mole magazin 3 – FEMINISMUS
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die Menschen, die bereits am Leben<br />
sind, ernährt und fit für die Arbeit<br />
hält. Dabei sollte man im Hinterkopf<br />
behalten, dass das, was als notwendig<br />
für die Reproduktion betrachtet wird,<br />
ein soziales und historisches Konstrukt<br />
ist. Reproduktive Arbeit hat eine lange<br />
Geschichte, eine Geschichte, die genauso<br />
wichtig und profitabel für den Kapitalismus<br />
war, wie die Entwicklung des Fabriksystems<br />
und der Warenproduktion.<br />
Es ist die Arbeit, die häufig unbezahlt<br />
geleistet wird, aber ebenso auch unterbezahlt,<br />
prekär und gesellschaftlich wenig<br />
geachtetet. Dass diese Arbeit ihren niedrigen<br />
Status so hartnäckig behält, liegt<br />
vor allem an einem zentralen Charakteristikum:<br />
Es ist weibliche Arbeit. Arbeit<br />
von Frauen. Aber das ist nur die eine<br />
Seite. Da Reproduktion eben die Arbeit<br />
ist, welche Arbeitskraft produziert und<br />
reproduziert, ist sie fundamental wichtig<br />
für jene Prozesse, die den Kapitalismus<br />
auf globaler Ebene am Laufen halten.<br />
Dennoch hat Reproduktionsarbeit aus<br />
der Sicht von Wissenschaftlerinnen wie<br />
Silvia Federici und Mariarosa Dalla Costa<br />
einen Doppelcharakter. Auf der einen<br />
Seite produziert und reproduziert sie uns<br />
als Lohnarbeiter*innen und erhält damit<br />
das kapitalistische System aufrecht,<br />
gleichzeitig wir daber auch menschliches<br />
Leben reproduziert autonome<br />
Subjekte hervorgebracht. Subjekte, die<br />
zumindest theoretisch dazu fähig sind,<br />
sich zu wiedersetzen, zu kämpfen und<br />
etwas zu verändern – die vielleicht sogar<br />
dazu in der Lage sind, einen radikalen,<br />
revolutionären Wandel voranzutreiben.<br />
Auch wenn wir Arbeitskräfte sind, kann<br />
man uns nicht allein darauf reduzieren.<br />
Um es deutlich zu sagen: Ohne Reproduktionsarbeit<br />
wird der Kapitalismus<br />
auch nicht überwunden. Damit<br />
befinden wir uns in einem komplexen<br />
Wiederspruch, da die gleichen Tätigkeiten,<br />
welche notwendig sind, um<br />
den Kapitalismus zu reproduzieren,<br />
auch genutzt werden können, ihn zu<br />
überwinden. Wenn wir die Reproduktion<br />
in den Fokus unserer Analyse<br />
und unserer Kämpfe stellen, finden<br />
wir zahlreiche Arbeiten, die zwar sehr<br />
wichtig für die Aufrechterhaltung des<br />
Kapitalismus sind, gleichzeitig besitzen<br />
dieselben Arbeitsprozesse aber nicht<br />
nur das Potenzial menschliches Leben<br />
zu erhalten, sondern auch das Potenzial<br />
eines revolutionären Wandels.<br />
Dass wir die Reproduktion in den Fokus<br />
unserer Analyse rücken, bedeutet nicht,<br />
dass uns die Produktion als unwichtiger<br />
erscheint. Vielmehr geht es darum zu<br />
sehen, wie beide Felder interagieren,<br />
im Konflikt zueinander stehen und<br />
sie sich gegenseitig aufrechterhalten<br />
(reproduzieren). Es gibt eine überwältigende<br />
Menge sogenannter produktiver<br />
Arbeit in dee Welt, die verweigert<br />
– oder sogar abgeschafft werden kann<br />
und muss. »Ein Glück, das wir die<br />
los sind!« könnten wir dann sagen.<br />
Ebenso gibt es viele Reproduktionstätigkeiten,<br />
welche anders organisiert<br />
und radikal transformiert werden müssen,<br />
und manche sollten sogar komplett<br />
abgelehnt werden. Als einen ersten<br />
Schritt sollte Reproduktionsarbeit ihre<br />
Warenförmigkeit verlieren, ohne dabei<br />
wieder in Bereich der naturalisierten<br />
häuslichen Arbeit zurückgeschoben zu<br />
werden (also in den Bereich der Frauen,<br />
denen angeblich von Natur aus naheliegt,<br />
