34 Holz|Oktober 2016 schattenkante des pulsblattes wo unterdruck tobt sedimentiert in holzstrahlen waldfinsternis in moosgrüne luftwurzeln flicht veraschtes sich seine borkige urne in der kernhölzer sich hinter zellwänden zu ruß .....verscharren nur feuergewaschenen treibt der nachglut reifholz neuen.......wassern zu Anmerkung der Autorin: Verkernung ist der Prozess, bei dem innere Wasserleitbahnen des Stammes unterbrochen werden und Zellen absterben. Das Holz innerer Schichten, das sich dadurch verfärbt, bezeichnet man als Kernholz. Verfärbt es sich nur insignifikant oder gar nicht, bezeichnet man es als Reifholz. Tüpfel sind Kanäle in der Sekundärwand der Pflanzenzelle, an denen Stoffaustausch stattfindet. knorriger verglaster donner aus frost und wahn verschlingt die wurzeln des mondes von der baumrinde die mich...... barg verholzt in der ungeborgenheit seiner eigenen sprossung unbewusst das blinde .............astauge Eli S. Solaris Geb. 1986 in Berlin, lebt in London, Wien und Hong Kong. Doktorandin in Synthetischer Biologie, forscht an Entwicklung neuer Krebswirkstoffe. Studium an ETH Zürich, Harvard und Imperial College London, mehrere Auszeichnungen. Arbeitet in Think-Tank für Zukunftstechnologien und erstem Roman. „Dunkle Energie“, Seitenstechen #2 (Homunculus Verlag) im Druck.- „Superpreis- Anthologie“ (Metamorphosen, Das Prinzip der sparsamsten Erklärung, Verbrecher Verlag) - „Neue Wege“ Anthologie (Sperling). B:LINDEN AUGES SPROS- SUNG (EXIL 83H.3) Lyrik l asse den staubigen tau zerfließen ins grüne toben der dornen vermische chaos mit den winden die meinen heckenhänden aus ihrer verwachsung steigen Medusa/Bronze 1987©Gotthard Obholzer
Holz|Oktober 2016 35 Marco Frohberger Symptome „Auf dem Holzweg” Das Leben ist ein sehr langer Weg. Agnes lief so langsam, als müsste sie sich jeden einzelnen Schritt genau überlegen. Sie war den ganzen Tag nicht draußen gewesen und zögerte, bis es nicht mehr ging. Ihre Streifzüge durch das Gelände der Stadt waren Versuche, das Zurückliegende abzuschütteln. Versuche. Unter den Schatten der schweren, grünen Linden war sie gelaufen, vorbei an langen Reihen aus Tischen und Stühlen, jede Menge Leute. Gelächter, Stimmen, die in der Hitze zerblätterten. Den Lärm aufnehmend war sie mit den Händen in den Taschen der viel zu warmen Jacke, stur und scheinbar einem unbekannten Ziel zustrebend, gleich weiter gelaufen. Die Geräusche des Sommers: die Brise, der Staub in den Straßenrinnen und das Geplärre, und schließlich die Kinder. Agnes verkrampfte dann immer und hielt die Luft an und schleppte sich rasch zurück in ihre Straße, um dort auszuatmen. Die Kinder. Sie war eine Frau, die niemand sah in ihrem schmutzigen Anorak, den langen, fettigen Haaren, den Pantoffeln, in denen ihre kleinen, schwieligen Füße steckten, ihre Beinchen, dünnen, weißen Stecken gleich, und dann der Blick, der in die Sehnsucht hineinglitt, das Sehen in die Weite, das Wünschen. Kurz darauf verschwand Agnes im alten Haus in der Fehrbelliner Straße, in der sie aufgewachsen war. In der Straße, in der sich über die Jahrzehnte nichts geändert hatte. Ihre Wohnung lag in einem aus den Trümmern der Nachkriegszeit wieder aufgebautem Haus mit hohen Decken aus