return Ausgabe 03-2016
Schwerpunktthema: Zukunft managen Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen
Schwerpunktthema: Zukunft managen Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Agil führen<br />
Neues Leadership für veränderungsfähige Organisationen<br />
Text: Moritz von Campenhausen<br />
Nudge Management<br />
Moderne Führung steuert Verhalten mit sanften Stupsern<br />
Text: Wolfgang Freibichler<br />
Die Vorstellung, was gute Führung bedeutet und wie<br />
das Ideal einer guten Führungskraft aussieht, ändert<br />
sich so schnell wie die Anforderungen der Umwelt an die<br />
Entscheider. War in den 80er-Jahren eher der stringente,<br />
durchsetzungsstarke, auf Prozess und Effizienz getrimmte<br />
Manager gefordert, wünschte man sich in den 90ern und<br />
2000ern den unternehmerischen Typ, der als Visionär neue<br />
Wege beschreiten sollte.<br />
Frühere Führungskonzepte basierten auf relativ klaren und<br />
stabilen Rahmenbedingungen. Wenn Ziele festgelegt und<br />
die Situation analysiert waren, griffen bestimmte Maßnahmen<br />
aus einem definierten Methodenbaukasten. Das funktioniert<br />
heute nicht mehr. Angesichts der extremen Veränderungsgeschwindigkeit<br />
und der Tiefe der Umwälzungen<br />
der neuen Welt aus Volatility, Uncertainty, Complexity and<br />
Ambiguity (VUCA) stoßen herkömmliche Führungsrezepte<br />
an ihre Grenzen.<br />
Einer allein kann es nicht schaffen: Die Vorstellung vom charismatischen<br />
Führer, der alle Probleme bewältigen kann, ist überholt.<br />
Die Unsicherheit bleibt als einzige Konstante. Damit ändert<br />
sich der Blick auf die Führungskraft. Beurteilte man sie<br />
früher allein anhand ihrer Kompetenzen und damit an gezeigten<br />
Fähigkeiten, tritt jetzt als entscheidende Größe das<br />
Potenzial in den Fokus – also das, was noch werden kann:<br />
Wie groß ist ihre Fähigkeit, sich auf Neues, bisher nicht Bekanntes<br />
einzulassen und mit unvorhergesehenen Situationen<br />
fertigzuwerden?<br />
Dazu braucht es Neugier und Mobilisierungskraft, den Willen<br />
zur Selbstreflexion und Offenheit, eine hohe Frustrationstoleranz<br />
und die notwendige Entschlossenheit. Klar ist<br />
auch: Einer alleine kann es nicht schaffen. Die Vorstellung<br />
eines charismatischen Führers, der eine Organisation komplett<br />
hinter sich bringt und so alle Probleme bewältigen kann,<br />
Foto: Jakub Jirsak<br />
ist überholt. Entscheidend ist vielmehr die Fähigkeit, Teams<br />
zusammenzustellen, zu orchestrieren und das Beste aus ihnen<br />
herauszuholen. Während 1980 nur ein Fünftel aller Arbeiten<br />
im Team erfolgten, waren es 2010 bereits vier Fünftel. Tendenz<br />
stark steigend. Die hochkomplexen und undurchsichtigen<br />
Situationen der Zukunft verlangen nach ungewöhnlichen<br />
Teams. Das kann so weit gehen, dass diese Teams keine<br />
Führungskräfte im traditionellen Sinne mehr haben, sondern<br />
diese zurücktreten, um denjenigen den Vortritt zu lassen, die<br />
für die jeweilige Aufgabe am geeignetsten sind.<br />
Das Neue aufbauen,<br />
aber das Alte erhalten<br />
Für das Unternehmen bedeutet die Gründung solcher Teams<br />
doppelten Stress. Denn diese thematisch motivierten Gruppen<br />
stehen in der Regel quer zu bestehenden organisatorischen<br />
Strukturen. Aber egal, wie wichtig das Ausprobieren<br />
des neuen Terrains sein mag: Die alte, effiziente Unternehmenswelt<br />
muss weiter funktionieren. Das Neue aufbauen,<br />
aber das Alte erhalten, wo es angemessen ist und es behutsam<br />
weiterentwickeln – diese Spannbreite auszuhalten, ist<br />
die vielleicht größte Herausforderung für Organisationen<br />
und ihre Führungskräfte. Ein Patentrezept für das richtige<br />
Maß gibt es nicht. Hier helfen nur individuelle Lösungen.<br />
Ein radikaler Bruch über Nacht ist weder möglich noch<br />
wünschenswert, denn er bedingt einen Kulturwandel, den<br />
man nicht einfach verordnen kann und der auch nicht für<br />
jeden Bereich gleich angemessen erscheint. Wenn aber alle<br />
zusammen – allen voran die Führungspersönlichkeiten –<br />
verstanden haben, dass Hierarchien und organisierte Strukturen<br />
geringere Bedeutung haben als Fähigkeiten, Einsatzwille<br />
und eine gewisse Fehlertoleranz, dann spricht man von<br />
einem „agilen“ Unternehmen. Darin trägt jeder Einzelne auf<br />
jeder Ebene mehr Verantwortung als früher. Ein Unternehmen<br />