solche Arbeiten zu verrichten).<br />
Das stellt ein Problem dar, denn die<br />
Reproduktionsarbeit kann nicht einfach<br />
abgeschafft werden, außerdem können<br />
und wollen wir sie nicht vollständig<br />
automatisieren und Robotern und<br />
Maschinen überlassen. Wenn Leute<br />
den vollautomatischen Kommunismus<br />
fordern, frage mich oft, wer dann die<br />
Reproduktionsarbeit leisten würde und<br />
wo sie stattfinden soll. Indem technische<br />
Lösungen für die Frage der Reproduktionsarbeit<br />
vorgeschlagen werden, wird<br />
die Abwertung der Reproduktionsarbeit<br />
fortgesetzt, weil so die Minimierung<br />
der Reproduktionsarbeit angestrebt<br />
wird. So wird das Bild verstärkt, dass<br />
es sich angeblich um Drecksarbeit<br />
handelt, die niemand machen möchte.<br />
Stattdessen sollte die Aufgabe sein, die<br />
Reproduktionsarbeit zu reorganisieren,<br />
ihr einen neuen Wert zu geben und sie<br />
außerdem ins Zentrum unseres Lebens<br />
und unseres Kampfes zu stellen. Dazu<br />
gehört sowohl, herauzufinden, was<br />
alles an der momentan existierenden<br />
Reproduktion schief läuft, als auch<br />
die Aneignung und Einforderung der<br />
Arbeit, die notwendig ist. Schwarzen<br />
Feministinnen wie Belle Hooks und<br />
Patricia Hills Collins zufolge lässt sich<br />
Reproduktion als Teil einem »radical<br />
homeplace« begreifen. Ein Ort,<br />
der notwendig ist, um zu Wachsen,<br />
Wertschätzung und Unterstützung<br />
zu erfahren – ein Ort, an den wir uns<br />
zurückziehen und Kraft sammeln können<br />
und uns von der grausamen Realität<br />
kapitalistischer Arbeit erholen können.<br />
An dem wir Pläne schmieden, lernen<br />
und den Mut finden uns zu widersetzen.<br />
Hier können wir unseren Kindern nicht<br />
nur beibringen, den Kapitalismus zu<br />
überleben, sondern auch gegen dessen<br />
Disziplin, Rhythmus und seine Institutionen<br />
zu revoltieren. Von Feministinnen<br />
of colour können wir lernen,<br />
dass das Zuhause ein umstrittener Ort<br />
ist. Während viele von uns versuchen,<br />
die Familie zu zerstören, das Heim zu<br />
verlassen um auf eigenen Füßen zu<br />
stehen, haben andere dafür gekämpft,<br />
ihre Familie zusammen zu halten und<br />
sind bereits seit mehreren Generationen<br />
einer Lohnarbeit nachgegangen.<br />
Wenn es dein Begehren ist, den Kapitalismus<br />
zu überwinden – meines ist es<br />
ganz sicher – und wir das so schnell wie<br />
möglich erreichen möchten, brauchen<br />
wir eine Exitstrategie, die so viel<br />
Aufmerksamkeit wie nur möglich auf<br />
historisch gewachsene Hierarchien legt,<br />
die Löhne und das Geschlecht bestimmen,<br />
sowie auf Herrschafts- und Ausbeutungssysteme,<br />
die Stadt und Land,<br />
Kolonialismus und Sklaverei, erste und<br />
sogenannte dritte Welt und darüberhinaus<br />
die ökologischen Welt als Quelle von<br />
Ausbeutung und Plünderung (die man<br />
als irgendwie nicht mit dem menschlichen<br />
Leben verbindet), produzierten.<br />
Darauf die Aufmerksamkeit zu richten<br />
ist wichtig, um Reproduktion wieder<br />
ins Zentrum zu rücken. »there be gold<br />
in them hills« – Der Reichtum der<br />
Gesellschaft ist keine Ansammlung von<br />
Waren, es scheint nur so. Tatsächlich<br />
sind es die Menschen, ihr Handeln und<br />
Interagieren mit der Umwelt, das den<br />
Reichtum der Welt produziert. Aus<br />
dieser Perspektive lässt sich schließen,<br />
dass wir uns die Reproduktion aneignen<br />
müssen und die Kämpfe, Konflikte und<br />
die Spannungen der Reproduktion zum<br />
maßgeblichen Inhalt unserer Exit-Strategie<br />
aus dem Kapitalismus machen.<br />
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