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LitGes St.Pölten

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24 Holz|Oktober 2016<br />

Prosa<br />

Peter Schwendele<br />

Stallleben<br />

Die erste Woche in der Mehrzweckhalle ist ganz lustig, ein<br />

bisschen so wie eine große Schlafsackparty. Überhaupt:<br />

Wenn alles neu ist, macht es Spaß, sich gegenseitig zu<br />

beschnuppern. Und die leicht stickige Luft, die Geruchsmelange,<br />

die einem um die Nase wabert, fällt höchstens<br />

positiv auf, macht fast ein wenig high: Ausdünstungsnarkotisierung.<br />

Ich finde übrigens, Saralisa müffelt mit Abstand<br />

am besten.<br />

Aber schon kommen die von den Lang- und Schlappohrfreunden<br />

Südweststadt e.V. hereingehoppelt und machen<br />

unmissverständlich klar, dass ihre Pelztierschau am Wochenende<br />

die weltwichtigste Veranstaltung ist. Wir jungen<br />

Hüpfer schauen noch ein bisschen komisch, wie die ersten<br />

Käfige aufgestellt werden, da holt uns auch schon<br />

die stets um Deeskalation bemühte Stadtverwaltung<br />

raus, von den Karnickelknutschern offenbar auf die rettende<br />

Idee gebracht, wie man dem akademischen Überschuss<br />

auf die Schnelle ein schnuckliges Plätzchen bieten<br />

könnte.<br />

Flott wird gezimmert und gehämmert, alles geht rucki-zucki,<br />

und die beflissenen Beamten versichern, man werde<br />

eine gute Übergangslösung schaffen. In wenigen Wochen<br />

würden ohnehin bereits die ersten unserer Kommilitonen<br />

ihr Studium schmeißen und dann könnten wir, nutznießend,<br />

ihre frei gewordenen Zimmer übernehmen. Der Plan<br />

klingt perfekt. Die Besserwisser („hättet Euch eben früher<br />

um eine Unterkunft kümmern müssen“) und die Snobs<br />

(„selber schuld, wenn Eure Eltern Euch keine Eigentumswohnung<br />

in Eurem Studienort kaufen“) verstummen.<br />

Toll ist, dass es von unserer neuen Behausung nur fünfzehn<br />

Minuten zu Fuß zur Uni sind. Wir bekommen am<br />

ersten Tag ein Starter-Pack überreicht (eine Schale mit<br />

frischen Karotten und ein Päckchen Streichhölzer mit der<br />

Aufschrift „Achtung, nur zum Zähnereinigen verwenden“).<br />

Ein Herr von der Lokalzeitung macht Fotos, als der Baubürgermeister<br />

jedem von uns beim Einzug persönlich die<br />

Hand schüttelt.<br />

Der gesamte Stall ist sehr groß, hat viele Ebenen und bietet<br />

durch seine kompakte Form und seine durchdachte<br />

Gliederung „für jeden Bewohner ein eigenes Reich“, so<br />

zumindest die Schlagzeile in der Zeitung. Von den oberen<br />

Stockwerken bietet sich eine prächtige Aussicht. Jede<br />

einzelne Stalleinheit macht durch die den vorderen Bereich<br />

begrenzende Drahtgitterlösung einen sehr luftigen<br />

Eindruck und bietet Platz für Bett, Schrank sowie Schreibtisch<br />

und lässt sogar noch etwas Raum für das morgendliche<br />

Liegestützenprogramm respektive das abendliche<br />

Workout.<br />

Der Stallverwalter heißt Rabrindranath und ist ein bärtiger,<br />

turbantragender Sikh. Das Weltoffene der Behausung<br />

wird des Weiteren durch seine Gehilfin und Mädchen<br />

für alles unterstrichen, die schwarze Rapperin Mojo-Minzi,<br />

die alle Fragen, die nervende Motherfucker-Neustudiwohnis<br />

so haben, ausschließlich in gereimter Stakkato-Form<br />

beantwortet.<br />

Toll ist vor allem, dass ich den Stall direkt neben Saralisa<br />

bekomme. Saralisa studiert komische Fächer, aber sie<br />

ist sehr nett, hat niedliche Ohren und wenn sie lächelt,<br />

entblößt sie auf eine neckische Art ihre Vorderzähnchen.<br />

Weil die Wände unseres scharf geschnittenen neuen<br />

Heims aus sehr dünnen Spanholzbrettern bestehen, kann<br />

ich, wenn ich in meinem Stall bin, fast alles hören, was Saralisa<br />

in ihrem Stall macht. Zum Beispiel kann ich hören,<br />

wenn sie niest. Ich finde, sie hat ein ganz entzückendes<br />

Niesen.<br />

An der Uni erzählen sie uns wirklich interessante Sachen,<br />

nur muss ich feststellen, dass das Lernen zuhause etwas<br />

mühsam ist, weil nicht nur Saralisa links neben mir, sondern<br />

auch die ganzen anderen, mein Stallnachbar rechts,<br />

und der direkt über und der direkt unter mir, und die übrigen<br />

in den ganzen anderen Stockwerken, niesen und,<br />

ähem, husten und so. Kakophonisch nicht uninteressant,<br />

aber auf Dauer doch ein wenig enervierend.<br />

Saralisa hat sich offensichtlich mit ihrem Stallnachbar von<br />

der anderen Seite angefreundet. Purzelchen. Das finde<br />

ich nicht so schön. Saralisa kann sich natürlich anfreunden,<br />

mit wem immer sie möchte, gar keine Frage, ich finde<br />

es nur schade, dass sie mich kaum noch beachtet, seit<br />

Purzelchen ein Auge auf sie geworfen zu haben scheint.<br />

Purzelchen mit seinem rotmelierten Bartwuchs, dem man<br />

ansieht, dass er täglich intensiven Kontakt zu Kamm und<br />

Schere aufnimmt. Purzelchen mit seiner Hipstermütze,<br />

ohne die er nie vor die Käfigtür tritt, vermutlich, weil seine

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