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48 Holz|Oktober 2016<br />

Prosa<br />

Jörn Birkholz<br />

Waidmannsheil<br />

»Ich will in Wald!«<br />

»Was?«<br />

»Komm, lass uns in Wald fahren.«<br />

Mit dieser Idee konfrontierte mich Iza eines schönen Sonntagmorgens.<br />

»In den Wald heißt das.«<br />

»Ja, ja, weißt du wie man’s auf Polnisch sagt?«<br />

»Ne.«<br />

»Na also, dann lern erst mal polnisch, bevor du mich hier<br />

großkotzend verbesserst.«<br />

»Großkotzig.«<br />

»Was?«<br />

»Nichts egal.«<br />

»Wo ist hier Wald?«<br />

»Gute Frage, hier in der Gegend ist mir nichts Größeres bekannt.<br />

«<br />

»Ich will aber in richtigen Wald, und nicht son kleinen<br />

Scheiß.«<br />

»Ist mir schon klar.«<br />

»In Polen ist viel Wald.«<br />

»Ja, mag sein.«<br />

»Gib mal Laptop.«<br />

Morgens war Iza grammatikalisch immer etwas nachlässig.<br />

Sie beugte sich im Bett über mich rüber und hob es vom<br />

Fußboden auf. Ich hatte ihren tollen Hintern vorm Gesicht,<br />

und konnte mir ein Arschtätscheln nicht verkneifen.<br />

»Lass das!«, quakte sie, fügte aber schnell noch ein Versöhnliches<br />

»Nicht jetzt« hinzu.<br />

Ich ließ es und sie kam wieder hoch. Mit großem Eifer begann<br />

sie Wald und Deutschland zu googeln.<br />

Ich zündete mir eine Zigarette an, obwohl ich morgens eigentlich<br />

ungern rauche, aber Sucht ist Sucht.<br />

»Gib mir auch eine.«<br />

Ich gab ihr eine und rauchend googelte sie weiter.<br />

»Hier ich hab was Geiles!«, ereiferte sie sich plötzlich.<br />

»Das ist in Bayern, Baby, n bisschen weit fürn Tagesausflug«,<br />

sagte ich, nachdem ich flüchtig die Seite überflogen<br />

hatte.<br />

»Kurwa«, entgegnete sie, »aber hier ist ja nichts.«<br />

»Dann google doch mal Niedersachsen.«<br />

»Dobra.«<br />

Nach fünf Minuten hatten wir uns für die Südheide bei Celle<br />

entschieden. Große Waldflächen versprach Wikipedia und<br />

nachdem wir noch schnell die Zugverbindungen gecheckt<br />

hatten, ging es bereits eine Stunde später los Richtung<br />

Hauptbahnhof. Der Bahnhof war angenehm leer. Sonntags<br />

um kurz nach zehn vormittags ist anscheinend eine gute<br />

Zeit zum Verreisen. Wir standen auf dem Bahnsteig und<br />

warteten zusammen mit nur einem Herren, dessen rechtes<br />

Bein rot und extrem angeschwollen war. Sein Hosenbein<br />

hatte er fast bis zum Schritt hochgekrempelt. Fünf Minuten<br />

bevor unser Zug einfuhr, füllte sich der Bahnsteig. Im<br />

Zug bekamen wir einen Sitzplatz, fast ein Grund zum Feiern.<br />

Kaum saßen wir, musste Iza pinkeln, war ja klar. Sie<br />

huschte zum Klo. Ich sah das Rotbein, es schleppte sich<br />

durch den Zug und verkündete, dass es obdachlos sei, ein<br />

kaputtes Bein habe – was ich bestätigen konnte – das ihm<br />

weh tue, und dass es um eine kleine Spende bittet. Keiner<br />

spendete ihm etwas, nicht mal Trost. Ich auch nicht, ich<br />

stellte mich schlafend, als es an mir vorbei humpelte – ich<br />

war nicht in der Stimmung für Obdachlose mit rotem Bein,<br />

da war ich nicht anders als die anderen, vermutlich nicht<br />

obdachlosen Fahrgäste im Zug. Vielleicht lag es auch daran,<br />

dass das Rotbein vorhin mit uns ganz entspannt am<br />

Bahnsteig gestanden hatte. Hätte er uns dort angequatscht,<br />

hätte ich ihm wahrscheinlich was gegeben, da hätte<br />

es sich spontan aus der Situation heraus ergeben können.<br />

Immerhin waren wir zu der Zeit die Einzigen auf dem Bahnhof.<br />

Vielleicht hätten wir ihn sogar gefragt – Iza bestimmt,<br />

wie ich sie kenne - was mit seinem Bein los sei, interessiert<br />

hätte es mich schon. Aber er beachtete uns nicht, Pech<br />

gehabt, jetzt beachtete ich ihn nicht, ich bin halt ein Arsch.<br />

Iza kehrte zurück.<br />

»Klo war voll gekotzt, voll eklig.«<br />

»Wahrscheinlich Partypeople von heut Nacht.«<br />

»Schläfst du?«<br />

»Ne.«<br />

»Hätte mich auch gewundert, wir haben heut Nacht fast<br />

zehn Stunden durchgepennt. Ich bin hellwach.«<br />

»Ich hab ja auch nicht geschlafen.«<br />

»Aber du hattest die Augen zu?«<br />

»Ja und, heißt ja nicht, dass ich geschlafen hab.«<br />

»Ist ja gut, entspann dich.«<br />

»Bin entspannt.«<br />

»Das merkt man.«<br />

Sie lächelte und küsste mir flüchtig auf den Mund. Iza war<br />

bester Laune, soviel war mal sicher. Ich stellte fest, dass es<br />

mir ähnlich ging. Sie schaute aus dem Fenster und summte

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