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26 Holz|Oktober 2016<br />

Stefan Reiser<br />

Warum mein Freund Alexander das Funkhaus verkauft<br />

Prosa<br />

Dass der Alex sein Funkhaus verkauft, ist meine Schuld. Ja,<br />

Sie lesen richtig: Meine Schuld, denke ich, nein, ich weiß es<br />

aus sicherer Quelle, aus allererster Hand genaugenommen,<br />

dass es sich eben nicht so verhält, wie von allen Seiten behauptet<br />

wird, nein, der Verursacher allen Übels bin ich, der<br />

Hauptschuldige: ich, niemand anderer; aber von vorn: Anlässlich<br />

der Hörspielgala im Radiokulturhaus ergab es sich,<br />

dass ich nebenan, im Radiocafé, jemanden kennenlernte.<br />

Sie hatte plötzlich neben mir gestanden und mir zugelächelt<br />

- nicht so, wie Sie denken, und zu meinem Bedauern<br />

nicht aus dem Grund, den ich mir gewünscht hätte, sondern,<br />

wie sich herausstellen sollte, aus einem anderen, weniger<br />

schmeichelhaften, um nicht zu sagen hinterhältigeren, aber<br />

lassen wir das -, jedenfalls konnte ich nicht anders, als sie<br />

anzusprechen. Sofort war ich berauscht von ihrem Witz und<br />

der Schlagfertigkeit, mit der sie meine leicht durchschaubaren<br />

Annäherungsversuche konterte. Habe ich schon erzählt,<br />

dass sie schulterlange, dunkelblonde Haare hatte und<br />

ein schwarzes Kleid trug? Nein? Tut nichts zur Sache, aber<br />

meine Erinnerung wird dadurch lebendiger. Ich beantwortete<br />

ihr, die sie - was für ein glücklicher Zufall! - ebenfalls<br />

Ambitionen hatte, Hörspiele zu schreiben, eine Frage: Eine<br />

persönliche Verbindung, eine Freundschaft zu einem der<br />

Ausgezeichneten sei der Grund für meine Anwesenheit. Sie<br />

blickte zu ihm hinüber, dann drückte sie mir ihr leeres Glas in<br />

die Hand. Nachdem ich für weitere Getränke gesorgt hatte,<br />

schlug sie vor, die Runde zu vergrößern und mit den anderen<br />

anzustoßen. Ich winkte - arglos, wie ich war - meinen Freund<br />

herbei, der mir und ihr (also uns!) nicht gefährlich werden<br />

würde - ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte. Kaum hatte<br />

ich sie ihm vorgestellt, war sie für mich verloren. Nach einer<br />

Weile nutzlosen Rumstehens verließ ich die Szenerie.<br />

Ob ich das einfach so auf mir sitzen ließ? Nein, ich habe<br />

natürlich sofort den Alex angerufen und ihm alles erzählt!<br />

Weil welche Verbindungen der Alex hat, muss ich Ihnen nicht<br />

sagen. „Den Hörspielpreis kann sich dein Freund, also dein<br />

ehemaliger Freund, sonstwo hinstecken“, hat der Alex gleich<br />

gesagt, „der wird von keinem einzigen Sender im deutschen<br />

Sprachraum je wieder einen Auftrag bekommen - und die<br />

Möchtegern-Autorin, das wäre ja gelacht, nicht mal mehr ein<br />

Praktikum. Die werden sehen, wo der Hammer hängt.“ Genau<br />

das waren damals seine Worte.<br />

Kann sein, dass ich, während ich meinem Ärger Luft verschaffte,<br />

etwas übers Ziel hinausschoss, und, einmal in Rage,<br />

ebenso das Radiocafé, womöglich auch die Hörspielgala und<br />

den Großen Sendesaal, also gleich (und völlig zu Unrecht)<br />

die ganze Veranstaltung und alle Räume des Gebäudes in<br />

einem schlechten Licht erscheinen ließ. Das wollte ich nicht.<br />

Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass der Alex wegen dieser<br />

Geschichte das Radiocafé mitsamt dem Funkhaus gleich<br />

zum Verkauf ausschreiben würde! Wie kann ich das jetzt wiedergutmachen?<br />

Stefan Reiser<br />

Geb. 1981 im Innviertel, lebt/arbeitet als Autor und Theatermacher<br />

in Wien/Oberösterreich. Studium der Theater-, Film- und<br />

Medienwissenschaft; Mitglied der GAV. Publikationen in Literaturzeitschriften<br />

(Rampe, Landstrich, Wienzeile, kolik, Sterz, <strong>etcetera</strong>,<br />

Driesch) und Anthologien (u. a. Facetten, JENNY). Mehrere<br />

Auszeichnungen, darunter Einladungen ans Staatstheater Mainz<br />

(2011) und zur Wiesbadener Theaterbiennale (2012), sowie das<br />

DramatikerInnen- und das Romstipendium des Bundeskanzleramtes<br />

(2016). www.stefanreiser.com<br />

Begegnung/Akazie 2016 ©Gotthard Obholzer

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