerträgliche<br />

Diskriminierung aufgenommen. In der<br />

Vorstellung, in ihrer Geschlechtlichkeit<br />

fremdbestimmt zu sein, Opfer zu<br />

sein – darin ist ihre Abwehrhaltung<br />

vielleicht ähnlich groß wie die unserer<br />

Großmütter. Das ist im Grunde ein<br />

abgefahrener historischer Verlauf:<br />

Warum hält ihr also am Patriarchatsbegriff<br />

fest?<br />

Korinna: Genau diese Entwicklung<br />

überzeugt mich davon, dass es unabdingbar<br />

ist, an den Anliegen des<br />

klassischen Feminismus festzuhalten.<br />

Natürlich müssen unsere Forderungen<br />

auf die veränderte gesellschaftliche<br />

Situation eingehen. Und der Feminismus<br />

muss sich kritisch befragen, inwieweit<br />

eine Interessenpolitik, die einmal von<br />

weißen Mittelständlerinnen formuliert<br />

wurde, noch gelten kann – ich meine,<br />

mittlerweile gibt es ja nicht einmal<br />

mehr diesen Mittelstand, oder? Aber bei<br />

aller Aktualisierung und Selbstkritik<br />

dürfen wir nicht vergessen, dass wir in<br />

einem längst globalisierten Patriarchat<br />

leben, das ohne die ganz alltägliche<br />

Unterdrückung und Selbstaufopferung<br />

von Frauen nicht funktioniert – auch<br />

wenn wir das alle im Bemühen, unser<br />

Leben gut in den Griff zu bekommen,<br />

nicht gerne hören. Letztlich geht es<br />

gerade heute darum, die kritische<br />

Perspektive aufs große Ganze nicht<br />

zu vernachlässigen. Feminismus ist ja<br />

nicht nur Identitätspolitik. Das Tolle<br />

am Feminismus ist, finde ich, gerade die<br />

ihm innewohnende Spannung zwischen<br />

Identitätspolitik und revolutionärer<br />

Perspektive: Bei der Abschaffung des<br />

Patriarchats geht es konkret um die<br />

Verbesserung der Lebens- und Wahlmöglichkeiten<br />

von Frauen – aber das<br />

ist gar nicht denkbar ohne den Kampf<br />

gegen Kapitalismus, Rassismus, Antisemitismus<br />

und Homophobie. Es geht<br />

um ein Leben, das unseren Bedürfnissen<br />

besser entspricht. Ich meine, der<br />

Feminismus hat verloren, wenn wir<br />

aufhören, an einer ganz umfassenden<br />

Patriarchatkritik festzuhalten.<br />

Patriarchat ist ein so weit gefasster<br />

Begriff, allein wenn man Österreich/<br />

Deutschland der 1950er Jahre mit<br />

heute vergleicht – da hat sich ja schon<br />

unheimlich viel getan seither, was zb<br />

Schwangerschaftsabbruch, Scheidungsrecht,<br />

Arbeitsrecht betrifft. Anders<br />

gesagt: Was 1950 »Patriarchat« war, ist<br />

heute etwas ganz Anderes. Inwiefern<br />

macht es Sinn, einen so breiten Begriff<br />

für so Spezifisches zu verwenden?<br />

Korinna: Ich würde bei der Analyse<br />

des Patriarchats gern unterscheiden<br />

wollen, was auf der Erscheinungsebene<br />

stattfindet und was auf der strukturellen<br />

Ebene und wie diese Ebenen miteinander<br />

vermittelt sind. Meine These<br />

dazu ist – dabei argumentiere ich mit<br />

der Wert-Abspaltungs-Theorie von<br />

Roswitha Scholz –, dass sich in vielen<br />

Bereichen und temporär ziemlich viel<br />

verbessern kann, so auch an der rechtlichen<br />

Situation von Frauen, ohne dass<br />

das Patriarchat dadurch grundlegend<br />

außer Kraft gesetzt würde. Rein rechtlich<br />

ist die Gleichstellung der Geschlech-<br />

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