return Ausgabe 03-2016
Schwerpunktthema: Zukunft managen Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen
Schwerpunktthema: Zukunft managen Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Reine Zukunftsmusik<br />
China: Vorausschau nur in erlaubten Szenarien<br />
Text: Finn Mayer-Kuckuk, Peking<br />
Innovator auf Überschallreisen<br />
USA: Dirk Ahlborn schafft mit Hyperloop neue Mobilität<br />
Text: Kerstin Zilm, Los Angeles<br />
Chinas Manager verfolgen bisher mehrheitlich einen<br />
praktischen Ansatz: Was heute funktioniert, wird heute<br />
gemacht. Der Gegenwartsbezug ist zum Teil eine Lehre<br />
aus der jüngeren Geschichte: Die staatliche Ideologie und<br />
damit die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft haben<br />
sich im Zickzack zwischen totaler Kollektivierung und<br />
hemmungsloser Marktwirtschaft bewegt. „Ich sehe in China<br />
nach dem amerikanischen Experiment einen neuen Managementstil<br />
heranwachsen“, sagt Charles-Édouard Bouée,<br />
Vorstandsvorsitzender der Strategieberatung Roland Berger<br />
und Autor des Buches „China‘s Management Revolution“.<br />
Wichtiger als eine ausgefeilte Strategie seien in China „Visionen<br />
und Taktik“.<br />
Für die Suchmaschine Baidu entsteht in China eine eigene Abteilung für<br />
Futurologie unter dem klangvollen Namen „Verne-Projekt“.<br />
Doch was in den Boom-Jahrzehnten gut funktioniert hat,<br />
weicht langsam einer langfristigeren Perspektive. Die Wirtschaftslenker<br />
gewöhnen sich an den Gedanken, dass es ihre<br />
Firmen auch in der nächsten Generation noch geben wird.<br />
Die Frage nach der Zukunft rückt daher langsam in den<br />
Vordergrund. „Immer mehr Firmen beschäftigen sich mit<br />
diesem Thema, obwohl Futurologie in China meist noch ein<br />
Fremdwort ist“, sagt Qin Linzheng, Chefberater der Chinesischen<br />
Gesellschaft für Zukunftsstudien und Professor an<br />
der Chinese Academy of Social Sciences (CASS).<br />
Qin ist ein Veteran der chinesischen Zukunftsforschung.<br />
Schon in den 60er-Jahren hat die Kommunistische Partei<br />
ihn beauftragt, sich dazu international zu vernetzen. Sie<br />
erhoffte sich davon wertvolle Erkenntnisse für den Aufbau<br />
des Sozialismus. Sein Projekt kam jedoch wegen politischer<br />
Wirren immer wieder unter die Räder. In den vergangenen<br />
Jahren blühte die Disziplin aber auf. „Selbst im Militär gab<br />
es eine Einheit für Zukunftsstudien, doch sie wurde wegen<br />
der heiklen Natur ihrer Erkenntnisse wieder geschlossen“,<br />
erzählt Qin. In den meisten Firmen geht es bisher nicht<br />
um eine große Vision, wie Gesellschaft und Lebensweise<br />
in mehreren Jahrzehnten aussehen. „Oft stehen einfach<br />
Marktprojektionen am Anfang der Beschäftigung mit der<br />
Zukunft“, sagt Qin. Doch gerade Technikunternehmen wird<br />
dabei schnell klar, dass der künftige Markt einerseits vom<br />
Lebensumfeld abhängt, andererseits vom technischen Fortschritt.<br />
Ergebnis: Langfristplanung ist nicht ohne Erkenntnisse<br />
zu den künftigen Rahmenbedingungen möglich.<br />
Doch dieser Ansatz stößt heute – wie schon damals in den<br />
Pioniertagen von Professor Qin – auf ideologische Probleme.<br />
Denn aus Sicht der Partei in Peking ist nur eine Variante von<br />
