mole magazin 3 – FEMINISMUS
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M<br />
Material Girl<br />
Stell dir vor, es ist Patriarchat,<br />
und keine spricht es aus<br />
Charlotte Mohs & Korinna Linkerhand<br />
Interview: Malmoe Magazin<br />
Warum feministische Sprachkritik nicht genügt<br />
und sie an den Begriffen Natur und Patriarchat<br />
entschieden festhalten, erzählten die outside the<br />
box Autorinnen Korinna Linkerhand und Charlotte<br />
Mohs im Gespräch mit dem MALMOE Magazin.<br />
MALMOE: Kurz zu Beginn eine<br />
Begriffsklärung für unsere LeserInnen.<br />
Ihr hält einen materialistischen<br />
Feminismus hoch. Was versteht ihr<br />
darunter? Und was unter Materialismus?<br />
Inwiefern ist das auch eine Standortbestimmung<br />
in der aktuellen Debatte?<br />
Charlotte: Der Bezug auf den Materialismus<br />
ist insbesondere der Versuch,<br />
die Gesellschaft als Ganze in den Blick<br />
zu bekommen, damit eine feministische<br />
Theorie und Praxis nicht im luftleeren<br />
Raum schwebt. Die Grundgedanken<br />
des historischen Materialismus im<br />
Anschluss an Marx sind, dass der<br />
Mensch das Ensemble der gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse ist, in denen er lebt<br />
und dass er diese Verhältnisse selbst<br />
macht, jedoch unter vorgefundenen und<br />
zumeist undurchschauten Umständen.<br />
Im Zentrum der materialistischen<br />
Theorie steht also die menschliche<br />
Praxis, die die Formen ihres sozialen<br />
Zusammenlebens bestimmt. Nicht<br />
zuletzt hat die Kritische Theorie in<br />
Rückgriff auf die Freud’sche Psychoanalyse<br />
auch die psychosexuelle Konstitution<br />
der Subjekte als wichtigen Teil<br />
materialistischer Theorie betont. Für die<br />
Kritik von Geschlechter- wie Kapitalverhältnis<br />
gilt, dass diese als natürlich<br />
erscheinen und den Menschen gar<br />
nicht bewusst ist, wie sie den sozialen<br />
Zusammenhang herstellen und durch<br />
ihn geprägt sind. Der Materialismus<br />
dechiffriert diese Praxis als eine von<br />
Menschen gemachte, um dadurch ihre<br />
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Veränderbarkeit ins Bewusstsein zu<br />
holen. Aus dieser Perspektive kann eine<br />
radikale Kritik der Geschlechterordnung<br />
sich nicht nur auf der Ebene der<br />
symbolischen Repräsentation bewegen,<br />
sondern muss durch historische und<br />
systematische Analyse die Entstehung<br />
und Verfestigung der geschlechtlichen<br />
Arbeitsteilung und der dichotomen<br />
Geschlechtscharaktere nachvollziehen,<br />
sowie ihre Funktionalität im Gefüge der<br />
gesellschaftlichen Herrschaft begreifen,<br />
um ihre Hartnäckigkeit zu verstehen<br />
und ihr entgegenwirken zu können.<br />
Wenn sich etwas nicht ändert, dann,<br />
dass Feminismus unrelevant und<br />
unaktuell wirkt, aus der Zeit gefallen, als<br />
würde er ein nicht-mehr-existierendes<br />
Problem ansprechen. Hängt das auch<br />
damit zusammen: Das Patriarchat – ein<br />
alter Hut, für FeministInnen wie auch<br />
für die sexistische Mehrheitsgesellschaft.<br />
Und wie kams dazu, dass sich<br />
hier Queer-Feminist_innen so eins sind<br />
mit unseren unfeministischen Großmüttern?<br />
Bzw: Sind sie sich wirklich eins?<br />
Korinna: Oberflächlich gesehen sind<br />
sie sich natürlich überhaupt nicht<br />
einig. Über die prototypische Oma, die<br />
möchte, dass ihre Enkelin gut kochen<br />
lernt, einen guten Mann findet und<br />
hübsche lange Haare hat, kann die<br />
Queerfeministin natürlich nur mitleidig<br />
den Kopf schütteln. Darin ähnelt<br />
sie ihrer Mutter – wenn wir mal beim<br />
Generationenmodell bleiben wollen –,<br />
der Lila-Latzhosen-Emanze der 70er.<br />
Zu deren Zeiten war es bedeutend<br />
einfacher, das Patriarchat zu verfluchen:<br />
Frauen waren an Küche, Kinder, Kirche<br />
gefesselt. Die Zweite Frauenbewegung<br />
war getragen von der historisch einmaligen<br />
Erkenntnis sehr vieler Frauen<br />
in Westeuropa und Nordamerika, dass<br />
sie sich aufgrund ihres Geschlechts<br />
in einer beschissenen Lage befinden.<br />
Darum gingen sie auf die Straße. Diese<br />
Situation gibt es nicht mehr. Nicht<br />
zuletzt dank der Erfolge des Feminismus<br />
kam es zu einer Flexibilisierung der<br />
Geschlechterrollen – die im Übrigen<br />
eng mit den Forderungen des Arbeitsmarktes<br />
zusammenhing –, die immer<br />
mehr Frauen erlaubte zu studieren, in<br />
neue berufliche Felder vorzustoßen und<br />
z. B. als Lesbe oder Alleinerziehende<br />
weniger soziale Ächtung zu erfahren.<br />
Die Entwicklung, die Art und Weise<br />
ihrer Vergesellschaftung zunehmend<br />
selbst bestimmen zu können, kostete die<br />
Feministinnen jedoch das Bewusstsein,<br />
Unterdrückte zu sein. Es waren ja nicht<br />
mehr die Männer, die die Frauen an<br />
den Herd trieben – es wurde zu ihrer<br />
eigenen Entscheidung, dort zu stehen.<br />
Die Sehnsucht nach der Überwindung<br />
des weiblichen Opferstatus beförderte<br />
vielfach die neoliberale Ansicht,<br />
dass jede ihre Glückes Schmiedin sei,<br />
ergänzt um eine Prise Postmoderne,<br />
dass es sich dabei um ganz individuelle<br />
Glücksvorstellungen handele. Und so<br />
landete die emanzipierte Frau bei dem<br />
Credo, die Mehrfachbelastung auf ihren<br />
Schultern als ureigenste Entscheidung<br />
zu bejahen und dabei zu vergessen, dass<br />
es immer noch strukturelle Benachteiligungen<br />
und eine äußerst wirkmächtige<br />
weibliche Sozialisation sind, die ihre<br />
Entscheidungen prägen. Vielleicht kann<br />
es mit der historischen Entwicklung<br />
vergleichen, dass den ProletarierInnen<br />
irgendwann das Klassenbewusstsein<br />
abhanden gekommen ist? Folgerichtig<br />
weicht im Queerfeminismus ein Begriff<br />
von Frau, der Geschlecht als repressive<br />
Zwangsveranstaltung anklagt, emphatischen<br />
Identitätskonzepten. Das ging bei<br />
der differenzfeministischen Hexenbewegung<br />
der 80er los und führt direkt in das<br />
aktuelle Diversity-Gejubel, das sich über<br />
Ungleichheiten nicht mehr beklagt, son-