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50 Holz|Oktober 2016<br />

Susanne Klinger<br />

Mein Vater, der Holzarbeiter<br />

Mein Vater war Gedichteschreiber,<br />

er schrieb Gedichte ohne Unterlass, jahrzehntelang und er<br />

trank..<br />

Mein Vater war Liedermacher, er schrieb Lieder, immer der<br />

Liebe gewidmet und er trank…<br />

Mein Vater arbeitete mit Holz, nein nicht als Tischler oder<br />

Zimmermann, ein einfacher Holzarbeiter, jahrelang und er<br />

trank…<br />

Es ist schwierig in Erinnerungen zu schwelgen die nicht vorhanden<br />

sindes ist beinahe unmöglich nicht zumindest eine<br />

Zeitlang abzuwerten um sich selbst aufwerten zu können.<br />

Tochter eines Alkoholikers zu sein, heißt auch ohne Selbstwert<br />

aufzuwachsen, immer auf der Hut vor Eventualitäten,<br />

die auch pure Angst bedeuten konnten, vor dem, was sich<br />

immer wieder ankündigte, wenn er betrunken nach Hause<br />

kam, Angst vor einem Menschen, der prägender nicht sein<br />

konnte.<br />

Mein Vater war Holzarbeiter und brachte immer den Duft<br />

frisch geschnittenen Holzes mit nach Hause.<br />

Auf wieviele Erinnerungen hätte ich aber auch verzichten<br />

können, dacht ich mir manches Mal.<br />

Wieviel Schmerz wäre mir erspart geblieben, wär ich nicht<br />

so neugierig gewesen — auf ein Leben außerhalb des bisherigen.<br />

Wieviel glaubte ich wissen zu müssen über mich, ohne zu<br />

bedenken, wieviel Schmerz Kindheitsprägungen bedeuten<br />

können?<br />

Wissen zu wollen, unbedingt, wer ich bin, warum ich so bin,<br />

wie ich bin — das versprach ich mir von Gesprächen, Analysen<br />

und dem Körpergedächnis, ohne zu ahnen, dass die<br />

Seelenlandschaft und die Verwirrung uferlos sein können.<br />

Wer wäre ich geworden, ohne all dem, hab ich mich oft<br />

gefragt und dabei meine Neugier verflucht und doch…die<br />

Erinnerungen sind ein Teil von mir und warten darauf, neu<br />

aufgerollt zu werden, von der Person, die ich heute bin,<br />

erwachsen genug, um die Schubladen neu zu ordnen und<br />

dabei schon längst Vergessenes neu zu definieren und zu<br />

bewerten mit der nötigen Portion Verständnis auch dafür,<br />

dass manches nie heilen kann, aber umarmt werden will<br />

von mir.<br />

Susanne Klinger<br />

Geb. und aufgewachsen in U-Hausmening; Tanz &. Waldpädagogin,<br />

Dipl. Sozialpädagogin; geht gerne ins Theater und ins Kino;<br />

liest Gedichte und versucht sich seit kurzem im Schreiben; besonders<br />

die 45 - Sec. Texte bei den Schreibwerkstätten der LitGes<br />

(jeden 1. Mittw. um 18 h im Büro) haben es ihr angetan.<br />

Prosa<br />

©Gotthard Obholzer, Atelieransicht Stubaital

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