Zukunftsszenarien erlaubt: Solche, in denen die allein regierende<br />
Partei das Volk in eine wohlhabende und glückliche<br />
Zukunft führt. Ein Machtverlust der Kommunisten oder ein<br />
zwischenzeitlicher Zusammenbruch sind Themen, die Forscher<br />
oder Journalisten ins Gefängnis bringen können.<br />
Großer Markt für<br />
Profi-Vorausschau<br />
Unter chinesischen Science-Fiction-Autoren kursiert daher<br />
ein Witz: Das größte Problem für chinesische Zukunftsromane<br />
ist die Zukunft. Im Idealfall handeln ihre Storys von<br />
Szenarien, in denen China weltweit enorme Bedeutung<br />
erlangt hat, während die Partei international großen Respekt<br />
genießt. Auch Qin kennt die Grenzen seiner Arbeit<br />
genau: „Unsere Zukunftsstudien beschäftigen sich nicht mit<br />
Ideologie.“ Am einfachsten seien Projektionen im Bereich<br />
Technik oder Konsumentenverhalten. Die Gesellschaft für<br />
Zukunftsstudien ist staatlich finanziert, doch in fünf Jahren<br />
soll sie unabhängig werden und sich durch Auftragsarbeiten<br />
und Dienstleistungen selbst tragen. Bis dahin, hofft Qin, ist<br />
ein ausreichend großer Markt für professionelle Vorausschau<br />
entstanden.<br />
Die Suchmaschine Baidu geht derweil mit dem Aufbau einer<br />
eigenen Abteilung für Futurologie voran, auch wenn diese<br />
bisher dem Vernehmen nach nur aus einem Mitarbeiter<br />
besteht. Einen klangvollen Namen hat sie jedoch schon: Das<br />
„Verne-Projekt“ soll einmal künstliche Intelligenz nutzen,<br />
um ähnlich visionäre Voraussagen zu liefern wie der französische<br />
Schriftsteller Jules Verne im 19. Jahrhundert. ~<br />
Dirk Ahlborn lehnt entspannt im Stuhl, Hände hinter<br />
dem Kopf verschränkt, während Mitglieder seines<br />
Teams Zitate und Sprüche an die fast weiße Bürowand<br />
schreiben. „Wird die Geschichte deinen Namen kennen?“,<br />
lautet das Motto für die Bonmots<br />
zur Motivation in der neuen<br />
Hyperloop-Zentrale von Los<br />
Angeles. Die Magnetbahn soll<br />
Passagiere wie Rohrpost transportieren.<br />
Der Plan ist, dass sie<br />
in Kapseln durch ein Rohr jagen<br />
und zwar mit einer Geschwindigkeit<br />
von mehr als tausend<br />
Stundenkilometern. „Ich will<br />
große Probleme lösen“, erklärt<br />
der Chef von Hyperloop Transportation<br />
Technologies (HTT):<br />
„Effektive Transportmöglichkeiten zu schaffen, mit denen<br />
Reisende eine gute Erfahrung verbinden, ist eine der größten<br />
Herausforderungen unserer Zeit.“ Der 49 Jahre alte Berliner<br />
stellt sich dieser Herausforderung mit einer leidenschaftlichen<br />
Crew, dessen Mitglieder bisher kein Geld bekommen,<br />
sondern die Option auf Aktienanteile. Sie wollen alle vor allem<br />
dabei sein, bei der Überschallreise in die Zukunft.<br />
Für Ahlborn ist der Hyperloop auch ein Test seiner Vision<br />
von moderner Unternehmensbildung. Er will via Crowdsourcing<br />
größte Talente aus aller Welt zu einer Bewegung<br />
zusammenbringen, die die Welt verändert. Dafür gründete<br />
er 2012 die Plattform „JumpStartFund“. Wenig später<br />
brachte Tesla-Gründer Elon Musk die Idee einer Art Überschall-Rohrpost<br />
für die Strecke zwischen San Francisco und<br />
