mole magazin 3 – FEMINISMUS
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
quetschen. All dies bleibt ja weiterhin<br />
erklärungsbedürftig. Mit dem Verweis<br />
auf den Kapitalismus, der irgendwann<br />
die Geschlechter schon nivellieren wird,<br />
ist nicht so viel gewonnen, immerhin<br />
ist das Geschlechterverhältnis, wie wir<br />
es kennen, erst mit der kapitalistischen<br />
Produktionsweise entstanden. Insofern<br />
scheint mir, der Kapitalismus selbst<br />
macht erst mal gar nichts einfach von<br />
sich aus, nur weil er fortschrittlich<br />
ist und die Produktivkräfte entfaltet.<br />
Kapitalismus heißt ja erstmal nur, dass<br />
die innere Dynamik der Gesellschaft<br />
auf der Kapitalverwertung beruht. Es<br />
stimmt schon, auf einer analytischen<br />
Ebene ist es dem Kapital wurscht, wen<br />
es ausbeutet, Hauptsache billig und diszipliniert.<br />
Aber das Kapital ist ja selbst<br />
ein gesellschaftliches Verhältnis und als<br />
dieses eingelassen in eine soziale Praxis,<br />
die nicht in ökonomischen Kategorien<br />
aufgeht. Insofern führt es in die Irre,<br />
Gesetzmäßigkeiten, die das Geschlechterverhältnis<br />
betreffen, aus dem<br />
Kapitalverhältnis abzuleiten. Ich würde<br />
es eher so formulieren, dass sich die<br />
kapitalistische Produktionsweise bisher<br />
ganz ausgezeichnet mit dem Patriarchat<br />
vertragen hat. Und sie wird dies auch<br />
weiterhin tun, solange die Menschen<br />
dem irrationalen Ganzen ohnmächtig<br />
gegenüberstehen, statt sich zu emanzipierten<br />
Individuen zu entwickeln.<br />
Wenn man also die Errungenschaften<br />
der Zweiten Frauenbewegung mit der<br />
fortschrittlichen Tendenz des Kapitalismus<br />
abhakt, dann kommt mir das zu<br />
strukturalistisch vor, weil es absieht<br />
von den handelnden Subjekten und den<br />
Konflikten, die die Gesellschaft immer<br />
wieder produziert. Die Frauenbewegung<br />
war ja Folge von konkreten Leiderfahrungen<br />
und Wünschen der Frauen und<br />
als soziale Bewegung hatte sie ja durchaus<br />
gesellschaftliche Wirkungen und<br />
Folgen, die es sonst nicht gegeben hätte.<br />
Sicherlich versteht es die kapitalistische<br />
Gesellschaft ganz gut, solche Kämpfe<br />
zu integrieren, wie sie ja generell die<br />
gesellschaftlichen Widersprüche in eine<br />
Verlaufsform zu bringen vermag. Aber<br />
die revolutionären Momente der Frauenbewegung<br />
und auch der Queerbewegung,<br />
die über das Ganze hinauswiesen,<br />
die sind ja immer noch unabgegolten<br />
und warten noch darauf, verwirklicht<br />
zu werden. Außerdem ist nicht gesagt,<br />
dass diese Errungenschaften für immer<br />
Bestand haben: In gesellschaftlichen<br />
Krisenzeiten gab und gibt es immer<br />
auch große Sehnsucht nach den traditionellen<br />
rigiden Geschlechterrollen,<br />
wie man gut an rechtspopulistischen<br />
Bewegungen beobachten kann, die<br />
ihr Mackertum vor sich hertragen<br />
und gegen Abtreibung agitieren.<br />
Inwiefern ist die Verschiebung<br />
niedrig gestellter Care Work hin zu<br />
Migrantinnen hier eine qualitative<br />
Veränderung? Wie muss diese mitberechnet<br />
werden? Kann sich die Rolle<br />
des Sexismus nicht auf andere Herrschaftsformen<br />
wie Rassismus umlegen?<br />
Was sagt das dann über Sexismus als<br />
Strukturprinzip des Kapitals aus?<br />
Charlotte: Ich denke die Veränderung<br />
innerhalb der Care-Arbeit könnte man<br />
einmal mit den Trennungen innerhalb<br />
der Klasse der Lohnabhängigen<br />
erklären und zum anderen mit der<br />
Stellung der Care-Arbeit innerhalb der<br />
gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Die<br />
Sorgearbeit ist ja erstmal ein Bereich,<br />
der bisher vor allem außerhalb des<br />
Verwertungsprozesses lag. D. h. die<br />
Form, in der Sorgearbeit erfolgte, um<br />
die Reproduktion der Arbeitskräfte zu<br />
sichern, war ihre Auslagerung in den<br />
privaten Bereich, in der die Frauen diese<br />
unbezahlt geleistet haben. Dieses Modell<br />
fing aber irgendwann an zu bröckeln,<br />
weil – sehr verkürzt gesagt – die Frauen<br />
nach mehr Autonomie strebten und<br />
es für das Kapital zu teuer wurde.<br />
Deswegen wurden z. B. einige dieser<br />
Care-Arbeiten als Dienstleistungen in<br />
die Form der Lohnarbeit überführt, und<br />
hier greift dann die innere Fragmentierung<br />
der Lohnabhängigenklasse. Die<br />
Lohnabhängigen gliedern sich ja nicht<br />
nur nach Qualifikation und Fähigkeiten<br />
sondern eben auch u. a. entlang des<br />
Geschlechts und der Herkunft. Ähnlich<br />
wie Frauen auf dem Arbeitsmarkt<br />
strukturell benachteiligt sind, so haben<br />
auch z. B. osteuropäische Arbeitskräfte<br />
schon von vornherein eine schlechtere<br />
Position aufgrund ihrer Stellung in<br />
der internationalen Arbeitsteilung. So<br />
sind es dann mehrheitlich weibliche<br />
und migrantische Arbeitskräfte, die<br />
sich hierzulande in schlecht bezahlten<br />
Dienstleistungsjobs wiederfinden.<br />
In der Care-Arbeit treffen sich dann<br />
diese patriarchale und ethnisierende<br />
Strukturierung in einer Person. Wenn<br />
Frauen verstärkt Karriere machen<br />
und sich höher qualifizieren, muss es<br />
natürlich trotzdem Menschen geben,<br />
die die Sorgearbeit übernehmen. Und so<br />
übernimmt dann die Migrantin die Pflege-Arbeit<br />
zu einem beschissenen Lohn,<br />
die vorher unbezahlt von der Hausfrau<br />
geleistet wurde. Allgemein denke ich<br />
nicht, dass diese Klassengliederung<br />
etwas qualitativ Neues darstellt, die gibt<br />
es ja schon sehr lange. Aber bezogen auf<br />
den Care-Sektor gibt es in jedem Fall<br />
Verschiebungen, weil es hier überhaupt<br />
zu großen Veränderungen kam in den<br />
letzten Jahren und immer noch kommt.<br />
Materialistische und poststrukturalistische<br />
Feminismen prallen in meiner<br />
Wahrnehmung erst in letzter Zeit<br />
aufeinander, das ist ein eher neues<br />
Phänomen in der deutschsprachigen<br />
Linken. Die Materialistinnen haben,<br />
denke ich, ein bisschen geschlafen, und<br />
kommen erst jetzt mit ihrer Kritik<br />
am Butler Hype hinterher. Teilt ihr<br />
das? Warum denkt ihr, sind die Materialistinnen<br />
jetzt aufgewacht? Oder<br />
ist das ein Zeichen der Schwäche der<br />
poststrukturalistischen Ansätze? Oder<br />
hat das nicht auch mit den weltweiten<br />
Ereignissen zu tun, zb Wirtschaftskrise,<br />
arabischer Frühling und islamistischer<br />
Terror, dass es IdealistInnen schwerer<br />
macht, nur von Sprache und Denken<br />
als Herrschaft/Macht zu sprechen?<br />
Charlotte: Ja sicherlich ist der Poststrukturalismus<br />
so populär geworden, weil er<br />
einen Nerv getroffen hat und auf zeitgenössische<br />
Erfahrungen und Bedürfnisse<br />
gute Antworten gegeben. Insbesondere<br />
indem er sehr gekonnt und überzeugend<br />
den Wunsch jegliche geschlechtliche<br />
Zwangsidentität hinter sich zu lassen,<br />
auf die Spitze getrieben hat. Das war<br />
sicher für viele ein Befreiungsschlag.<br />
Trotzdem bleibt es die Schwäche des<br />
poststrukturalistischen Denkens, dass es<br />
zwar ein radikales Begehren formuliert,<br />
47