Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
38 Holz|Oktober 2016<br />
Prosa<br />
Falk Andreas Funke<br />
Der Ofen<br />
Der Ofen! Wie er seinen Ofen liebt. Das gusseiserne Küchenschätzchen.<br />
Die wohlige, ja würzige Wärme, der<br />
Holzfeuerduft, der den Raum parfümiert. Nichts von dem<br />
Staubgeruch der Gaszentralheizung. Trocken und banal.<br />
Und Holzheizen ist ja noch mehr: Es beginnt schon im<br />
Wald mit dem Sammeln von Kiefernzapfen, von Reisig, von<br />
Holzresten, die nach Fällungen liegen bleiben. Da machen<br />
sich die Waldarbeiter nicht mal die Mühe, sie wegzuschaffen.<br />
Das übernimmt er: Ansgar Blömecke, der Resteverwerter,<br />
der Waldgänger, der Sammler. Er braucht keinen<br />
Sammelschein. Nur einen Rucksack. Er lässt sich halt nicht<br />
erwischen. Freut sich sogar am Kribbelgefühl, das seinen<br />
Bauchraum befällt, wenn er gegen die städtische Forstsatzung<br />
verstößt. Hat was von letzter Freiheit und allerletztem<br />
Abenteuer. Von Robin Hood-Dasein. Von Wilderei. Aber ja.<br />
Und dann, wenn die Ofenzeit kommt, kann er zusehen, wie<br />
die Flammen hinter der Glasscheibe lecken, sich hermachen<br />
über das Räuberholz. Das Feuer ist ein heißhungriges<br />
Tier, dem er, Ansgar Blömecke, die Scheite zum Fraß vorwirft.<br />
Ab durch die Luke, hinein ins Geflacker. Wie schnell<br />
und gierig das Feuertier erst mal das Nadelholz und die<br />
Kiefernzapfen verschlingt. Damit beginnt das Anfeuern.<br />
Und dann – schon gemächlicher – geht es ans Buchenholz.<br />
Mit dem Buchenholz lässt es sich Zeit. Überzieht es mit<br />
flachen, blauen Flammen. Ein Orientteppich aus Gas. Das<br />
ist Genießertum. Holzfeinschmeckerei. Ja, so ein Küchenofen<br />
ist schon ein anderer Schnack. Urwärme. So was wie<br />
Großmuttergemütlichkeit. Und seine Großmutter hat ja immerhin<br />
noch mit Kohlen geheizt. Erinnerungen machen so<br />
schön, machen so bittersüß melancholisch.<br />
Dass er sich hat breit schlagen lassen! Vom Freund. Vom<br />
fordernden Freund: wir müssen mal raus aus unseren Höhlen.<br />
Weg von der Alltagsstadt. Dem Winter entfliehen. Rein<br />
in den Sonnensüden. Malaga oder so. Und der Verkaufsmensch<br />
im Reisebüro hat diese Redewendung vom Winterentfliehen<br />
gleich übernommen. Da musste er, Ansgar Blömecke,<br />
unwillig schlucken. Er will gar nicht vor dem Winter<br />
fliehen. Gerade nicht vor dem Winter. Der Winter ist Ofenzeit.<br />
Wann soll man denn sonst das Holz verheizen? Und da<br />
zwingt man ihn, die Koffer zu packen? Um schon morgen<br />
schwerbeladen auf den Bahnhof gehen zu müssen? S-Bahn<br />
zum Flughafen. Dort Treffen mit dem Freund. Der ihn, den<br />
unwilligen Ansgar Blömecke, mit dem breitesten Lächeln<br />
empfängt. So sieht Vorfreude aus. Der Freund ganz euphorisch:<br />
Na, schauen wir heute Abend in einer Bar an der Sonnenküste<br />
den deutschen Wetterbericht und lachen uns in<br />
die Fäustchen?<br />
Er lacht nicht. Er hat sich breit schlagen lassen. Und wer<br />
breit geschlagen ist, dem ist nicht zum Lachen. Woher<br />
dieser Begriff des sich Breitschlagenlassens eigentlich<br />
kommt? Wahrscheinlich, das denkt er, von der Körperstrafe<br />
des Räderns. – Aber er will sich seinen Unmut nicht anmerken<br />
lassen. Will kein Spielverderber sein. Der Freund<br />
ist immerhin sein einziger Lebensmensch. Wenn er den<br />
nicht hätte! Dann hätte er keinen. Nur seinen Ofen. Und<br />
niemanden, mit dem er die Urwärme teilen könnte. Man<br />
unternimmt viel gemeinsam. Oder sitzt auch nur zuhause<br />
am Küchentisch. Und redet. Ohne den Freund könnte er,<br />
Ansgar Blömecke, mit keinem reden. Mit wem denn sonst?<br />
Dem Freund gegenüber will er den fröhlichen Mitreisenden<br />
geben. Aber fröhlich sieht anders aus. Irgendwie merkt<br />
man ihm sein Innenleben doch an. Glaubt er. Weiß er.<br />
Nun komm schon, sagt der Freund. Kannst ja mal zwei Wochen<br />
auf deinen Ofen verzichten. Der Freund nimmt den<br />
Ofen nicht ernst. In welchem Ton er von ihm spricht! Das<br />
O von Ofen pathetisch verlängert. Schön und gut, sagt er,<br />
(was soll das heißen, denkt Blömecke: schön und gut?),<br />
aber das Leben liegt im Erleben. Und dazu müsse man raus.<br />
In die weite Welt hinein. (Hänschen Klein, denkt Blömecke).<br />
Und zwar in den Süden. An der Uferpromenade stehen und<br />
atmen. Atmen, wie man es nur am Meer stehend kann. Der<br />
Freund sieht Blömecke an, als stünde er schon am Meer<br />
und als sehe er in Blömeckes Augen dem Wellentosen entgegen.<br />
Ein Anflug von Fernweh versetzt Blömecke einen<br />
Stich ins Herz. Keinen richtigen Stich, aber ein Stichlein.<br />
Das war der Moment, in dem er sich breitschlagen ließ.<br />
Und es bald schon wieder bereut. Am Meer stehen! Doch<br />
erst mal ans Meer gelangen. Und dann: Das Meer ist schon<br />
lange nicht mehr nur das Meer. Diese Begleitmusik. Touristen.<br />
Banalitätsmenschen, von denen man sich abheben<br />
möchte. Und doch nur einer von ihnen ist. Die Uferpromenade;<br />
das könnte auch eine stark befahrene Straße sein.<br />
Und der Strand von Verkaufsständen befallen. Abzocke