Los Angeles ins Gespräch. Ahlborn ging ein Licht auf: „Das<br />
war das ideale Projekt, um unsere Plattform zu testen.“<br />
Keine Musk-Millionen<br />
für revolutionäre Ideen<br />
Musk selber sei an HTT nicht beteiligt, betont Ahlborn<br />
mehrfach. Das ist so wichtig, weil es dem Sohn eines Tischlers<br />
und einer Bäckereiverkäuferin auch darum geht zu beweisen,<br />
dass man keine Millionen braucht, um revolutionäre<br />
Ideen umzusetzen: „Wenn dir jemand sagt, etwas ist nicht<br />
machbar, heißt das ja nur, dass er nicht weiß, wie es geht. Du<br />
kannst es herausfinden.“ Kaum hatte Ahlborn seine Hyperloop-Plattform<br />
ins Netz gestellt, bekam er 200 Bewerbungen.<br />
Mit rund 100 Mitstreitern aus aller Welt entwickelte er<br />
das Projekt bis zur Machbarkeitsstudie. Investorenangebote<br />
lehnte er in dieser ersten Phase ab. Er jobbte als „Uber“-<br />
Fahrer und vermietete seine Wohnung in Strandnähe bis<br />
er rausflog und auf Sofas von<br />
Freunden schlafen musste. Das<br />
Fazit des Unternehmers: „Wenn<br />
du ein Team von Menschen zusammenstellst,<br />
die mit Leidenschaft<br />
an dasselbe Ziel glauben<br />
wie du, macht es Spaß und du<br />
schaffst es.“<br />
Früh hatte er herausgefunden,<br />
dass er nicht zum Angestellten<br />
taugt. „Ich wollte schon immer<br />
Dirk Ahlborn „will große Probleme lösen“ mit dem Transportsystem<br />
Hyperloop.<br />
etwas Eigenes machen, arbeite<br />
viel, bin eher rebellisch, stelle<br />
alles infrage und kann mich schlecht an Regeln halten.“ Die<br />
ersten Start-ups gründete er in Italien, 2009 folgte er einer<br />
Freundin nach Kalifornien. Sie heirateten und bekamen<br />
zwei Kinder. Seine Ersparnisse waren schnell verbraucht, er<br />
kellnerte, half als Buchhalter in einem Start-up und hatte<br />
zweitweise drei Jobs. Nebenher entwickelte Ahlborn eigene<br />
Geschäftsideen. „Ich glaube, selbst wenn ich alleine auf einer<br />
einsamen Insel mit nur einer Kokospalme wäre, würde<br />
ich überlegen, wie man damit Geld verdienen kann.“ Die<br />
Ehe zerbrach, doch Ahlborn blieb in Kalifornien, auch um<br />
in der Nähe seiner zwei Söhne zu sein. Dann kam die Idee<br />
mit dem Hyperloop.<br />
Inzwischen arbeiten mehr als 550 Mitarbeiter aus über 40<br />
Firmen in aller Welt an dem Konzept. Die Machbarkeitsstudie<br />
ist abgeschlossen und ergab: Mit der Vakuum-Magnetbahn<br />
können Passagiere die 570 Kilometer in gut einer<br />
halben Stunde zurücklegen. HTT akzeptiert nun Investorengelder<br />
und entwickelt erste Strecken.<br />
Ahlborn arbeitet mit der slowakischen Regierung an einer<br />
Acht-Minuten-Verbindung zwischen Bratislava und Wien.<br />
Außerdem soll noch diesen Sommer der Bau des ersten Hyperloops<br />
im kalifornischen Quay Valley beginnen. Dieser<br />
Ort existiert nur auf dem Reißbrett als Vision eines anderen<br />
Innovators, der dort eine energieautarke Stadt bauen will.<br />
„Impossible enough to be possible“, hat Dirk Ahlborn an<br />
seine Bürowand geschrieben. Unmöglich genug, um möglich<br />
zu sein. Für ihn bedeute das: Es ist leichter, die Welt zu<br />
verändern, als das zigste WhatsApp zu bauen. ~<br />
Foto: Hyperloop Transportation Technologies<br />
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