kann sich so flexibler und aktiver in einem stets unvorhersehbaren<br />
Umfeld bewegen. ~<br />
Der Autor leitet die Praxisgruppe „Leadership<br />
Services“ bei Egon Zehnder, der internationalen<br />
Personalberatung für Top-Führungskräfte.<br />
Ein Blick auf die Uhr. Die letzte Stunde ist wie im Flug<br />
vergangen. Das Gehirn hat auf Hochtouren gearbeitet,<br />
die Ideen sprudelten geradezu und jetzt ist der Lösungsweg<br />
glasklar vorgezeichnet: Psychologen sprechen dann vom<br />
„Flow-Zustand“, einer Phase<br />
höchster Konzentration und<br />
Produktivität. Diesen Arbeitsmodus<br />
gezielt anzuregen und<br />
so das Beste aus den Wissensarbeitern<br />
herauszuholen,<br />
avanciert zum wichtigen Management-Ziel<br />
in der digitalisierten<br />
Arbeitswelt. Schließlich<br />
erwarten Kunden eine weitere<br />
Individualisierung und Flexibilisierung<br />
von Produkten und<br />
Dienstleistungen. In Branchen,<br />
in denen die Produktion weitgehend<br />
optimiert wurde, sind<br />
indirekte Bereiche schon heute<br />
ausschlaggebend im Wettbewerb. Als Managementberater<br />
haben meine Kollegen und ich Einblicke in die unterschiedlichsten<br />
Firmen weltweit. Dabei sehen wir, dass der digitale<br />
Wandel vor allem eines auslöst: Verunsicherung. Doch wer<br />
zu lange zögert, riskiert unter Umständen, dass branchenfremde<br />
Firmen das eigene Geschäftsmodell durch ein anderes<br />
ersetzen. Um mit der neuen Geschwindigkeit Schritt<br />
halten zu können, müssen Wertschöpfungsketten vom Lieferanten<br />
bis zum Kunden rationalisiert und automatisiert<br />
werden.<br />
Mitreisende in die richtige Richtung zu lenken, gelingt fähigen<br />
Führungskräften heute auch behutsam.<br />
Agilität bei Google<br />
und Samsung<br />
Diese Aufgabe bereitet so manchem Manager schlaflose<br />
Nächte. Doch es gibt auch Unternehmenslenker, die sich<br />
über die dramatischen Veränderungen freuen. Technologiegrößen<br />
wie Samsung und Google verfügen über einen<br />
entscheidenden Vorteil in unruhigen Zeiten: Agilität. Auf<br />
Veränderungen können sie schnell reagieren und dadurch<br />
profitabel wachsen.<br />
Wie gelingt es diesen Unternehmen, dass ihre Wissensarbeiter<br />
um ein vielfaches produktiver arbeiten, als der durchschnittliche<br />
Ingenieur oder Kaufmann? Klassische Ansätze<br />
zur Produktivitätssteigerung stoßen hier an ihre Grenzen.<br />
Statt Abläufe immer weiter zu standardisieren, werden Freiräume<br />
gezielt geschaffen. Also eher freier Jazz statt strenge<br />
Klassik. Google macht sich beispielsweise die Erkenntnisse<br />
von Vernon L. Smith und Daniel Kahneman, Wirtschaftsnobelpreisträger<br />
des Jahres 2002,<br />
zunutze: Die Tatsache, dass<br />
ein Großteil des menschlichen<br />
Verhaltens auf Instinkten basiert,<br />
wird gezielt eingesetzt,<br />
um Verhalten zu steuern.<br />
Auch einige deutsche Konzerne<br />
und Mittelständler sind dabei,<br />
Erkenntnisse der Verhaltensökonomie<br />
zu nutzen, um<br />
ihre Mitarbeiter sanft in die<br />
Foto: Porsche<br />
richtige Richtung zu lenken.<br />
Der gesunde Salat ist in der<br />
Kantine einfacher zu erreichen<br />
als das fettige Fleisch – denn<br />
auch am Nachmittag wird das<br />
Blut im Kopf benötigt. Wird es in Meetings zu laut, leuchtet<br />
eine rote Lampe – hitzige Debatten beruhigen sich dadurch<br />
schneller. Vor Sitzungen von Arbeitsgruppen werden<br />
kurze Satirefilme gezeigt, bei denen alle über die „ewigen<br />
Bewahrer“ lachen. Die Botschaft kommt an: Bitte Neuland<br />
betreten.<br />
Im angloamerikanischen Raum wird diese Form der Verhaltensbeeinflussung<br />
als „Nudging“, also „Stupsen“, bezeichnet.<br />
Die Politik hat dies bereits aufgegriffen. Im Weißen Haus<br />
gibt es Nudge Units. Und auch die Bundesregierung ist dabei,<br />
Erkenntnisse der Verhaltensökonomie systematisch zu<br />
nutzen. Für Unternehmen bietet Nudging große Chancen,<br />
denn ein Großteil der Lösungen erfordert keine Investitionen.<br />
Zudem sind die „Stupser“ gut skalierbar, können also<br />
schnell im Unternehmen ausgerollt werden. Und da niemand<br />
zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird, ist<br />
mit guter Akzeptanz zu rechnen. ~<br />
Der Autor ist Partner in der Managementberatung<br />
Porsche Consulting mit den Branchenschwerpunkten<br />
Industriegüter und Private<br />
Equity.<br />
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