mole magazin 3 – FEMINISMUS
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Z<br />
Zeiten kulturalistischer Hegemonie<br />
und Feminismus<br />
Karl-Heinz Kreuzer<br />
the future is unwritten, Leipzig<br />
Nicht erst seit der rassistischen Hetze nach<br />
den massenhaften sexistischen Übergriffen<br />
zu Silvester am Kölner Hauptbahnhof ist die<br />
Projektion von Sexismus und Patriarchat auf<br />
»andere Kulturen« und vor allem »den Islam« in<br />
der öffentlichen Debatte in der BRD hegemonial.<br />
Dieser kulturalistischen Projektion liegt ein<br />
ideologisch verkürzter Kulturbegriff zu Grunde,<br />
in dem Kultur als System von Normen, Werten<br />
und Traditionen begriffen wird, das die Pfade<br />
für soziale Praxis vorzeichnen würde. Davon<br />
zehren auch Antifeminist_innen, die den<br />
Untergang des Abendlands durch vermeintliche<br />
Gender-Umerziehung befürchten. Dem Monstrum<br />
des kapitalistischen Patriarchats den kulturalistischen<br />
Zahn zu ziehen, das müsste die Mission<br />
eines materialistischen Feminismus sein.<br />
1. Der Cultural Turn als Paradigmenwechsel<br />
für den Feminismus<br />
In der Zeit des Kalten Krieges waren der<br />
wissenschaftliche wie auch der gesamtgesellschaftliche<br />
Diskurs wesentlich von<br />
der Systemkonkurrenz zwischen den<br />
Regulationsmodellen der Marktwirtschaft<br />
im Westen und der Planwirtschaft<br />
im Osten geprägt. Gesellschaftliche<br />
Zusammenhänge wurden folglich<br />
in erster Linie über ökonomische<br />
Ursachenkomplexe begründet. Die Frage<br />
dabei war vor allem, ob die Freiheit des<br />
Marktes, oder eine staatlich gelenkte<br />
Warenproduktion besser geeignet sei,<br />
um die Bedürfnisse der Menschheit<br />
zu befriedigen. Diese Debatte beruhte<br />
freilich auf einer verkürzten Sichtweise,<br />
da sie die kapitalistische Vergesellschaftungsweise<br />
auf die oberflächliche Frage<br />
des Regulationsmodells zurückführte.<br />
Der Kapitalismus erschien so nicht<br />
als eine Vergesellschaftungsweise, die<br />
sich hinter dem Rücken der Subjekte<br />
konstituiert und die weit über die<br />
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ökonomische Sphäre hinaus alle<br />
menschlichen Beziehungen unter<br />
ihre Logik subsummiert hat. Deshalb<br />
verkam gerade in den linken Theorien<br />
die Frage nach dem Patriarchat zu einem<br />
sogenannten »Nebenwiderspruch«, der<br />
sekundär von oberflächlich aufgefassten<br />
ökonomischen Ursachen abzuleiten sei.<br />
Dies war eine Mitursache dafür, dass<br />
sich eine separate Frauenbewegung<br />
bildete, da die Anliegen des Feminismus<br />
innerhalb der linken Bewegung<br />
nicht ernst genommen wurden.<br />
Die diskursive Lage änderte sich mit<br />
dem Zerfall der Sowjetunion und<br />
dem Ende der Blockkonfrontation<br />
fundamental. Das marktwirtschaftlich-demokratische<br />
Regulationsmodell<br />
ging vorläufig als Sieger aus der Systemkonkurrenz<br />
hervor, voreilig wurde<br />
das »Ende der Geschichte« (Fukuyama)<br />
verkündet. In den Universitäten, den<br />
Zeitungen und auch in linken Kreisen<br />
verlor man das Interesse an einer<br />
verkürzt-ökonomistischen Erklärung<br />
der Welt. Man begann sich verstärkt<br />
mit Identitätsformen, Traditionen und<br />
sprachlogischen Konstruktionen als<br />
Ursachenkomplex gesellschaftlicher<br />
Zusammenhänge zu befassen (vgl. Kurz<br />
2003, S. 90f). Der zu Grunde liegende<br />
Kulturbegriff konzipierte Kultur<br />
wahlweise als Text, Archiv, Sprachform<br />
oder Kanon von Werten und Normen.<br />
Kultur erscheint hier in objektivistischer<br />
Weise als ein der Gesellschaft<br />
vorgängiger und die Pfade der Subjekte<br />
determinierender Zusammenhang. Aus<br />
dem Paradigma des Klassenkampfes<br />
mit dem Feminismus als Nebenwiderspruch<br />
wurde nach und nach das<br />
Paradigma von kulturellen Normen und<br />
ansozialisierten Identitätsformen, die<br />
Unterdrückung hervorbrächten und die<br />
es zu hinterfragen und schließlich zu<br />
überwinden gälte. Der Cultural Turn<br />
berührte aber auch andere politische<br />
Spektren als die Linke. War der<br />
früher primär biologisch begründete<br />
Rassismus in der BRD-Öffentlichkeit<br />
der Nachkriegszeit noch verpönt,<br />
traute er sich nun im kulturalistischen<br />
Gewand wieder an die Oberfläche. Die<br />
Fragmentierung ganzer Nationalstaaten<br />
und das Aufkommen neuer Terror- und<br />
Mafiabanden auf der ganzen Welt der<br />
90er Jahre wurde im hegemonialen<br />
Diskurs kulturalistisch erklärt. Die Idee<br />
vom »Kampf der Kulturen« (Huntington)<br />
hatte das »Ende der Geschichte« als<br />
hegemoniales Leitparadigma abgelöst.<br />
Auch hier wurden soziale Zusammenhänge<br />
über (kulturelle) Normen und<br />
Traditionen erklärt, wenngleich ohne<br />
die kritische Zielrichtung, die es in den<br />
linken Zusammenhängen dabei gab.<br />
2. Kultur und Patriarchat<br />
Der Cultural Turn veränderte die<br />
politischen Fronten nachhaltig und<br />
ermöglichte es Feminist_innen, die sich<br />
von der Linken vollends abgewendet<br />
hatten, das Patriarchat auf kulturalistisch-rassistische<br />
Weise zu erklären.<br />
Auch Reaktionären und Konservativen<br />
bot sich nun die Gelegenheit die<br />
Errungenschaften eines Jahrhunderts<br />
feministischer Kämpfe als Vorzug einer<br />
vermeintlich besonders freiheitlichen<br />
und menschenrechtsortientierten<br />
westlichen Kultur umzudeuten.<br />
Wenn sich frühere Protagonistinnen<br />
der feministischen Bewegung und<br />
rechtsradikale Hetzer_innen an ihren<br />
Zitaten kaum noch unterscheiden lassen,<br />
dann sieht das zum Beispiel so aus:<br />
»Viele der überwiegend jungen Männer,<br />
die da jetzt zu uns kommen, sind bisher<br />
noch nicht einmal von einem Hauch<br />
Gleichberechtigung der Geschlechter<br />
gestreift worden. Sie kommen aus<br />
Kulturen wie dem Islam, in denen<br />
Frauen als minderwertig gelten (was