Stuck, verwinkeltem Hinterhof, einem großen Keller mit einer Kohleschütte. Agnes zog sich am gusseisernen Geländer das Treppenhaus hoch. Der Putz bröckelte, kleine Wunden, die dem Haus das Herrschaftliche entzogen. Das Haus verrottete zusehends. Diese ganze Atmosphäre hatte sich im Haus verhärtet, als wäre es schon verloren. Agnes zählte die Jahre ihres Lebens, das in den hauchdünnen Schichten Farbe steckte. Sie wusste, dass das Haus viele Leben beherbergt hatte und der Eindruck, als wäre der zweite Weltkrieg noch nicht vorbei, noch nachwirkte. Agnes glaubte, dass auch ihr Leben irgendwann in diesen Wänden verschwand. Im obersten Stockwerk sperrte sie die Wohnungstüre auf. Sie rief in den Flur, dass sie wieder zurück sei, aber da war nur die Stille. Langsam schloss Agnes hinter sich die Tür und legte ihre Jacke ab. Auf der Anrichte deponierte sie den Schlüssel, neben einem überquellenden Aschenbecher und einer leeren Milchflasche, in der vertrocknete Tulpen ihre Köpfe hängen ließen. Die verschüttete Asche gab ihr das vertraute Gefühl, als wäre noch jemand hier. Agnes lief zuerst in ihr altes Kinderzimmer, das nun von ihrer Tochter, Aline, bewohnt wurde. Die Zimmertüre kratzte über den Dielenboden und verdrängte kurz die Stille, dann war das Fenster zu hören, das sie öffnete, frische Luft, ein kaum hörbares Schlurfen über den Boden, Gekicher, dann kam Agnes wieder zurück und ging in die Küche. Dort, wo außer einem Holztisch, drei Stühlen, von denen einer kürzere Beine hatte, und einem offenen Schrank nichts war, holte sie aus dem Schrank ein Glas getrocknete Tomaten, eingepackten Toast, aus dem Kühlschrank Schinken, Gurken und etwas Käse. Sie reihte alles auf dem Holztisch auf, wie sie es hervorholte, goss ein Glas Leitungswasser ein, machte noch eine Packung Zigaretten auf und setzte sich. Umständlich fischte sie zwei oder drei getrocknete Tomaten auf einen Teller, biss von einer ab und schnitt den Käse. Nebenher zündete sie sich eine Zigarette an. Dann horchte sie in die Räume hinein. Sie wusste noch genau, wie es früher gewesen war, als Mutter heißes Wasser für den Tee aufgesetzt und den Esstisch hergerichtet hatte, bevor der Vater von der schweren Arbeit zurückgekehrt war, sich mit rußgeschwärzten Händen an den Küchentisch setzte, um sich eine Zigarette anzustecken. Niemand hatte etwas gesagt. Vaters Blick war dann immer starr geradeaus aus dem Fenster in den Hof gegangen, als würde dort etwas warten, das nur er sehen konnte. Zusammen waren alle am Küchentisch gesessen, der Tee dampfte, das Brot gerade so dick aufgeschnitten, dass es noch für den Rest der Woche reichte, der Tee gestreckt, weil er teuer war, und die Worte gedämpft, weil der Lärm der Maschinen ihn irgendwann hatte wahnsinnig werden lassen. Nachdem der Vater zum Waschen gegangen war, hatte die Mutter gesagt, lass dir mal gesagt sein, Agnes, wenn wir tot sind, wird das alles einmal dir gehören. Da hatte Agnes nicht gewusst, dass sie nichts hatte. Mit der Zeit wechselte das Licht, die Schatten wurden länger, über den Himmel zogen schwere Wolken. Die Stille der Wohnung wurde bald zu einem Dröhnen und war nicht einmal mehr als Vorstellung möglich. Die Finsternis. Agnes war aufgestanden und ins Kinderzim- Prosa