mole magazin 3 – FEMINISMUS
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G<br />
Gegen die Gesellschaft kämpfen,<br />
wenn sie dir am härtesten zusetzt<br />
Ella & Ariel<br />
Fast Forward, Hannover<br />
Für einen anderen Stellenwert des Alltags in<br />
unserer Organisierung. Ella und Ariel aus Hannover<br />
beschreiben, warum die meisten Polit-Gruppen<br />
in ihrer Entwicklung stagnieren, und was<br />
ein möglicher Ausweg aus dieser Situation ist.<br />
Sie versuchen den Gedanken der Alltagskämpfe<br />
konsequent zu Ende zu denken und liefern<br />
einen wichtigen Beitrag zur Selbstreflexion.<br />
Der radikalen Linken mangelt es – nach<br />
wie vor – an Ideen, wie es möglich<br />
sein kann, mehr zu werden und die<br />
eigenen Leute nicht entweder aus<br />
Opportunismus, oder an den Job oder<br />
die Kleinfamilie etc. zu verlieren.<br />
Ist es eine steile These das zu behaupten?<br />
Voraussichtlich nicht, sondern<br />
ein stetiger Wiedergänger linker<br />
Theorie- und Praxisgeschichte. Ein<br />
Grund dafür, dass das Thema eher als<br />
ein nerviger Dauerbrenner statt als<br />
hoffnungsvoller Ausblick daherkommt,<br />
könnte neben dem Hauptgrund der<br />
Marginalisierung im kapitalistischen<br />
Hamsterrad die Schwierigkeit sein,<br />
die eigenen Analysen so zu nutzen,<br />
dass sie auch »attraktiv« für Menschen<br />
werden, die ebenfalls merken, dass hier<br />
und anderswo einiges schiefläuft.<br />
»Sicherlich kann es aber nicht einfach<br />
darum gehen, durch die krasseren<br />
Aktionen oder eine größere Anschlussfähigkeit<br />
voranzukommen, sondern<br />
wohl noch am ehesten dadurch,<br />
dass wir beginnen, den Alltag dieser<br />
Gesellschaft umzukrempeln – und<br />
unser Leben gleich mit.« (1)<br />
Den Alltag umkrempeln – was damit<br />
gemeint ist, darüber gibt es weder<br />
zwischen allen Gruppen im Bündnis<br />
noch innerhalb dieser Gruppen einen<br />
Konsens. Vielleicht herrscht sogar eine<br />
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Unklarheit darüber, was genau Alltagsprobleme<br />
sind und was das mit den<br />
eigenen Strukturen und Praxen zu tun<br />
hat. Einige sind darüber hinaus genervt<br />
davon, Alltagskämpfe als »heiligen<br />
Gral« der Politstrategien zu betrachten.<br />
Worauf bauen unsere Strategien<br />
gerade eigentlich auf?<br />
Ein Kern des Problems ist, dass wir<br />
heute nach einem Politikmodell handeln,<br />
das nicht an die Lebensrealität der<br />
meisten Menschen anknüpft. Dass wir<br />
eine Strategie, eine Aktions- und eine<br />
Organisationsform haben, die für die<br />
meisten Menschen nicht zugänglich ist,<br />
weil ihre soziale Realität es ausschließt,<br />
sich daran zu beteiligen. Davon ist erst<br />
mal die alleinerziehende Mutter genauso<br />
betroffen wie der*die Geflüchtete,<br />
der*die um seinen*ihren Aufenthalt<br />
Angst haben muss. Wir orientieren uns<br />
mit unserer Art politisch zu arbeiten<br />
am ehesten an einem*r Student*in,<br />
der*die zumindest teilweise durch die<br />
Eltern und/oder den Staat gestützt wird.<br />
Also, die Zeit hat und sich diese nimmt,<br />
in einer gewissen Unabhängigkeit<br />
Themen zu suchen. Und das schließt<br />
erstmal eine ganze Menge Menschen<br />
aus, die diese Zeit und die Ressourcen,<br />
und vielleicht auch ein Minimum an<br />
sozialer Absicherung, nicht haben.<br />
Doch unsere derzeitige Organisierung<br />
lässt auch die soziale Realität ihrer<br />
Mitglieder außer Acht. Es spielt für<br />
unsere Politikfelder (zumindest vordergründig)<br />
keine Rolle vor welchen<br />
Herausforderungen die in ihnen Aktiven<br />
stecken. Unser Anspruch ist, dass wir<br />
aus der Analyse des gesellschaftlichen<br />
Zustandes und einer materialistischen<br />
Kritik das richtige Politikfeld<br />
unserer Zeit finden, und dort als<br />
radikalisierender Faktor auftreten.<br />
»Sozialer Wandel geschieht, wenn<br />
die alten Geschichten, die wir uns<br />
erzählen, um zu überleben, nicht mehr<br />
greifen, und wir neue erschaffen.« (2)<br />
Auf diese Art politische Veränderung<br />
anzustoßen, dürfte aber inzwischen<br />
immer schwieriger werden. Selbst die<br />
Durchschnittstudis spüren den Druck<br />
der Konkurrenz und Verwertbarkeit<br />
seit der Grundschule. Die Verschärfung<br />
der sozialen Verhältnisse hat auch eine<br />
Veränderung in den Möglichkeiten des<br />
politischen Handelns zur Folge. G8,<br />
Harz 4 oder Bachelor/Master betreffen<br />
auch den Elfenbeinturm der linksradikalen<br />
Politorganisation. Oder anders<br />
formuliert: Ohne die relative Sicherheit<br />
der alten Sozialhilfe ist ein (Post-)<br />
Autonomenleben gar nicht so einfach?<br />
»Politische Arbeit ist mir wichtig, ich<br />
will ja die Gesellschaft revolutionieren.<br />
Das mit dem Hochschulabschluss<br />
muss aber auch sein, was soll ich denn<br />
machen, wenn ich nachher keine<br />
oder nur scheiß Arbeit finde. Deshalb<br />
habe ich jetzt erstmal aufgehört zu<br />
den Gruppentreffen zu gehen.« (3)<br />
Wir kämpfen tagtäglich vereinzelt für<br />
ein Minimum an Sicherheit und sind<br />
dabei oft bereit auch bei der politischen<br />
Arbeit zurückzustecken. Wenn es hart<br />
auf hart kommt, bringt uns unsere<br />
politische Organisierung wenig weiter.<br />
Durch die Realität schmelzen die gesellschaftlichen<br />
Schichten zusammen, die<br />
sich eine linksradikale Politik unserer<br />
Art »leisten« können. Alleine deshalb<br />
ist es heute mehr als je zuvor notwendig,<br />
eine neue Strategie zu finden.<br />
Dafür lohnt es sich zu überdenken,<br />
was politische Organisierung für uns<br />
bedeutet. Ist es nur der Ort an dem<br />
wir einen Text diskutieren und die